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Fickende
Fische
Gefühlsechter
Bastelbogen
"Fickende
Fische" - Almut Gettos Langfilmdebüt
Es
ist ein Unterschied, ob man weiß, wie man etwas zu sagen hat, oder wie
man etwas ausdrücken will. Almut Getto wusste, was sie wollte: "Ich
wollte eine Liebesgeschichte mit tragischem Hintergrund erzählen, über
die man trotzdem ab und zu auch lachen kann." Es geht um Wirkungen, nicht
um Inhalte. Letztere sind nur dazu da, erstere hervorzurufen. Wir brauchen noch
einen tragischen Hintergrund, hat jemand einen Vorschlag?
So
oder ähnlich dürfte die Regisseurin und Drehbuchautorin auf die Idee
gekommen sein, ihre Hauptfigur Jan mit Aids zu infizieren. Das wird keiner verwerflich
finden. Schließlich sterben in Filmen Myriaden von Figuren zum Zweck der
Wirkung. Und so ist auch der Schluss von "Fickende Fische" zu verstehen.
Nach einer aufgetürmten Zufallskonstruktion von Bremselementen, retardierenden
Momenten, kulminiert die gesamte Problematik in Grund und Boden - sie geht baden.
Der Film hatte sich eine große Aufgabe vorgenommen und sie nicht lösen,
aber unbedingt auflösen wollen. Die Thematik wurde in eine geschlossene
Dramaturgie verpackt - nicht der Aussage wegen: denn die wäre, wenn nicht
feige, so doch Mut nehmend. Sondern, nochmals, der Zuschauerbefriedigung wegen.
Das nennt man Kitsch.
Der
HIV-verseuchte 16-jährige Jan stößt zufällig mit der gleichaltrigen
Nina zusammen. Und dann stößt derselbe noch einmal ebenso zufällig
mit derselben zusammen. Hier A, da B - macht AB. Um die Synthese besonders sichtbar
zu machen, werden die beiden Elemente mit Gegensätzlichkeit ausgestattet.
Er schüchtern, sie frech. Er umsorgt, sie aus chaotischem Haus. Er ein
Reinfresser, sie eine Rauslasserin usw. Als hätte man in diesem Alter nicht
schon allein mit dem geschlechtlichen Unterschied genügend Unlösbarkeiten
zu verdauen.
Mit
der Erfüllung dieser Charakterzuweisungen sind die Schauspieler Tino Mewes
und Sophie Rogall zwangsläufig überfordert. Es wird peinlich. Und
wenn diese Peinlichkeit nicht unfreiwillig wäre, sondern inszeniert, hätte
man sie als das bis zur Atembeschwerde klemmige Teenagergefühl zu verstehen,
hätte man sich mit Frösteln an die eigene Vergangenheit erinnern können.
So windet man sich aber für andere: für Nina, die denkt, ein Frechdachs
zu sein, aber doch eher wie eine früh altklug gewordene Herbergsmutter
wirkt, was nicht zuletzt an ihrer von Abnutzung auspolierten Schlagfertigkeit
liegt. Auf einmal bekommen "cool", "endschön" und "abgefahren"
einen Beigeschmack der fünfziger Jahre. Einer ähnlichen durchboxten
Verschämtheit hat der Film denn auch seinen bescheuerten Titel zu verdanken.
Auch peinlich. Jan muss lauter ausgedachte Dinge tun, um die ausgefriemelte
H2O-Motivik des Films zu bedienen: Luft anhalten, untertauchen, sich blau anmalen,
im Regen herumsitzen .
Das
einzig Menschliche, das dieser Mitgefühlfilm weckt, ist Anteilnahme mit
den Schauspielern, die sich in offenbarem Vertrauen, voller Set-Seligkeit für
einen Bastelbogen hergeben. Bis auf den kinnlosen bebrillten Fischverkäufer,
der sehr gut kinnlos und bebrillt spielt.
Andreas
Höfers bewegte Kamera schwimmt mit. Sie glubscht etwas träge wie durch
eine Taucherbrille. So geben Fische in Aquarien Blicke zurück in eine Welt,
die ihnen ziemlich seltsam erscheinen muss. Das ist sehr geschickt und zumindest
offener distanziert zu diesen fremden juvenilen Wesen als die formale Anteilnahme
der Regisseurin. In den Unterwasserszenen wird es dann aber sehr synthetisch:
Zwischen dem kühlhausblau ausgeleuchteten Halberwachsenenfleisch schwimmen
computeranimierte Leuchtstoff-fische in Zeitlupe zu elektrischer Desinfektionsmusik.
Echte Fische erwiesen sich als zu dumm, um den Vorstellungen der Regisseurin
zu entsprechen. Aber vielleicht waren die dummen Fische auch einfach zu echt.
Ulrich
Seidler
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der Berliner Zeitung
Fickende
Fische
Deutschland
2002 - Regie: Almut Getto - Darsteller: Sophie Rogall, Tino Mewes, Annette Uhlen,
Hans-Martin Stier, Ferdinand Dux, Angelika Milster, Jürgen Tonkel, Uwe
Rohde, Ellen ten Damme - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
103 min. - Start: 15.8.2002
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