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Fette
Welt
Unser
aller Lieblingskieferorthopädieverweigerer Jürgen Vogel ist mal wieder
auf Leinwand. Diesmal heißt der Film 'Fette Welt' und ist von Jan Schütte
('Drachenfutter', 'Auf Wiedersehen Amerika'). Aber keine Hektik, wo Vogel draufsteht,
steht auch Vogel drauf: den netten Loser geben. Eben.
Der
Loser hört auf den sinnigen Namen Hagen Trinker, trinkt tatsächlich
und führt im Übrigen kein wirklich abwechslungsreiches Leben: er ist
obdachlos, Teil einer Obdachlosenclique, Flaschenhals aller Obdachlosenklischees.
Daß uns hier ein schaurig-schönes Paralleluniversum vorgeführt
werden soll, das wir leicht mitleidig und angewidert aus hygienischer Entfernung
goutieren dürfen, macht der Film schnell klar durch der Gegenüberstellung
eines gutbürgerlichen Begräbnisses mit dem Verscharren eines Penners
in der Friedhofsecke. Auf Spielfilmdauer wäre die Trostlosigkeit dieser
Obdachlosenwelt natürlich schnell erschöpft und langweilig, deshalb
wird ihr eine gutbekannte Abgesandte des Normalo-Biotops zuaddiert: Hagen Trinker
trifft bei den Schließfächern im Hauptbahnhof auf eine minderjährige
Ausreißerin aus gutem oder zumindest solidem Hause.
Na
toll, hab ich gedacht, jetzt folgt Verlieben, Krise, Läuterung und Happy
End und wurde überrascht: Drehbuchstationen eins und vier werden zwar abgehakt,
Trinker und das Mädchen verlieben sich irgendwie und zum Schluß stehen
beide zwar getrennt, doch besser da, aber einen Bogen zwischen Anfang und Ende
baut der Film nicht. Was als dramatische und sozialgrabenüberwindende Romeo-und-Julia-Romanze
sich andeutet, verpufft erstaunlich folgenlos: Julias größtes Problem
ist nämlich ihre Defloration - und nachdem die erfolgreich vollzogen wurde,
geht es widerstandslos heim zu Mami und Papi. Romeo Hagen Trinker fängt
hingegen genauso unmotiviert, wie er Penner ist, mit Jobben an und weiß
nach wie vor nicht, was das eigentlich alles soll.
Im
Grunde paßt diese Folgenlosigkeit der Handlungsstränge aber sehr
gut zu der Unentschlossenheit, mit der der ganze Film auftritt. Mal präsentiert
er sich als Panoptikum obdachloser Befindlichkeit, in dem wir Nutten beim Pinkeln
zuschauen dürfen, in dem Puffmuttis wie weiland Domenica aussehen, in dem
sich eine dick vermummte Alkoholikerin nach vollzogenem Blowjob lasziv mit "Danke
schön" verabschiedet, nicht ohne vorher theatralisch ausgespieen zu
haben. Dann wieder ergießt sich die Kamera in schwelgende Totalen von
Bahnhöfen im Abendrot, Baustellen im Morgenrot und Gleisen, Gleisen, Gleisen.
Die gelten aber spätestens seit Jennifer Beals in 'Flashdance' auf ihnen
rumgestakst ist, nicht mehr als romantisch. Zwischendurch muß noch eine
gehörige Portion Sozialkritik untergebracht werden: die Sozialarbeiter
sind überfordert, die Bullen arrogant bis aggressiv, der Normalbürger
Herr Bauarbeiter und Frau Verkäuferin wären damals ohne Frage Blockwart
geworden.
So
erzählt 'Fette Welt' zuguterletzt also von rein gar nichts: weder von einer
schwierigen Liebe, noch von einem schwierigen Milieu, noch von einer schwierigen
Biographie. 'Fette Welt' ist böse gesagt eine handvoll in die Obdachlosenwelt
transportierte GZSZ-Folgen, in denen die Leinwand sich ohne viel Aufwand mit
aufregend-abstoßenden Eigenbrötlern beschicken läßt und
das Elend der Staffage dient.
Urs
Richter
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Fette
Welt
Jan
Schütte,Deutschland 1998
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