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Fast Food Nation
Geschmack
aus dem Labor
"Fast Food Nation"
von Richard Linklater beschreibt episodenhaft und unpathetisch die gesellschaftliche
Veränderung durch die expansive Unternehmenskultur der Nahrungsmittelindustrie
Ich kann mich nicht erinnern,
dass je ein Hollywood-Film die globalen Ausbeutungsverhältnisse so zügig
auf den Punkt gebracht hätte wie Richard Linklaters „Fast Food Nation“.
Es dauert keine zwei Minuten, bis Linklater mit einer so flüssigen wie
zwingend logischen Überblendung die Welt der Nahrungsmittelindustrie und die
Orte des existenziellen Mangels kurzgeschlossen hat. „Fast Food Nation“ eröffnet
mit einer Art Werbejingle für die fiktive Fastfood-Kette Mickey´s,
gefilmt in einer halb-subjektiven Einstellung aus der Perspektive eines "Big
One": zu funkigem Klöppelbeat wird der neue Superburger vorbei an
strahlenden Kindergesichtern und aufgeregten Müttern an den Ort seiner
Bestimmung manövriert. Am Tisch angekommen zoomt die Kamera an den gebratenen
Fleischklops heran und in ihn hinein, bis das Bild dunkel und schließlich
schwarz wird, schwarz wie die Nacht im amerikanisch-mexikanischen Grenzstreifen,
wo sich gerade eine Busladung voll Tagelöhner mithilfe von Schiebern illegalen
Zutritt ins gelobte Land verschaffen. Auf der anderen Seite werden die Illegalen
mit einem "Big One" begrüßt, doch diese Pointe hebt Linklater
sich bis zum Schluss auf - womit er die Nahrungskette symbolisch auch schließt.
Denn Linklater deutet zumindest an, dass sich eventuell das geschredderte Bein
eines unterbezahlten Landsmanns in den Bratling verirrt haben könnte. Der
Zuschauer denkt sich seinen Teil.
Auf der anderen Seite des Grenzzauns
bekommen Raul und seine Frau Sylvia die Verwertungslogik der Ausbeutungsverhältnisse
am eigenen Leib zu spüren. Um die physisch und psychisch belastende Arbeit
im Schlachthof von Uni Globe Meat Packing durchstehen zu können, beginnt
Raul Amphetamine zu nehmen. Als er bei einem Arbeitsunfall einem Kollegen zu
Hilfe kommt, und sich dabei selbst verletzt, entdecken die Firmenärzte
Spuren der Droge in seinem Blut, worauf ihm seine Krankenleistungen und der
Job gekündigt werden. Der Firmenanwalt drückt Sylvia noch sein Mitgefühl
aus, dann hat sich das Thema für Uni Globe erledigt. Die nächste Ladung
mexikanischer Billigarbeiter befindet sich bereits auf dem Weg.
Rauls und Sylvias Geschichte ist
nur eine Facette des wirtschaftlichen Komplexes, an dem sich Linklater und sein
Autor Eric Schlosser mit „Fast Food Nation“ abarbeiten. Kaleidoskopartig (‘altmanesk’
wäre zuviel gesagt, dafür fehlt es Linklater am nötigen Zynismus)
schildert „Fast Food Nation“ die Erfahrungen eines guten Dutzend Figuren aus
ganz unterschiedlichen Lebenszusammenhängen in der amerikanischen Nahrungsmittelbranche.
Als Grundlage dienten Linklater Schlossers eigene Recherchen, die er 2001 veröffentlicht
hatte. „Fast Food Nation“ war damals in Rekordgeschwindigkeit an die Spitze
der amerikanischen Bestsellerlisten geschossen.
Nun mag in Zeiten eines anhaltenden
Politdoku-Booms die Entscheidung, ein Sachbuch als Spielfilm zu inszenieren,
reichlich widersinnig erscheinen. Man muss Linklater und Schlosser allerdings
zugute halten, dass sie sich bei der Umsetzung große Mühe gegeben
haben. Schlossers Fakten dienen als tragfähiges Gerüst für eine
Handvoll fiktiver Einzelschicksale. „Fast Food Nation“ umgeht nebenbei auch
das Problem vieler ‚message movies’, die den Zuschauer in eine Art moralische
Geiselhaft zu nehmen versuchen (eine Gefahr, vor der Dokumentarfilme noch eher
gefeit sind als Spielfilme). „Fast Food Nation“ verhandelt sein Thema extrem
entspannt, manchmal kommt sogar Linklaters altes Slacker-Laissez-faire wieder
durch. Es wird viel geredet und diskutiert in „Fast Food Nation“, aber der Holzhammer
bleibt stecken.
Eines der skandalösesten
Details in Schlossers Reportage war damals der Bericht über die Chemiefabriken
in New Jersey, die nahezu die gesamte amerikanische Nahrungsmittelbranche mit
künstlichen Geschmacksstoffen versorgen. Der Film widmet diesem Fakt eine
Szene: Man sieht Greg Kinnear im Gespräch mit einem Chemielaboranten über
die geschmackliche Zusammensetzung des Mickey’s-Sommersortiments. Wer’s bis
jetzt noch nicht geahnt hat, muss sich über die Beiläufigkeit dieses
kurzen Zwischenspiels wundern: Der ‘Tropical Flavour’ der neuen Hähnchenflügel
kommt aus dem Reagenzglas. Kinnear spielt Don Henderson, den Marketingchef von
Mickey’s und Erfinder des ‘Big One’, der von seinem Vorgesetzten nach Cody,
Colorado geschickt wird, weil eine wissenschaftliche Studie ein erhöhtes
Aufkommen von Kolibakterien in den Buletten des ‘Big One’ ans Licht gebracht
hat. (“Don,” erklärt ihm sein Chef, “es ist Scheiße im Fleisch.”)
