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Das
Experiment
Schema,
übernehmen Sie!
Wenn
man in ein Café geht und ein Getränk bestellt, möchte man von
der Bedienung nicht hören, dass sie gerade keine Lust habe oder keine Bestellung
aufnehmen könne, weil sie erst zwei Tage im Geschäft sei. Wo immer
man auftaucht, sind die Dinge schon längst geregelt. Spannend wird es,
wenn man Bereiche entdeckt oder erfindet, für die das nicht gilt. Da diese
Spannung eher nicht geduldet wird – jedenfalls nicht im großen, gesellschaftlichen
Rahmen, der das individuelle Abenteurertum übersteigt –, gibt es spezielle
Betätigungsfelder, vor allem als experimentelle Wissenschaft, in denen
nach den Prozessen gesucht wird, die unter normalen Bedingungen gar nicht mehr
existieren, weil jeder sich nach den allseits bekannten Erwartungen richtet.
Was geschieht, wird dann gefragt, wenn Grenzen fallen oder noch nicht richtig
etabliert sind.
Was
will „Das Experiment“? Erstaunlicherweise wählt der federführende
Wissenschaftler als Ort des Experiments die Situation des Gefängnisses.
Was will man in so einem fest gezurrten System eigentlich testen? Wo alles und
jedes rigoros festgelegt ist. Wo es schlichtweg nichts zu testen gibt, sondern
wo man nur brav absitzt? Der Trick dieses „Experiments“ besteht darin, dass
den „Gefangenen“ zwar eine Ordnung vorgelesen wird, diese aber so offen ist,
dass sie Spielraum genug übrig lässt für Beziehungslagen und
deren Interpretation. Noch nicht mal streng genommen handelt es sich in diesem
Film also um eine Gefängnissimulation. Anders als im echten Gefängnis
muss hier zwischen den eingeteilten „Gefangenen“ und dem „Wachpersonal“ erst
mal ein Gleichgewicht austariert werden. Deshalb verläuft der erste Tag
oder die ersten Momente in den neuen Rollen ja auch eher lustig, vor allem natürlich
auf Seiten der Gefangenen. Man hat es also hier, in diesen ersten Situationen,
mit Handlungen vor weichen Mauern und unsauberen Rändern zu tun.
Und
genau hier passiert ja auch die entscheidende Asymmetrie. Die Handlungen der
Gefangenen sind nicht begründungspflichtig, sie müssen letztlich nur
gehorchen. Sie mögen irritieren und stänkern, dann werden sie eben
zurückgepfiffen. Aber weil eben das Maß noch nicht da ist, die Härte
oder Nachsichtigkeit des Umgangs mit den Gefangenen erst noch entwickelt werden
muss, sind es die Wächter, die hier die Situation definieren. Sie müssen
sich in dieser Anfangssituation fragen, was von ihnen erwartet wird als Wächtern,
wenn die Gefangenen nicht spuren. Die Gefangenen sind nur den Blicken der Wächter
ausgesetzt, die Wächter sind immer doppelt gebunden, sie müssen auf
die Gefangenen reagieren, und sie müssen sich fragen, wie sie reagieren
müssen, weil im Hintergrund die Kamera lauert und das Experiment bei Fehlverhalten
jederzeit abgebrochen werden kann. Das ist ja eigentlich ziemlich spannend.
Den
Trick mit der Simulation sieht man dem Film gerne nach, die Sache kann überhaupt
nur so anlaufen, sie braucht Spielraum, den es unter echten Verhältnissen
nicht gäbe. Was man dem Film aber nicht verzeiht, ist das spielfilmmäßige,
das der Regisseur dem Experiment unterlegt. Er scheint nur das Gesetz der Eskalation
zu kennen. Das er gnadenlos durchzieht. Gegen jede Wahrscheinlichkeit, dass
das eben nur ein Experiment ist, begrenzt auf 14 Tage, nach denen man bequem
mit 4000 Mark nach Hause gehen kann. Der Film zeigt kein Experiment, sondern
die Abwesenheit der Wissenschaft(ler). Oder eine Wissenschaft, die zwischen
Dilettantismus und Dämonie pendelt. Das Ergebnis lautet dann, je nach Bezug,
dass der Mensch nachlässig, inkompetent, faul sei (Bezug Wissenschaft),
oder dass er böse ist (Bezug ?), wenn er nicht in Ketten gelegt wird. Ziemlich
bald erreicht der Film ein Niveau, wo es nur noch ärgerlich wird. Das deutsche
Kino ist in Teilen immer noch so fixiert, dass es die Dinge nur in nationalsozialistischen
Kategorien denken kann. Die Wärter sind dann SS, und das Gefängnis
ein KZ. Albtraumhafte Szenen im Führerbunker. Verschwörung der Juden.
Die Stellung muss gehalten werden. Wenn dann die Frau Doktor vergewaltigt wird,
muss man wirklich brechen. Aus Ekel vor diesem miesen Skript. So ein Film muss
aber unbedingt noch mal gedreht werden. Vielleicht eher als Doku. Nicht so viele
Vorgaben von außen. Dann wird der Film vielleicht langweilig, aber so
ist der Knast nun mal. Möglicherweise auch die Wissenschaft.
Dieter
Wenk
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei:
Das
Experiment
Deutschland
2001 - Regie: Oliver Hirschbiegel - Darsteller: Moritz Bleibtreu, Christian
Berkel, Edgar Selge, Andrea Sawatzki, Maren Eggert, Justus von Dohnànyi,
Timo Dierkes, Nicki von Tempelhoff, Fatih Akin - FSK: ab 16 - Länge: 120
min. - Start: 8.3.2001
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