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Face/Off - Im Körper des Feindes
John Travolta und Nic Cage tauschen die Gesichter in einem
Actionthriller von John Woo.
Inhalt
Castor Troy (Nicolas Cage), so ziemlich der niederträchtigste Terrorist
des Erdballs wird vom Chef einer FBI-Spezialeinheit, Sean Archer (John
Travolta), unbarmherzig gejagt, seit er bei einem Mordanschlag dessen
kleinen Sohn getötet hat. Die Chance auf Erfolg tut sich auf, als die
Agenten feststellen, daß sich Troys Bruder Pollux (Alessandro Nivola )
gerade eine Maschine gechartert hat. Es kommt zu einem wilden Gefecht auf
dem Flughafen, das einigen von Archers Leuten das Leben kostet, aber
letztendlich zu Castors Festnahme führt. Doch bald stellt sich heraus,
daß der davor noch eine chemische Bombe irgendwo in L.A. deponiert hat.
Da es nicht gelingt aus dem einzigen Mitwisser Pollux Informationen
herauszuholen, bleibt Archer nur ein letzter Ausweg. In einer streng
geheimen Operation wird ihm das Gesicht von Castor transplantiert, um den
anderen Terrosristen zu täuschen. Archer kommt also als Castor Troy ins
Hochsicherheitsgefängnis - doch in der Zwischenzeit ist dieser aus dem
Koma erwacht, hat die Ärzte gezwungen, ihm Archers Gesicht zu
transplantieren und alle Mitwisser getötet. Mit größtem Vergnügen
übernimmt er Archers Job und Familie, während der als Verbrecher festsitzt. Die einzige Chance des wirklichen
Archer ist das Unmögliche: Aus dem Gefängnis auszubrechen und jemanden
von seiner wahren Identität zu überzeugen - und das mit seinem ärgsten
Feind auf seinen Fersen.
Kritik
Mit einem kleinen Tribut an sein Hongkong-Meisterwerk The Killer
eröffnet John Woo diesen Film (kurz vor dem Ende wird er mit einem langen
Tribut daran eine der vielen Symmetrien dieses Films zementieren): Mit
einem Schnauzer getarnt wie dereinst Chow Yun-Fat lauert Nicolas Cage
hinter dem Zielfernrohr, während er auf einem nahegelegenen Karussell
John Travolta und Sohn beim nichtsahnenden Kreiseln betrachtet. Woo
stilisiert die Szene bis zum Anschlag: Zeitlupe, dräuende Musik und immer
wieder Großaufnahmen der beiden künftigen Kontrahenten, bevor wie ein
Donnern die für Travolta bestimmte Kugel seinen Brustkorb durchschlägt
und seinen kleinen Sohn tötet. Hunderte von Patronen werden in diesem
Film verschossen, aber wie Travolta einmal feststellt: "My scar...a sole
bullet wound" - es ist nicht die Quantität, die zählt, sondern die
Folgen. Face/Off ist ein Action-Blockbuster voller Explosionen und
wahnwitziger Storywendungen, aber als einziger unter Woos amerikanischen
Filmen trägt er das emotionale Gewicht seiner früheren Hongkongarbeiten:
Inmitten des adrenalintreibenden Kugelhagels schreibt Woo hier die
Geschichte einer Verzweiflung in Blut.
