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Fear
and Loathing in
Dies ist, formal gesehen, eine
kreuzbrave Literaturverfilmung. Die Erzählerstimme aus dem Off bleibt während
des ganzen Films präsent und spinnt ihren narrativen Faden. Der Text ist
wörtlich aus Hunter S. Thompsons Buch übernommen. Über das Für
und Wider dieser Art Literaturverfilmung läßt sich lange streiten
und sinnvoll beenden läßt sich dieser wie so mancher Grundsatzstreit
nur durch die Probe aufs Exempel. Und dieses hier, Terry Gilliams siebter Film
(wenn man mal von Python-Co-Regie absieht), ist ein absonderliches Exempel,
denn Thompsons Buch ist ein absonderliches Buch. Ein Experiment in der Darstellung
absonderlicher, durch Drogen aller - und eben, das macht das Experimentelle
des Experiments aus - sehr verschiedener Art, hervorgerufener Zustände.
Nun folgt der Film sehr wohl ganz
ausschließlich der Perspektive des von Johnny Depp sehr, der Neologismus
sei verziehen, störchern gespielten Helden. Wir haben Teil ausschließlich
an den Welten und Abgründen, die sich ihm auftun - was in Dr. Gonzos, Thompsons
Partner, gewiß nicht weniger entsetzlichem und aufregenden Film passiert,
bleibt uns verschlossen. Merkwürdig nur, daß der Film sich nie wirklich
auf diese Trips einläßt, sondern dem Betrachter stets die Orientierung
läßt. Das ist deswegen fatal, weil es eingewöhnter und gar nicht
weiter identifikationsbrechender Brauch der Literatur ist, das Imperfekt raunend
zu beschwören. Das Kino hingegen ist die viel präsentischere Kunst,
einfach weil die Suggestionskraft der Bilder stärker und scheinbar unmittelbarer
ist. Ein Ich-Erzähler, der in der Vergangenheit erzählt, nimmt den
Bildern diese sehr eigene Gewalt und läßt sie zu bloßer Bebilderung
verkommen.
Um es schlicht zu sagen: ich bin
enttäuscht, daß der Film mich nicht überwältigt - und das,
obwohl er den Versuch durchaus zu unternehmen scheint und Bilder sucht für
die Halluzinationen. Immer kommt aber dieser Erzähler dazwischen, der dann
diesem an sich sehr persönlichen Trip auch noch die historische Einordnung
zu verpassen versucht, indem er die glücklichen Tage von San Francisco
nur noch nostalgisch beschwören kann. Die haben nun das böses
Ende genommen, das Hunter S. Thompson beschreibt.
Besonders seltsam ist, zunächst
wenigstens, daß ausgerechnet Terry Gilliam diesen Film ausgerechnet so
gemacht hat. Seine Python-Animationen waren damals faszinierend wegen ihrer
sehr konkret bildlichen Verschlungenheit und Abgründigkeit. Menschen verschwanden
in aufgeklappten Menschenköpfen, die 'Kamera' folgte, bis man nicht mehr
wußte, wo man war und wo man wieder auftauchen würde. Die Zeitlöcher
in 'Time Bandits' folgen genau diesem Muster und auch in 'Brazil' sind verschlungene Abwasser-
und Rohrpostsysteme ein klaustrophobisches Leitmotiv. Dieses konsequent Labyrinthische
aber scheint seitdem, langsam aber allzu sicher, verloren gegangen zu sein.
Die große Stärke von 'Brazil' war gerade,daß es keine eindeutige
Auflösung gibt, daß man rettungslos wegsackt mitsamt der Realität
- das war ja auch der Hauptgrund, warum das Studio damals das Ende ändern
wollte. Der arg unterschätzte 'Münchhausen' war entschärft allein
schon dadurch, daß das die weit optimistischere Märchenvariante war.
Aber 'König
der Fischer' und '12 Monkeys' gehen dann einfach zu
gut auf. In ihren Rätseln kann man sich nicht mehr verlieren, was insbesondere
bei '12 Monkeys' fast ein Wunder ist, denn selten gibt es für Zeitreisefilme
eine derart saubere logische Lösung.
So gesehen ist 'Fear and Loathing'
eine logische Folge dieser Entwicklung, in der ich so gar keinen Gewinn entdecken
kann. Dieses Distanzbedürfnis, dem die entscheidende letzte Konsequenz
früherer Bilderwut abhanden gekommen ist, nimmt den zum Teil immer noch
grandiosen Bilderfindungen ihre Kraft, ohne auf der anderen Seite einen Zugewinn
etwa an Reflexivität oder gar (das möge Gott aber auch verhüten)
Psychologisierung zu bringen. Daher ist 'Fear and Loathing' für mich eine
weitere Enttäuschung, wie alle Gilliam-Filme seit 'König der Fischer',
dem ich einst noch wochenlang entgegengefiebert hatte. Keiner von ihnen ist
wirklich schlecht, aber das Überbordende und Obsessive, das mich bei 'Brazil'
und auch 'Münchhausen' gepackt hat, ist weg. Weiß der Teufel wohin.
Vielleicht ist Terry Gilliam ja erwachsen geworden.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst
erschienen in:
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Fear
and Loathing in
FEAR
AND LOATHING IN
USA - 1998 - 116 min. – Scope - Erstaufführung:
24.9.1998/6.4.1999 Video
Regie: Terry Gilliam
Buch: Terry Gilliam, Tony Grisoni, Tod Davies, Alex Cox
Vorlage: nach dem gleichnamigen Roman von Hunter S. Thompson
Kamera: Nicola Pecorini
Musik: Ray Cooper, Jefferson Airplane, Bob Dylan, Janis
Joplin, The Yardbirds, Buffalo Springfield
Schnitt: Lesley Walker
Darsteller:
Johnny Depp (Raoul Duke)
Benicio Del Toro (Dr. Gonzo)
Tobey Maguire (Tramper)
Craig Bierko (Lacerda)
Katherine Helmond (Empfangsdame)
Cameron Diaz (TV-Reporterin)
Lyle Lovett (Musiker)
Harry Dean Stanton (Richter)
Ellen Barkin (Bedienung im North Star)
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