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Fata
Morgana
Ende
der 1960er Jahre entsteht einer der eigentümlichsten Filme Werner Herzogs.
Selbst erst Mitte Zwanzig bricht der Münchner Regisseur, motiviert durch
den Erfolg seines Erstlingsfilms Lebenszeichen (1968)
mit einer – wie er sagt – „enteigneten Kamera“ und drei Freunden nach Nordafrika
auf, um einen Science Fiction-Film zu drehen. Erzählt, oder besser: Gezeigt
werden soll die Geschichte von außerirdischen Astronauten, die aus einer
fernen Galaxie auf die Erde kommen und dort auf merkwürdige Bilder der
Zivilisation stoßen. Im Verlauf der Dreharbeiten und später im Studio
wird dieses narrative Korsett jedoch wieder fallen gelassen. Die Bilder, die
Herzog aus Afrika (zumeist Nord- und Ostafrika) sowie von der Insel Lanzarote
mitbringt, sind hinreichend exotisch, um selbst dem irdischen Filmzuschauer
den Eindruck von einer außerirdischen Perspektive zu vermitteln.
Fata
Morgana lautet
das Ergebnis – und gleichzeitig das Programm dieses „Roadmovies“. Der Film ist
unterteilt in drei Kapitel: „Schöpfung“, „Paradies“ und „Das Goldene Zeitalter“,
in denen jeweils andere Aspekte auf das Phänomen „Fata Morgana“ zur Geltung
kommen und in denen sich die Bilder von kargen, menschenverlassenen Landschaften
immer mehr mit Zivilisation füllen: zuerst in Form von in der Wüste
umher liegendem Schrott und verlassene Gebäuden und Militäranlage,
schließlich in Form von Menschen, die Herzog in der Wüste findet
und solchen, die er – zum Beispiel auf Lanzarote – zu kurzen Auftritten vor
der Kamera bewegen kann.
Über
den Bildern der drei Kapitel liegen je unterschiedliche Texte, die wie ein Kommentar
funktionieren. Zunächst – in „Schöpfung“ – rezitiert die Filmhistorikerin
Lotte Eisner, der Herzog kurz vor den Dreharbeiten in München kennen gelernt
hatte und zu der er eine intensive Freundschaft entwickelt, einen Maya-Schöpfungsmythos
namens „Popol Vuh“ (so wird auch die Formation des späteren Herzog-Filmmusikers
Florian Fricke heißen). Die brüchige Stimme Eisners bildet einen
eigentümlichen Kontrast zu den Bildern der Wüste, der flirrenden Hitze
und den Luftspiegelungen – die oft genug den Eindruck des „Weltuntergangs“ und
nicht etwa ihrer Entstehung wachrufen. Im zweiten und dritten Teil des Films
unterlegt Herzog seine Bilder mit Gedichten eines verschollenen Poeten seiner
Zeit, die jedoch nicht weniger kontrastiv zu den Bildern stehen. Die dritte
Schicht in Fata
Morgana
bildet die Musik, die zunächst wie wahllos aus dem Archiv zusammengestellt
wirkt, jedoch bald eine eigentümliche Qualität in Form eines zeitgenössischen
Stimmungsbildes zwischen Hoffung und Melancholie gewinnt. So bekommen etwa die
Gesichter der Kalk löschenden Arbeiter in der Südsahara zu Leonard
Cohens traurig-verlorenen Strophen jenen Glanz, den Herzog auf der gesamten
Reise immer wieder einzufangen versucht und der das Extraterrestre seines Films
auszumachen versucht. Die Musik ist es schließlich, die den Bildern in
Fata
Morgana
ihren Ausdruck verleiht und in deren Rhythmus sie am Auge vorbeiziehen.
Fata
Morgana
ist ein Hybrid in mehrfacher Hinsicht. Der Film entstand als visueller Gedankensplitter
während der Dreharbeiten zu Herzogs 1969 erschienenem Dokumentarfilm Die
fliegenden Ärzte von Ostafrika
und kurz bevor er sich an die Produktion seines Spielfilms Auch
Zwerge haben klein angefangen
(1968) begeben hat. Einiges Filmmaterial aus Ost-Afrika und Lanzarote hat schließlich
zusammen mit den Reisebildern Eingang in Fata
Morgana
gefunden. Doch der hybride Charakter zeigt sich auch im Gestus des Films, irgendwo
zwischen Dokumentation, Fiktion und Experiment, Essay und Tagebuch. Dass Fata
Morgana
immer wieder zwischen diesen Formaten changiert, macht den Film seltsam ungreifbar
und zäh. Damit sticht er selbst aus der ansonst auch recht exzentrischen
Arbeit Herzogs zu dieser Zeit heraus und verlangt gerade dem heutigen, eher
an schnelle Schnittrhythmen gewöhnten Zuschauer einiges an Konzentration
und Durchhaltevermögen ab. Doch zwischen den oft minutenlangen Fahrten
mit der Kamera, den Plansequenzen von Landschaften, Menschen, toten und lebendigen
Tieren entwickelt Fata
Morgana
seinen Reiz: Ein persönlicher Film, der die Visionen, die ihm (im Werk
Herzogs bis heute) folgen werden, schon andeutet und vorweg greift und das Bild
der Welt, wie sie der Regisseur wahrnimmt, so deutlich wie kaum später
je wieder transportiert.
Stefan
Höltgen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Fata
Morgana
(1968/70)
BR
Deutschland - 1968/70 - 79 min.
FSK:
ab 6; feiertagsfrei
Prädikat:
besonders wertvoll
Verleih:
Filmverlag
der Autoren
Filmkundliches
Archiv Köln (16 mm)
DVD-Anbieter:
Kinowelt/Arthaus
Erstaufführung:
1.2.1972
Fd-Nummer:
17677
Produktionsfirma:
Werner Herzog
Regie:
Werner Herzog
Buch:
Werner Herzog
Kamera:
Jörg Schmidt-Reitwein
Musik:
Georg
Friedrich Händel
Wolfgang
Amadeus Mozart
Blind
Faith
Leonard
Cohen
Schnitt:
Beate Mainka-Jellinghaus
Darsteller:
Wolfgang
von Ungern-Sternberg
James
William Gledhill
Eugen
des Montagnes
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