zur startseite
zum archiv
In seinem zweiten Roman Factotum erklärt der amerikanische Schriftsteller Charles
Bukowski, der sich in den Siebzigern auch hier zu Lande großer Beliebtheit
erfreute, wie man einen Lebenslauf für eine erfolgreiche Bewerbung schreibt:
„Pros do that: You leave out the previous low-grade jobs and describe the better
ones fully, also leaving out any mention of those blank stretches when you were
alcoholic for six month and shaked with some woman just releaved from a madhouse
or a bad-marriage. Of Course, since all my previous jobs were low-grade
I left out the lower low-grade.”
Bukowskis eigenes, gigantisches autobiographisches Projekt,
zu dem alle seine über 40 Gedichtbände, acht Romane und diversen Kurzgeschichten
auf die eine oder andere Weise gehören, stellt den Gegentext zu diesem
Lebenslauf dar. Genau das, was die Arbeitgeber dieser Welt nicht hören
sollten. Mit einem untrüglichen Blick für Details des Alltäglichen
entwickelt er sein Bild vom Amerika jenseits des amerikanischen Traums. Dem
Amerika von Landstreichern, Säufern und Huren. Nicht der saubere Verlauf,
nicht die Kontinuität des Lebens interessiert ihn, sondern dessen Brüche.
Ein kaputtes Auto, eine kaputte Uhr, ein kaputtes Leben als Gegenentwurf zum
kleinbürgerlichen „American way of life“, dessen Misslingen sich für
Bukowski in niemandem so sehr manifestiert, wie in der Gestalt seines verhassten
Vaters.
Der norwegische Regisseur Bent Hamer (Kitchen Stories) legt nun seine Verfilmung von Factotum vor, in der Matt Dillon als Bukowskis alter ego Henry „Hank“ Chinaskis von Bar zu Bar, Job zu Job und
Frau zu Frau torkelt. Die Episodenhaftigkeit des Romans wird beibehalten. Viel
Gewicht wird auf die misé-en-scene gelegt, die die Isolation der Figuren im Raum verdeutlicht.
Die liebevoll arrangierten Plansequenzen und die harten Schnitte von einem Schauplatz
zum nächsten funktionieren als adäquate Umsetzung der fragmentarischen
Prosa Bukowskis. Das Ergebnis sieht z.B. so aus: Hank begibt sich nach dem Erwachen
direkt zum morgendlichen Erbrechen ins Bad und während seine Freundin Jan
(Lili Taylor) ihn 30 Sekunden später über der Schüssel ablöst,
ist er am Schreibtisch sitzend mit dem ersten Bier des Tages schon so gut wie
fertig. Aufgenommen in einer Totalen des Zimmers (das Klo im Hintergrund) und
ohne Schnitt.
Matt Dillon sagte in einem Interview mit „epd Film“,
dass er nicht das Klischee Bukowski zeigen oder ihn imitieren, sondern seine
Verletzlichkeit darstellen wollte: „Bukowski war kein ungewaschener Penner –
auch wenn er in heruntergekommenen Wohnungen lebte. Das sagte mir sehr viel
über seine Würde. Er war ein sehr schüchterner und verletzlicher
Mann ... Ich habe Bilder von ihm gesehen. Darauf war er ein junger Schriftsteller.
Er war nicht der ‚dirty old man’.“ Aber auch die Nonchalance mit der Chinaski,
nachdem er seinen Putzjob bei einer Tageszeitung verloren hat, seinen letzten
Lohn mit den Worten einfordert: „Ich möchte einfach nur meinen Scheck und
mich betrinken“, um sich direkt im Anschluss zu erkundigen, ob nicht ein Reporter
gesucht würde, spielt Dillon äußerst überzeugend.
Weniger gut bestellt ist es um die Frauenfiguren
des Films (übrigens nur die zwei „wichtigsten“ der vielen, die im Roman
auftauchen). Lili Taylor spielt die Gratwanderung zwischen Schmachtblicken und
alkoholisierten Gewaltausbrüchen flach und vorhersehbar, und die Episode
in der Laura (Marisa Tomei) auftaucht, ist auf ein kurzes Gastspiel zusammengeschnitten.
Hamer beweist viel Fingerspitzengefühl bei der Auswahl
des Materials: er hält die Waage zwischen gut kalkulierten Lachern, wie
dem Auto, dessen Scheinwerfer nur angehen, wenn man durch ein Schlagloch fährt
oder der Uhr, die jede Stunde um 35 Minuten vorgeht und der lakonischen Grundstimmung
des Textes, die er trifft, indem er immer zur richtigen Szene die richtige Melodie
und zur richtigen Melodie das richtige Bukowski-Zitat findet.
Und doch hat der Film ein entscheidendes Manko. Sicherlich
kann man den Vorwurf, dass Dillon zu glatt, zu sauber wirkt, um Bukowski zu
spielen, mit der Bemerkung, dass er ja nur dessen alter ego darstellt und mit dem Verweis auf künstlerische
Freiheit abwiegeln, wie es ein Rezensent der „Berliner Zeitung“ tat. Sicherlich
„darf“ eine Literaturverfilmung die Handlung sang- und klanglos aus den Vierzigern
in die Jetzt-Zeit befördern und die Reisen kreuz und quer durch die USA, die im
Roman beschrieben wurden, durch einen einzigen Schauplatz (L.A.) ersetzen. Sicher
darf die Reihenfolge der Ereignisse variiert werden. Genau hierbei aber unterläuft
ein entscheidender Fehler. Die positive Antwort eines Verlags („Black Sparrow
Press“, die wirklich Bukowskis Bücher verlegten), wird ans Ende verfrachtet,
und konterkariert als Hoffnungsschimmer den ansonsten lakonisch-pessimistisch
gehaltenen Schluss. Im Roman kam diese Szene im ersten Drittel vor, so dass
deutlich wird, dass sie zu diesem Zeitpunkt keinerlei Bedeutung für Chinaskis
Lebenswandel hatte. Im Film nun werden wir durch sie daran erinnert, dass der
echte Bukowski nicht immer so lebte, sondern sich schließlich mit Ehefrau
Linda und seiner Katzenschar in einem besseren Vorort von L.A. niederließ
und sich als Schriftsteller seine Brötchen verdiente. Das in Factotum beschriebene
wird so, anstatt es in seiner Bruchhaftigkeit zu akzeptieren, in eine Kontinuität
eingefügt. Anstatt den Weg, als Ausbruch aus der bürgerlichen Welt,
das Ziel sein zu lassen wird er in einen größeren Kontext gestellt
und ihm so Sinn gegeben. Er ist (biographisch wohl richtig) ein Schritt zur
Erfüllung von Bukowskis eigenem amerikanischen Traum. Im
1972, also ebenfalls rückblickend, geschriebenen Roman Factotum aber, geht es gerade
um die strikte Verweigerung desselben.
Zu diesem Film gibt’s im archiv mehrere Texte
Factotum
Norwegen / Deutschland / USA 2005 - Regie: Bent Hamer - Darsteller: Matt Dillon, Lili Taylor, Marisa Tomei, Fisher Stevens,
Didier Flamand, Adrienne Shelley, Karen Young, Tom Lyons, Matthew Feeney, Jim
Westcott - FSK: ab 12 - Länge: 93 min. - Start: 8.12.2005
zur startseite
zum archiv