Imagemäßig sind ein paar vergiftete Kunden natürlich eine Katastrophe.
In Cody laufen die einzelnen Handlungsfäden
zusammen, ohne dass die kurzen Begegnungen der Figuren Spuren in ihren Leben
hinterlassen würden. Sie sind schließlich alle nur unbedeutende Rädchen
im Getriebe; einige aus Überzeugung, die meisten aus reiner Not. Bei der
Besichtigung des Werks platzt Don in die Vorführung eines Sicherheitsvideos,
in der auch Sylvia und ihre Schwester Coco sitzen. In der örtlichen Mickey´s-Filiale
wird er von Amber bedient, die sich nichts sehnlicher wünscht, als nach
der High School aus ihrem gottverlassenen Kaff zu verschwinden - und wie in
jeder Kleinstadt führt der Weg raus übers College. Auf einer Studentenparty
lernt Amber einige Umweltaktivisten kennen, die ihrerseits etwas Sand ins Getriebe
des Systems streuen möchten. Ihr Plan, die Rinderherden von Uni Globe nachts
von ihren Koppeln zu treiben, scheitert jedoch kläglich. Die Viecher,
bestens versorgt, wollen sich einfach nicht vom Fleck rühren.
Darin sind sich, wie Linklater zeigt,
Mensch und Vieh sehr ähnlich. Für ein paar Annehmlichkeiten können
sie sich leicht mit den Verhältnissen arrangieren. In “Fast Food Nation”
haben diese Annehmlichkeiten meistens mit Fressen zu tun. Von Rauls erstem Lohn
gehen er und seine Sylvia einmal voller Vorfreude in ein richtiges Restaurant.
Aber das Blutgeld kann den faden Geschmack der Plastikwelt nicht überdecken;
Sylvia ist unzufrieden. “Nächste Woche gehen wir eine Pizza essen,” verspricht
Raul ihr.
Die Fastfood-Industrie ist natürlich,
nicht weniger als ‘Big Tobacco’ und die amerikanische Waffenlobby, ein leichtes
Ziel. Jason Reitman hat das mit seinem selbstgefälligen, allerdings auch
ziemlich witzigen “Thank you for Smoking” gerade erst demonstriert. Im Vergleich
zu Reitman hält Linklater sich mit polemischen Ausfällen geflissentlich
zurück, was seinem Film von der amerikanischen Kritik auch vorgeworfen
wurde. Ihm geht es in „Fast Food Nation“ aber auch nicht so sehr um eine Kritik
an den Ernährungsgewohnheiten seiner Landsleute als vielmehr um die sozialen
Verhältnisse, die durch die Praktiken der Nahrungsmittel- und Dienstleistungsindustrie
bedingt werden. Darum kann er auf politische Obertöne verzichten; die Schwachstellen
des Systems liegen in „Fast Food Nation“ bereits offen. Nur einmal bekennt Linklater
politisch Farbe, als in einer Diskussion kurz der Satz “Ich kann mir im Moment
nichts Patriotischeres vorstellen, als gegen den ‘Patriot Act’ zu sein” fällt.
Bei Linklater (und Schlosser)
ist die Fastfood-Kultur Synonym für den neuen “American Way of Life”. Nicht
mehr: Man ist, was man isst. Sondern: Man ist, wie man isst. Bruce Willis kurzes
Cameo als Mickey’s-Vertreter, das beste Solo in einer ganzen Reihe toller Einzelleistungen
(auch sehr gut: Kris Kristofferson als verbitterter Rancher) ist zum Verständnis
dieser Fastfood-Mentalität sehr erhellend: “Die Leute,” erklärt er
Kinnear einen fettigen Burger verschlingend, “sind es satt, ständig erzählt
zu bekommen, was gut und was schlecht für sie ist. Manchmal muss jeder
etwas Scheiße fressen. So ist das Leben.” Schade nur, dass Linklater sich
am Ende den Besuch auf den ‘Killing Floors’ der Schlachthöfe doch nicht
verkneifen kann – es bleibt nicht mehr als ein Bekenntnis zum Vegetarismus.
Das eigentlich Bedrückende sind in „Fast Food Nation“ die Beschreibungen
der gesellschaftlichen Veränderungen durch eine expansive Unternehmenskultur.
Nirgendwo lassen sich die Folgen dieser Entwicklung besser beobachten als im
deprimierenden Bild einer kleinstädtischen Strip Mall, in der sich ein
Fastfood-Restaurant ans nächste reiht.
Andreas Busche
Dieser Text ist zuerst erschienen in: freitag
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Fast Food Nation
Großbritannien / USA 2006 - Regie: Richard Linklater - Darsteller: Greg Kinnear, Patricia Arquette, Ethan Hawke, Luis Guzman, Catalina Sandino Moreno, Lou Taylor Pucci, Avril Lavigne, Kris Kristofferson - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 113 min. - Start: 1.3.2007
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