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Fast
Food Nation
Die dunkle Seite
des Burgers
Richard Linklater erzählt im lebhaften Ensembledrama
„Fast Food Nation“ von corporate
capitalism als einer Kultur des Scheißefressens.
Happy Thanksgiving! Pünktlich zum amerikanischen
Erntedankfest liefen letzten November in New York City zwei Filme an, die sich
gemeinsam wie eine hämische Grußkarte der Bioladen-Lobby ausnehmen:
Nikolaus Geyrhalters Dokumentation „Unser
täglich Brot“ und Richard Linklaters
fiktionale Sachbuchverfilmung „Fast Food Nation“, nach dem gleichnamigen US-Bestseller
Eric Schlossers über die Machenschaften von McDo und Co.
Es fällt schwer, sich zwei formal unterschiedlichere
Arbeiten zum gleichen Thema vorzustellen als Geyrhalters kühle Doku-als-Science
Fiction-Meditation und Linklaters lebhaften Problemfilm-als-Bürgerforum,
aber gerade in ihren Gegensätzen erhellen die beiden einander gegenseitig:
Wie Geyrhalter entwirft Linklater („Slacker“) ein grimmiges Portrait der westlichen
Nahrungsmittelindustrie. Aber während jener auf seinen Reisen durch die
Schlachthäuser und Großplantagen Europas verstörend klinische,
weitgehend automatisierte Biofabriken fand, liegt in „Fast Food Nation“ der
Fokus auf den menschlichen Arbeitskräften, welche die Lebensmittelmaschinerie
am Laufen halten, und dem Dreck, den sie produziert.
„Es ist Scheiße im Fleisch“, vertraut bereits
zu Beginn des Films der Chef der (fiktiven) Fast Food-Kette Mickey’s seinem
Werbefachmann Don (Greg Kinnear) an und schickt ihn los, beim Zulieferer nach
der Ursache dieses ungustiösen Testergebnisses zu forschen. Auf seiner
Reise zur „Dark Side Of the All-American Meat“ (so der Untertitel von Schlossers
Agitprosa) führt uns Don nicht nur durch die vertikale Firmenhierarchie
von Mickey’s, sondern lernt auch die eine oder andere bittere Wahrheit über
entfesselten Spätkapitalismus – von niemand Geringerem als dem Folk-Weisen
Kris Kristofferson (als geplagtem Rancher der alten Schule) und einem furiosen
Bruce Willis (als menschgewordenes Es expansiven Unternehmertums). „Wir alle
müssen von Zeit zu Zeit ein wenig Scheiße essen“, legt Letzterer
dem engagierten Don eine entspanntere Sicht der betrieblichen und moralischen
Hygiene nahe. Don protestiert entschieden – und verschwindet gleich darauf kleinlaut
und undramatisch aus dem Film, zurück in die Chefetage.
Ähnlich verzwickt gestaltet sich die Lage in
den zwei weiteren Handlungssträngen, die Linklater parallel ausbreitet:
Am unteren Ende der marktwirtschaftlichen Nahrungskette versucht die illegale
mexikanische Immigrantin Sylvia (Catalina Sandino Moreno) vergeblich, sich von
der zermürbenden Schwerarbeit im Fast Food-Großschlachthof fern zu
halten, wo die meisten ihrer Freunde hackeln. Andernorts scheint nicht einmal
der gute, alte Öko-Aktivismus zu greifen: Als die idealistische Mickey’s-Bedienerin
Amber (Ashley Johnson) ihren Job kündigt und mit Gleichgesinnten geknechtete
Rinder freisetzen will, bewegen die sich einfach nicht vom Fleck.
Greenpeace-Belangfilme sehen anders aus, aber dennoch
gerät der Tonfall von „Fast Food Nation“ selten wirklich defätistisch.
Wenn hier am Ende keine Lösungen stehen, dann nicht, weil man das vorher
halt so beschlossen hätte. Im Gegenteil: „Fast Food Nation“ ist formal
wie inhaltlich ein Film auf der Suche, im permanenten Ungleichgewicht – und
das trägt nicht unbeträchtlich zu seinem Reiz und seiner Überzeugungskraft
bei. Vieles wird hier ausprobiert und wenig davon geht bruchlos zusammen: der
grelle, satirische Tonfall zu Beginn des Films nicht mit dem später ins
Zentrum rückenden Melodrama rund um ausgebeutete Einwanderer, die entspannt
dahinwabernden Gespräche der Figuren nicht mit dem breit agitatorischen
Tonfall des Gesamtprojekts. Die Handlungsebenen driften nebeneinander her, anstatt
sich zu verknüpfen, angekündigte Nebenlinien versanden unterwegs und
ein ununterbrochener Reigen an kurzen, markanten Starauftritten bringt die episodisch
zerklüftete Dramaturgie noch zusätzlich ins Schlingern.
Wo Geyrhalter seine Bioindustrielandschaften in zentralperspektivische
Tableaus meißelte, da driftet Linklater rastlos zwischen den Blickwinkeln,
Tonfällen und Problemkomplexen hin und her. Manche Situation gerät
darüber etwas plump, manche Figur ein wenig blutarm, aber insgesamt ist
es erstaunlich, wie Linklater dem streng zweckgerichteten Schema des Ganzen
unentwegt schöne, glaubwürdige und eigensinnige Details abringt. Und
die Seelenruhe, mit der Amerikas derzeit bester Dialog-Regisseur all seinen
Figuren Platz zur ausführlichen Selbsterklärung gönnt, gibt dem
Projekt einen genuin demokratischen Charakter.
Wo aber aktuelle „kritische“ Episodenfilme wie „Bobby“
oder „LA Crash“ am Ende stets die Aufhebung aller sozialen Unterschiede
im kathartischen Ausnahmezustand beschwören, da bleiben die Lebenssphären
von Fabrikarbeitern, Collegestudenten und Topmanagern in „Fast Food Nation“
peinlich getrennt: Nicht ein launisches oder gnädiges Schicksal ordnet
die Menschen hier (wie etwa in „Babel“) in einen größeren Sinnzusammenhang
ein, sondern einfach das ökonomische System, in dem sie sich bewegen und
das Junkfood, das sie mampfen.
In einer der zärtlichsten und grausamsten Szenen
des Films gönnen sich Sylvia und ihr Gatte Raul mit ihrem bitter Ersparten
ein „richtiges“ Dinner. Er im Cowboy-Outfit, sie im Poncho, marschieren die
beiden durch eine mit Fastfood-Lokalen zugepflasterte Einkaufsstraße,
um ihr Geld schließlich in der bemüht rustikalen Filiale einer Barbecue-Kette
zu lassen: Dass Linklater das flüchtige Glück dieses Americana-Stilllebens
zugleich gelten und durchschaubar werden lässt, das macht erst die Größe
von „Fast Food Nation“ aus.
Joachim Schätz
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.falter.at
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Fast Food Nation
Großbritannien / USA 2006 - Regie: Richard Linklater - Darsteller: Greg Kinnear, Patricia Arquette, Ethan Hawke, Luis Guzman, Catalina Sandino Moreno, Lou Taylor Pucci, Avril Lavigne, Kris Kristofferson - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 113 min. - Start: 1.3.2007
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