Man ist ja versucht, an eines von Woos Idole, Sam Peckinpah, zu denken:
Auch der hatte Zeit seines Lebens höchste Schwierigkeiten mit dem
Hollywoodsystem, seine Filme wurden verstümmelt, umgeschnitten oder wegen
Auseinandersetzungen mit den Produzenten gar nicht gedreht. Auch Woos
amerikanische Filmographie liest sich als Reihe von Niederlagen: Sein
Debüt Hard Target, schon belastet durch Jean-Claude Van Damme in der
Hauptrolle, wurde von den Produzenten nachträglich beschnitten, um die
härteste Altersfreigabe unterhalb von Pornos zu vermeiden, Operation
Broken Arrow war ein Studiofilm, bei dem er nur einen Handwerksjob zu
erledigen hatte, seine Fernsehproduktionen Die Unfaßbaren und Blackjack
wurden von den Anforderungen des Mediums gedämpft und auch in Mission:
Impossible 2 wurde er bloß dazu delegiert, die Überreste seines
visuellen Flairs in den gescheiterten Versuch einzubringen, eine
Sub-Bond-Reihe für Tom Cruise zu etablieren. Dazwischen konnte er
allerdings Face/Off realisieren - auch hier wurde ihm zwar von den
Produzenten ein ungewolltes Ende aufgezwungen, aber davor trägt dieser
Film jede Sekunde den Stempel seines Regisseurs als düsteres Abbild
Amerikas - um beim Vergleich mit Peckinpah zu bleiben, es ist sein Wild
Bunch: Nicht völlig erhalten, aber ein großartiges, persönliches Werk
selbst in den Überresten.
Schon die Flughafensequenz, mit der nach der Ermordung von Travoltas
Sohn die eigentliche Handlung einsetzt, ist pure Woo-Stilisierung: Cage,
wie er mit wehendem Mantel die Bildfläche betritt und (mit sichtlichem
Vergnügen) einen Comic-Schurken sondergleichen auf die Leinwand malt,
sexgierig, blutrünstig, gewissenlos, ist ein Kabinettstückchen für sich;
die nach dem Eintreffen der Spezialeinheit folgende Jagd und Schießerei
ist ein Testament für Woos perfektionistischen Umgang mit Action. Wie er
hier minimale Schnittfragmente zu eleganten Bewegungen umsetzt, die
abstrakte Kürzel der Gewalt auf die Leinwand malen, hat keiner seiner
amerikanischen Imitatoren erreicht. Da verlängern sich Ausweichmanöver
und Geschossbahnen zu einem feinmaschigen Netz des Todes, das seine
Klauen über die Leinwand legt: Der Fixpunkt ist der Kugeleinschlag,
rundherum kreisen in selbstvergessener Schönheit die Bewegungen der
Kontrahenten, die entweder in Freiheit enden oder im Tod.
Und bald stellt sich heraus, daß diese Sequenz noch die konventionelle
Einleitung war. Face/Off borgt sich ein Science-Fiction-Element, um eine
Geschichte der Identitätsverwirrung als Actionfeuerwerk zu erzählen: In
einem famos designten Labor, wo mit allerlei Humbug erklärt wird, wie die
Gesichtsübertragung ablaufen soll, erfolgt der Persönlichkeitswechsel
seiner Protagonisten. Zurück bleibt das in Nährlösung wabernde Gesicht
Travoltas, abgelöst vom Körper: Ein Abbild der verschwimmenden
Identitäten des Films. Von jetzt an wird die Verschwindungsschraube des
Ichs beinhart angezogen.
Face/Off liest sich unter seiner gewaltigen Actionoberfläche nämlich
als zynischer Kommentar zum Hollywoodsystem. Wo Woos Hongkongarbeiten um
Männer auf den verschiedenen Seiten des Gesetzes kreisten, die im Verlauf
der Handlung ihre Gemeinsamkeiten entdeckten und einen moralischen Bund
jenseits staatlicher Normen eingingen, gehen Travolta und Cage den
umgekehrten Weg. Hier sind anfänglich die Seiten von Gut und Böse klar
definiert und nur das Vertauschen der äußeren Erscheinung läßt die
Protagonisten sich im anderen wiederfinden. Daß Woo dabei mit Nicolas
Cage und John Travolta zwei Schauspieler gewinnen konnte, die in den
letzten Jahren nicht davor zurückschreckten, für Geld in jeder dämlichen
Großproduktion mitzuspielen, verleiht seinem hämischen Blick auf den
Gesichtsverlust (Achtung, Wortspiel!) Hollywoods zusätzliche Schärfe.
Schon zu Beginn, als der noch "echte" Sean Archer heimkommt und seine
Tochter (Dominique Swain ) mit Nasenring vorfindet, sagt er den Satz, der
leitmotivisch über dem Film stehen könnte: "You change the way you look
and act every week" - und genau das wird Face/Off bis zum Exzess
verdichten.
