Der Felsen
Zeichensprache
Handlung bezeichnet einen physischen Prozeß, eine Gebärde, und als
solche ein Zeichen, das in chronologischer Kontinuität einem
narrativen Konzept von Handlung entspricht. Jemand agiert, etwas
geschieht. Alles andere ist Metaphorik. Dieses Prinzip umzukehren,
verfolgt "Der Felsen": Er segmentiert Handlung in abstrakte
Bedeutungsebenen, von denen jede die anderen vorwärtstreibt und den
Schlüssel zu deren Verständnis hält. Zuerst: eine Narration, die sich
als kausale Kette nicht über das Handeln von Personen konstituiert,
sondern durch die Verknüpfung von Gegenständen, von Bezugspunkten,
die eine Form filmischer Ontologie definieren. Artefakte erzählen
Geschichte und erschaffen sie gleichzeitig, indem sie den Handlungen
eine schicksalhafte Notwendigkeit verleihen. Eine solch
(re)konstruierte Geschichte, im Sinne von Historie wie von Erzählung,
erhält allerdings nicht die Immanenz eines Artefaktes, es sei denn
durch das konservierende Auge der Kamera. Deswegen ist "Der Felsen"
ein Stück grobkörniger Erinnerung, zu unwirklich, um scharf zu sein,
zu spontan, um konstruiert zu sein. Die Unsicherheit des Filmbildes
hat dialektische Funktion, indem es transzendiert, was Realität zu
sein vorgibt. Dadurch stellt sich das Dokumentarische, das
DV-Ästhetik allerorten zu emanieren sucht, selbst in Frage, so daß
sich gar die Psychologisierung der Protagonisten nicht auf die Macht
des Bildes und seiner Darsteller verläßt, sondern als zusätzliche
Erzählerinstanz, als Voice-Over offenbart.
Zweifellos, "Der Felsen" ist Kunst, doch sei gefragt, ob er
außerhalb seines Korsetts von Kunstbegriffen, bei aller Kodierung
noch lesbar ist. Die Strenge, mit der Graf sein Werk in jedem Aspekt
als Kunst denotiert, versetzt es in eine Abhängigkeit zu seinen
Mitteln, die nicht zwangsweise Sinn macht und den Intellektualismus
bisweilen ebenso übertreibt wie diese Filmkritik.
Matthias Grimm
Dieser Text ist zuerst erschienen im:
Zu diesem Film gibt es im filmzentrale-Archiv mehrere Kritiken.
Der Felsen
D 2001. R,B: Dominik Graf. B: Markus
Busch. K: Benedict Neuenfels. S: Hana
Müllner. M: Dieter Schleip. P: MTM,
Kinowelt, Bavaria. D: Karoline Eichhorn,
Antonio Wannek, Ralph Herforth, Peter
Lohmeyer u.a. Concorde ab 25.7.02