Felicia, mein Engel
„Felicia, mein Engel“ erzählt eine Geschichte, die mit der Glaubwürdigkeit
ihrer Hauptfiguren steht und fällt. In William Trevors Romanvorlage war Felicia
von schwer zu ertragender Begriffsstutzigkeit und Hilditch einfach ein weiteres
der sattsam bekannten Mädchen-Töter-Monster mit Mutterkomplex. Atom Egoyan und
seinen beiden Hauptdarstellern gelingt es jedoch - und zwar, ohne viel zu
verändern - eine Komplexität in die beiden Charaktere und ihre Verhältnisse
einzuziehen, die dem Roman (trotz der viel größeren Entwicklungsmöglichkeiten
des Mediums) noch fehlt.
Tiefe und Rätselhaftigkeit sind es nicht, die dabei entstehen. Die beiden
Figuren sind schnell erklärt, ihre Geschichten schnell erzählt. Felicia, die an
die Untreue des Mannes, von dem sie ein Kind erwartet, nicht glauben kann, der
nicht einmal der Gedanke an ihre Möglichkeit kommt; und ihre Suche. Hilditch,
der, von seiner Mutter als Kind gequält, Rache nimmt an jungen Frauen (und im
Beruf, subtiler, an Köchen, die ihm - und damit seiner Mutter - nicht gewachsen
sind), denen er, zuerst, selbstlos, hilft, die er dann, ebenso selbstlos,
möchte man sagen, tötet. Beide haben, wenn der Film beginnt, eine
Vorgeschichte, die der Film, nachholend, in Rückblenden, erzählt.
Diese Vorgeschichte erläutert die Figuren, macht ihr Verhalten begreiflicher
- und doch erklärt er sie nicht restlos. In ihrer Präsenz liegt ein Überschuss
über ihre Vorgeschichte (und damit auch über allzu simpel gestrickte - hier sehr wörtlich zu nehmende -
Küchenpsychologie). Felicia ist geprägt durch die religiöse und soziale
Borniertheit ihrer irischen Herkunft, Hilditch ist an seine tote Mutter
gefesselt, lässt sie, wiederholend, nicht durcharbeitend, wieder auferstehen
wie Norman Bates die seine. Beides konstatiert der Film und zeigt es. Und doch
klafft zwischen der Präsenz Felicias, der Präsenz Hilditchs, und ihrer
Geschichte, anders noch als im Roman, eine Lücke. Diese ist betont und
verstärkt durch die technicolorsatte Farbigkeit (und damit Un- oder
Überwirklichkeit) der Bilder, die Eleganz der Inszenierung, die Konzentration auf die beiden Hauptdarsteller. Und nur in
dieser Lücke liegt die Faszination des Films.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen bei:
Felicia, mein Engel
Kanada 1999
Regie: Atom Egoyan
Mit Elaine Cassidy, Bob Hoskins