Nach dem Rollentausch stehen Cage und Travolta nämlich vor der Aufgabe,
einander zu spielen. Der Witz dabei ist, daß dieser Austausch von
Identität im Verlauf der Handlung immer perverser übersteigert wird.
Anfänglich scheint eine Unsicherheit durch - noch schleichen sich die
Manierismen des anderen Schauspielers ins Spiel des jeweiligen Akteurs
ein (und erhöhen so gleichzeitig die Spannung): Im Essenstrakt des
Hochsicherheitsgefängnisses (einen kleinen zynischen Höhepunkt stellt die
dortige Großbildleinwand dar, auf der ein Naturfilmchen mit Bambi-Hirsch
läuft) steht Nicolas Cage also zum ersten Mal vor der Aufgabe, John
Travolta als Nicolas Cage zu spielen - dem die Gefahr droht, sich vor
seinem "Bruder" als Impersonator zu verraten. In Face/Off sind die
Oberflächen pure Täuschung: Die Person Sean Archers führt einen völlig
anderen Lebenswandel, kaum hat sich Castor Troy seiner bemächtigt, und
doch will es niemand bemerken, weil Sean Archer aussieht wie Sean Archer.
Mit besonderer Perfidie spinnt Woo dieses Szenario bis zum tiefschwarzen
Höhepunkt: Ausgerechnet am Grab des Sohnes steht nun der Mörder mit dem
Gesicht des Opfers und tröstet dessen Frau (Joan Allen, eine Performance
wie angenagelt).
In der Mitte des Films, in einer wahnwitzigen Actionsequenz erreicht
diese Abstraktion den Höhepunkt: John Travolta als Nicolas Cage und
Nicolas Cage als John Travolta stehen sich in einer Spiegelhalle
gegenüber und zerschießen alle Glasflächen, bis nur noch zwischen ihnen
der letzte Spiegel übrigbleibt. Cage als Travolta hatte die Verwirrung
und den Selbsthaß bereits zuvor auf den Punkt gebracht, als sich die
beiden zum ersten Mal mit vertauschtem Gesicht gegenüberstanden: "It´s
like looking into a mirror - only not to." Jeder starrt im Spiegel ins
Gesicht des anderen, bis die beiden auch den zerschießen (und so jeweils
symbolisch den Feind auslöschen) - dann starren sie auf sich selbst als
Feind: Die völlige Persönlichkeitsspaltung. Kurz zuvor hat Woo den Film
selbst schon auf seine Belastbarkeit getestet: Inmitten des Kugelhagels
wird ein kleines Kind herumgereicht, dem man zur Beruhigung Kopfhörer
aufgesetzt hat; im Wechsel der Tonspur beginnt auch das Bild zu wackeln -
aus der von pumpender Musik unterlegten Schießerei wird plötzlich ein
Ballett zu "Somewhere Over The Rainbow", so wie es der Junge sieht. Die
Illusion bricht, der Film steigert seine Unmöglichkeit in Surrealismus.
Das Gegenstück zu den täuschenden Oberflächen findet Woo im
Körperinneren: Blut ist die einzige Substanz, die die Figuren hier
zusammenschweißt. Das Blut beider, das am Anfang Vater und Sohn Archer
beschmiert (und das erst den Anlaß zum gnadenlosen Haß Archers gibt, der
ihn in die wahnwitzigen Plotwendungen und zur Realisierung der eigenen
Abgründe treiben wird), die Blutsbande der wie die Zwillinge Castor und
Pollux heißenden Troy-Brüder, und immer wieder das Blut der Getreuen, die
sich für einen der beiden "Helden" aufopfern (etwa die hinreißend toughe
Gina Gershon, die hier mit halb so viel Leinwandzeit ein Vielfaches der
Charakterisierung von Thandie Newton in M:I 2 auf die Leinwand
bringt) und das großflächig über die Leinwand verteilt wird.
