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Fear and Loathing in Las Vegas
Der
letzte Trip
"When The Going Gets Wired, The Wired Gets Pro"
"Dieser
Film handelt nicht von Drogen!"Terry Gilliam über "Fear and Loathing
in Las Vegas" bei der UK-Premiere am 19.10.98.
Wenn
dieser Film nach dem gleichnamigen Drogenkultbuch nicht von Drogen handelt,
von was handelt er dann? Hunter S. Thompson, der "Fear and Loathing"
schrieb, meint: "Fear and Loathing ist...ein Fanfarenstoss über dem
verlorenen Schlachtfeld."
Die
Fanfarenschmetterer: Raoul Duke (Hunters alter Ego, von Johnny Depp dargestellt),
ein Journalist und sein Anwalt Dr. Gonzo (Benicio Del Toro). Das Schlachtfeld:
Las Vegas, "die verfluchteste Stadt der Welt, im fauligen Jahr des Herrn
1971". Die beiden treiben "mit zwei Tüten voll Gras, 75 Mescalinpillen,
fünf Blättern reinsten LSDs, einem halben Salzfass voll Kokain, einer
Galaxy von multicolorierten uppers, downers, screamers, laughers, nebst Gallonen
von Tequila, Rum und Bier, reinem Äther, und zwei Dutzend Poppersampullen"
durch diese Hölle der Gangster und Patrioten, werden inmitten von Spielern,
geduldeten Alkoholikern und Sheriffs zusehends paranoider, drehen durch, verwüsten
Hotelräume und halluzinieren die seltsamsten Wahrheiten über das Posthippie-Amerika
Nixons und des Vietnamkrieges.
"Die
60er waren vorüber. Für Tod erklärt in Altamont, bei einem Rolling
Stones-Konzert, als ein junger Schwarzer von Hell's Angels Rowdies zu der Musik
von "Sympathy for the Devil" erstochen wurde."
Gonzo-Journalimus
hat seine Anfänge im amerikanischen Roman der depressiven 30er Jahre und
wurde in den 60er und 70er Jahren durch Hunter S. Thompson zum journalistischen
Genre. Gonzo-Journalismus ist eine supersubjektive Fusion von Roman, Notizen,
Biographie und Dokumentation, die sich frontal gegen den pseudo-objektiven Journalismus
eines Mainstreams stellte. Hunter schloss sich in den 60er Jahren unter anderem
den "Hell's Angels" an und beschrieb in seinem Klassiker "Hell's
Angels: A Strange And Terrible Saga of the Outlaw Motorcycle Gangs" das
Leben "der fetten Rocker". Er behandelte in diesem Dokument die zahlreichen
Klassenaspekte rund um die Gangs und beschrieb explizit das Scheitern der 60er
Bewegung, die "lower/working class" Biker für die Bewegung der
"upper/middle class" Hippies zu gewinnen.
Diese
und andere politische Wahrheiten der Ära reflektiert Hunter auch in seinem
Werk "Fear and Loathing in Las Vegas: A Savage Journey to the Heart of
the American Dream", einer vielschichtigen Eruption von Selbstvernichtung,
Drogenberichterstattung, Wutgestammel, Politikhass, mörderischem Wahnsinn
und Traurigkeit. Aber wie sonst hätte man die amerikanischen 70er, den
Vietnamkrieg, den Post-60er Alptraum beschreiben können? Was wagte man
überhaupt noch zu denken, zu sagen? Wie konnte man das Unaussprechliche
aussprechen? Den Amerikanischen Traum und das Hippietrauma? All das Lächerliche?
All das Schreckliche? All das Verlorene?
"Der
amerikanische Traum wurde zum Alptraum. Für jeden ernsthaften Journalisten
war der einzig mögliche Weg, komplett durchzudrehen und das Ganze als "Gonzo"
zu bezeichnen."
Hunter
S. Thompson plante Fear
and Loathing
ursprünglich als Dokument in purem Gonzo-Stil herauszubringen. Aber das
Geschriebene war inhaltlich so wirr, dass eine uneditierte Veröffentlichung
des Manuskripts unmöglich war. Fear
and Loathing
ist also kein Gonzo-Werk im originalen Sinne, konnte aber durch eine Bearbeitung
über einige wichtige formale und inhaltliche Grenzen hinaus gehen. Hunter
konnte sich so zum idiotischen Drogenfreak stilisieren, und mit der ihm dadurch
zugestandenen Narrenfreiheit die Subkulturen, die Hohepriester des Gonzo- und
Drogenhype, die verlorene "Massenbewegung", alles und jeden der irgendwie
am amerikanischen Alptraum beteiligt ist, verarschen.
"[er
war] ein Mann auf der Flucht, krank genug um total überzeugt von sich zu
sein."
