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Das
Fest
Meist sind es Horrorfilme, die ihr Personal auf engem
Raum zusammenpferchen und dort unter Druck setzen, von außen wie von innen.
In gewissem Sinne ist auch 'Das Fest' ein Horrorfilm - aber der Schrecken, der
hier umgeht, ist einer nicht der äußerlichen sondern der inneren
Verwüstungen. Das titelgebende Fest, die Feier zum 60. Geburtstag des Hausherrn,
entwickelt sich, ohne daß aber zuvor je der Eindruck einer Idylle entstehen
könnte, zum veritablen Schlachtfest von wiederum kaum äußerer
Blutigkeit. Doch die lieben Verwandten, die hier zusammentreffen, laufen herum
wie offene Messer - versehrt von unheilbaren Untaten, deren Aufdeckung, Anamnese
versucht und zugleich verdrängt wird, ohne daß am Ende so etwas wie
Katharsis oder gar Heilung stehen könnte. 'Das Fest' zerlegt jeden Mythos
von der schützenden Familie - zeigt diese stattdessen ohne Pardon als heillosen
Ort.
Beruhigungen sind nur momentan,
für einen kurzen Dialog vielleicht, aber sogleich kommt die Handkamera
wieder zu sich selbst und zum Rhythmus, den sie der Geschichte einer familialen
Rache gibt. Der vermeintliche home-movie-Dokumentarstil täuscht: die Unruhe ist Folge bewußten
inszenatorischen Kalküls, ja Raffinements. Die Zooms (auf Gegenstände),
die Positionen (von unten z.B.), die Verzerrungen (Froschauge), Unschärfen
sind klug und effektbewußt, also gerade nicht effekthascherisch, gewählt.
Eine dreifach-Parallellmontage mit sich steigerndem Tempo zu Beginn ist ein
artistischer Parforceritt für sich - und erfüllt ihren Zweck der sowohl
momentan als auch im Rahmen der Geschichte gewollten Zuspitzung der Beziehungen
ganz famos.
Um nichts anderes als Beziehungen
geht es in dem Film. Zwischen Eltern und Kindern, Brüdern und Schwestern,
Lebenden und Toten. Diese Beziehungen sind so wenig stabil wie die Relationierung,
die die Kamera leistet. Keine friedliche Oberfläche bleibt das für
lange. Zugleich aber bleibt alles Aufbrechen der Oberflächen seltsam folgenlos,
bietet kein Ventil für die Aggressivität, die den Film von Beginn
an beherrscht. Beinahe greift auch die Rede von Latenz und Manifestation nicht.
Einige wenige Male bricht die Gewalt brutal aus, folgt aber nicht der Logik
des Vergehens oder Verbrechens und seiner Sühne, sondern alleine der Logik
des Verrats, oder der Störung der Familienräson.
Der offene Mißbrauchs-Vorwurf
des Sohnes an den Vater zeigt das deutlich: der Schock bleibt zunächst
aus (nicht für den Zuschauer, aber für die Beteiligten), man macht
nach kurzem Zögern weiter wie bisher, beseitigt nur den Störer. Erst
dessen Insistenz und die unabweisbare Insistenz der Wahrheit lenken die Aggression
auf den eigentlichen Täter. Dessen Tat ist es aber zuletzt, ein Störenfried
für das Fest geworden zu sein. Beim Frühstück, das man am Ende
gemeinsam einnimt, als wäre nichts gewesen, entschuldigt er sich. Das aber
hat sowenig Wirkung wie die ersten Vorwürfe des Sohnes. Die Auseinandersetzung
mit der Tat findet nicht statt - man bittet ihn höflich darum, den Raum
zu verlassen. Dann wird das Frühstück fortgesetzt. Keine Befreiung,
keine Sühne, keine Katharsis. Nirgends. Die Restitution der Hölle,
die die Familie ist als eines Ortes, von dem man nicht fliehen kann, und schlimmer
noch: gar nicht wirklich fliehen wollen kann (man kann immer nur davonlaufen
wollen; das aber ist die festeste Bindung), hat zuletzt stattgefunden.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Jump Cut
Zu diesem Film gibt es im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Das
Fest
(Festen)
Dänemark,
Schweden 1998, 105 Minuten
Regie:
Thomas Vinterberg
Drehbuch:
Thomas Vinterberg, Mogens Rukov
Musik:
Lars Bo Jensen
Director
of Photography: Anthony Dod Mantle
Schnitt:
Valdis Óskarsdóttir
Darsteller:
Ulrich Thomsen (Christian Klingenfeldt, älterer Sohn), Henning Moritzen
(Helge Klingenfeldt, Vater), Thomas Bo Larsen (Michael Klingenfeldt, jüngerer
Sohn), Paprika Steen (Helen Klingenfeldt), Tochter), Birthe Neumann (Mutter),
Trine Dyrholm (Pia), Helle Dolleris (Mette, Michaels Frau), Therese Glahn (Michelle),
Klaus Bondam (Helmut von Sachs, Zeremonienmeister), Bjarne Henriksen (Kim, Koch),
Gbatokai Dakinah (Gbatokai, Freund Helenes), Lasse Lunderskov (Onkel), Lars
Brygmann (Empfangschef), Lene Laub Oksen (Linda Klingenfeldt, Christians Zwillingsschwester),
Linda Laursen (Birthe), John Boas (Großvater), Erna Boas (Großmutter),
zahlreiche Gäste, Personal und Kinder sowie Thomas Vinterberg als Taxifahrer
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