Konsequenterweise kann Travolta seiner Frau nach der wohl irrwitzigsten
Szene des Films (Cage spielt Travolta, der sich daran gewöhnt hat, Cage
zu spielen und nun wieder Travolta spielen muß, um sich seiner Frau
begreiflich zu machen) nur durch seine Blutgruppe beweisen, wer er
wirklich ist.
Auch ansonsten ist der Blick, den dieser Film auf Amerika wirft,
tiefschwarz (und Woo stellt sich damit in die Tradition der vielen
Immigranten, die in Amerika wesentlich düsterere Bilder der neuen Welt
gemalt haben, nachdem sie ins Hollywoodsystem eingefügt wurden: Die
paranoide Ausgangsposition hätte auch Alfred Hitchcock gefallen und viele
andere Motive erinnern an düstere noirs von Meistern wie Lang und
Preminger). Bei seiner Ankunft im Hochsicherheitsgefängnis erfährt
Travolta als Cage lapidar: "The Geneva Convention is void here; Amnesty
International doesn´t know we exist" - umgekehrt wird Cage als Travolta
mit Leichtigkeit der populäre Held, der der stets korrekte echte Archer
nie werden konnte. Zu sehr fehlte ihm die Rücksichtslosigkeit seines
Gegenübers - erst als der skrupellose Troy sein Äußeres übernimmt, zeigt
sich, was wirklichen Aufstieg ermöglicht. Der neue Archer kennt keine
Bedenken sein eigenes Vorankommen zu betreiben: Sei es durch Töten und
Betrügen, sei es seine neue Persönlichkeit, die - wie es eben "coole"
Helden in Actionfilmen tun - flucht, begrapscht und immer einen zynischen
Spruch auf den Lippen hat. Erst dadurch wird Archer vom "guten" zum
populären Vorgesetzten: Der Held trägt den Mörder in sich (und der
offizielle Held Archer muß zum Mörder werden, um diese Position
zurückzubekommen). Konsequenterweise bringt auch erst Troy wieder das
Sexualleben in Archers Ehe zurück - um, nachdem die ersten Zweifel in
seiner Frau geweckt sind, festzustellen: "Lies, distrust, messages...this
is turning into a real marriage."
Daß man all diese Haken an Woos subversivem Meisterwerk gar nicht
bemerken muß, weil seine rasante Erzählform, die sich von einem
Actionhöhepunkt zum nächsten hangelt, den Film an der Oberfläche als
brillantes Hochgeschwindigkeitsfeuerwerk (das man auch ohne den clever
eingewobenen Subtext genießen kann) funktionieren läßt, macht ihn doppelt
wertvoll. Hier rebelliert das System gegen sich selbst bis in die völlige
Verkehrung - als Kommentar zu Hollywood beerbt Face/Off dann noch einen
anderen Peckinpah-Film. In Bring mir den Kopf von Alfredo Garcia hatte es Warren Oates mit Gangstern zu tun, die wie
Hollywoodproduzenten aussahen. Face/Off geht noch einen Schritt weiter:
Hier ist die Verzahnung von Gut und Böse schon so weit fortgeschritten,
daß der Anblick trügerisch geworden ist: "You ask me to put in the dark
all the people that love me and trust me" sagt Travolta, bevor er den
selbstmörderischen Auftrag, Cage zu werden, annimmt - und in dieser
Dunkelheit spielt der Film (und zieht seine blutige Spur durch die Serie
von Opfern, die ihren Augen getraut haben), indem er uns
Hollywoodproduzenten Gangster als Helden verkaufen läßt und die
Funktionsschemata eines Blockbusters gnadenlos bloßstellt.
Fazit: Unter seiner Oberfläche als brillantes Actionmeisterwerk zeigt
sich Face/Off als bittere Analyse der Beschränkungen Hollywoods - und in
beiderlei Hinsicht ist er vorläufig (Stand: Juli 2000) das einzige
amerikanische Werk seines Regisseurs, das den Namen "Ein John Woo Film"
jede Sekunde verdient.
Christoph Huber, 11.07.2000
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
Face/Off - Im Körper des Feindes
Face/Off
USA, 1997
Mit: Nicolas Cage, John Travolta
Regie: John Woo
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