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Fallen
Klassentreffen
auf dem Friedhof
In Barbara Alberts neuem Film "Fallen"
sehen sich fünf Frauen Anfang Dreißig bei der Beerdigung eines Lehrers
mit ihrer Vergangenheit und, schlimmer noch, ihrer Gegenwart konfrontiert.
Ein Lehrer ist gestorben, fünf
Frauen Anfang Dreißig kehren zurück an ihren Schulort in der österreichischen
Provinz. Eine Art Klassentreffen auf dem Friedhof. Erinnerungen werden aufgerührt,
an einstige Liebschaften und das Ende der Freundschaft. Alle fünf, die
einst Freundinnen waren, haben sich irgendwann aus den Augen verloren. Carmen
(Kathrin Resetarits) ist eine bekannte Schauspielerin geworden, so lässt
sich ihr Leben immerhin in der Klatschpresse weiterverfolgen. Nina (Nina Proll)
ist schwanger und ohne Job, Nicole (Gabriela Hegedüs) hat ihre Tochter
Daphne dabei und ein sagenhaftes Talent, im unpassendsten Moment das Falsche
zu sagen. Alex (Astrid Strauss) wirkt erst sehr streng und dann sehr aufgelöst
und dann berappelt sie sich wieder. Brigitte (Birgit Minichmayr), die mit dem
Verstorbenen mehr als die anderen verband, ist auch sonst diejenige, die am
ehesten zu der steht, die sie früher war.
Weder auf große Enthüllungen
noch überraschende Wendungen will Barbara Albert hinaus. Die Gespräche
bewegen sich zwischen Sarkasmus und Ratlosigkeit, es kommt zu Wiederannäherungen
zwischen den Freundinnen und zu Gereiztheiten, die allen auch schon von früher
bekannt sind. Nicht zuletzt zielt "Fallen" auf eine Bilanz der Lebensentwürfe,
genauer gesagt auf die Frage danach, was von den Entwürfen, die es mal
gab, im Leben dann übrig bleibt. Alle fünf haben sie früher auf
der Linken gegen die Rechte demonstriert, Utopien eines besseren Lebens in einer
besseren Gesellschaft verfolgt. Wenig ist davon noch zu spüren, außer
dem schlechten Gewissen vielleicht, das sich im Unwillen äußert,
darüber jetzt groß zu diskutieren, bei gleichzeitiger Unfähigkeit,
die Diskussion dann auch zu lassen. Der Horizont hat sich auf private Lebens-
und Schicksalsfragen verengt, einzig Brigitte, die Lehrerin in der Provinz,
hat sich den linken Aktivismus bewahrt.
Wie sehr sich der Horizont des
Films mit dem seiner Figuren deckt, ist schwer zu sagen. Der Titel des Films
- von der englischen Version zur Verbform "Falling" vereindeutigt
- legt nahe, dass Albert ihre Figuren mit Tendenz zur Objektivität beschreibt
und bei aller Sympathie durchaus kritisch in einer fortgesetzten Abwärtsbewegung
gefangen sieht. Sie taumeln, sie straucheln, sie stolpern, sie gehen zu Boden
und stehen nur mit Mühe wieder auf. Sie waren und sind keine Engel und
Gefallene sind sie doch. Auch die Lesart, dass sie in Fallen geraten sind, Sackgassen,
von denen der Weg nirgends hinzuführen scheint, ist bis fast zum Schluss
nicht von der Hand zu weisen. Das Ende selbst, das den Rahmen etwas abrupt aufzieht,
scheint freilich zu suggerieren: Man kann nicht nur abwärts, sondern, mit
dem Willen zum Sprung, auch nach vorne fallen.
Barbara Alberts letzter Film "Böse
Zellen"
war ein multiperspektivisch angelegtes Gegenwartspanorama, in dem der Zufall
mit Absicht eine Hauptrolle spielte. Für "Fallen" verkleinert
die Drehbuchautorin und Regisseurin das Format. Die Handlung beschränkt
sich im wesentlichen auf einen Tag, eine Nacht und den Morgen eines weiteren Tags.
Die Vorgeschichte kondensiert in der Gegenwart erinnerungsförmig. In Gesprächen,
auch in Auswirkungen auf die Gegenwart, die man sieht. Stilistisch wählt
Albert eine Form von impressionistischem Realismus, aber mit quasi-avantgardistischen
Einsprengseln. Für Sekunden gefriert dann das Bild zu grobkörnigen
Farbfotos - auf denen man Bilder aus der unmittelbaren Zukunft sieht. Darunter
aber sind von den Hauptdarstellerinnen eingespielte Hippiesongs zu hören,
wie man sie in den Achtzigern in protestbewegten Zeltlagern sang. Worauf das
zielt, ist klar: die schwindelerregende Vermischung, wenn nicht Verwirrung,
von Einst und Jetzt, Hoffnung und Wirklichkeit. Wie manches bei Albert, die
erfreulicherweise immer sehr ambitioniert ist, wirkt das mitunter zu sehr gewollt,
um ganz gekonnt zu sein. "Fallen" versammelt manchmal etwas angestrengte,
in der Mehrzahl aber großartige und auch großartig peinliche Momente
zu einem Ganzen, das zuletzt vielleicht doch etwas zu sehr in seine Teile zerfällt.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.perlentaucher.de
Fallen
Österreich
2006 - Regie: Barbara Albert - Darsteller: Birgit Minichmayr, Nina Proll, Gabriela
Hegedüs, Ursula Strauss, Kathrin Resetarits, Ina Strnad, Georg Friedrich,
Darina Dujmic, Angelika Niedetzky, Christian Strasser, Erich Knoth - Länge:
85 min. - Start: 17.1.2008
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