Fear
and Loathing
sucht nach keiner Absolution, keiner Läuterung, keiner Zuflucht ins Private,
in die Religion oder in eine Partei. Das Einzige was zählt, ist der Versuch
die Reise zu durchleben, und dabei den wohlversiegelten Abgrund, der in jedem
von uns liegt, vehement herauszufordern. Das ist der besondere, subversive Kick
von "Fear and Loathing". Über Timothy Leary schreibt Hunter S.
Thompson:
"Nach
West Point (Militärakademie) und Priesterschaft, musste er auf LSD kommen...
verhökerte "Bewusstseins-Erweiterung", ohne dabei ein einziges
Mal an die grimmigen Realitäten zu denken, die auf die lauerten, die ihn
ernst nahmen........ All die pathetisch eifrigen Acidfreaks, die meinen, sie
können sich für drei Dollar das Stück Peace und Understanding
kaufen...die den faulen Kern der vermystizierten Acid-Kultur nicht erkennen
- die verzweifelte Annahme, dass irgend jemand - oder zumindest irgendeine Kraft
- uns zum Ende des Tunnels leiten würde... blinder Glaube in eine höhere
und weisere "Autorität". Der Papst, der General, der Premierminister...
die ganze Leiter bis rauf zu "Gott"."
Man
wundert sich, warum es so lange - 27 Jahre - gedauert hat, bis Fear and Loathing
verfilmt wurde. Das Werk galt als "unverfilmbar", nichts desto trotz,
dass die Filmrechte schon seit Ewigkeiten in Hollywood aufgebahrt lagen. Es
bedurfte eines Retro-Zeitgeist und neuer Hollywood-Cliquen, um sich im fauligen
Jahr des Herrn 1998 an den Film zu wagen. Terry Gilliam (Brazil,
12
Monkeys,
König
der Fischer)
gelang es mit seinen einzigartigen visionären Fähigkeiten, den Film
sehr nahe an die Vorlage heranzubringen. Wie Thompson spielt Gilliam mit wechselnden
Distanz- und Suggestionsmomenten, baut vibrierende Gewaltatmosphären und
groteske Dauertrips ein, vermittelt lustvoll Lächerlichkeit und Weisheit
der beiden delirierenden Charaktere, die sich dem Wahnsinn der Drogen, des Landes,
der sie umgebenden Stadt und der in ihr gefangenen Menschen auf Messers Schneide
stehend ausliefern.
Visuell
orientiert sich Gilliam, einst selbst hauptberuflich ein Zeichner, stark an
den genialen Zeichnungen Ralph Steadmans, der schon die Erstveröffentlichung
von "Fear and Loathing" im Rolling Stones Magazin illustriert hatte.
Vielleicht überkarikiert "Fear and Loathing" der Film gelegentlich
zu vieles, so dass man Mühe hat, die tragenden politischen und menschlichen
Momente wahrzunehmen, aber ein Film "über Idioten" hat nun einmal
weniger Narrenfreiheit als ein Autor, der sich selbst als Freak hinstellt. Das
ist die Realtität des Filmemachens. Auch heute, 27 Jahre nach dem fauligen
Jahr des Herrn 1971, ist das Allgemeine - unser aller Wahnsinn zwischen individuellen
und kollektiven Zwängen - das Unaussprechbarste. Und Drogen führen
uns gesellschaftlich und chemisch in die Bereiche des Unaussprechbaren. Es gibt
keine ehrliche Art, dieses Unaussprechbare zu erklären. Nur die, die rein
gegangen sind, kennen die Wahrheit. Eine Wahrheit, die so bedrohlich ist, dass
wir sie nur in Verkleidungen ertragen können. Die Angst vor uns selbst
und dem Abgrund im Anderen - das ist das Allerschlimmste.
Roya
Jakoby 10.11.1998
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Fear
and Loathing in
FEAR
AND LOATHING IN
USA - 1998 - 116 min. – Scope - Erstaufführung:
24.9.1998/6.4.1999 Video
Regie: Terry Gilliam
Buch: Terry Gilliam, Tony Grisoni, Tod Davies, Alex Cox
Vorlage: nach dem gleichnamigen Roman von Hunter S. Thompson
Kamera: Nicola Pecorini
Musik: Ray Cooper, Jefferson Airplane, Bob Dylan, Janis
Joplin, The Yardbirds, Buffalo Springfield
Schnitt: Lesley Walker
Darsteller:
Johnny Depp (Raoul Duke)
Benicio Del Toro (Dr. Gonzo)
Tobey Maguire (Tramper)
Craig Bierko (Lacerda)
Katherine Helmond (Empfangsdame)
Cameron Diaz (TV-Reporterin)
Lyle Lovett (Musiker)
Harry Dean Stanton (Richter)
Ellen Barkin (Bedienung im North Star)
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