zur
startseite
zum
archiv
Fight
Club
Vive
la Asozialisation!
David
Finchers groteske Gewaltorgie ist nicht ‚der’ endgültige Film über
Leben und Tod, nicht ‚das’ rohe Kunstwerk, dessen Innenleben die Seele der gegenwärtigen
Kultur im brutalen Zweikampf auseinander dividiert, der Film ist weniger sozialkritisch
als asozialisierend, die inhaltliche Perversion eines theoretischen Konstrukts,
das weniger nach dem Ursprung von Mann-Sein und Mensch-Sein sucht, sondern nach
einem Ausweg in den Nihilismus forscht, gesellschaftliches Chaos ergründet,
eine visuelle Flucht in abseitige Realitäten. Der Film selbst ist Metapher
und metaphorische Auseinandersetzung mit sozialer Gegenwart, ist inhaltlich
an der Analyse schizophrener gesellschaftlicher Auswüchse interessiert,
seziert das Herz der auseinanderbrechenden, vereinsamenden und individualisierenden
Konsum-Kultur, deren anatomische Struktur nicht durch Plastik und Silikon allein
zusammengehalten wird, sondern nach wie vor auf das Bewusstsein und Dasein des
Menschen baut.
Eine
Gesellschaft ad absurdum. Der namenlose Erzähler (Edward Norton) ist Hauptperson
und lebendige Nebensächlichkeit in einem. Gebunden an das portionierte
Credo der Durchschnittlichkeit und des kulturellen Untertauchens in der grobschlächtigen
Masse katalogisierter Lebensträume, existiert der Angestellte einer Autofirma
primär für sich selbst. Er, der Namenlose, hat keine Träume,
keine erkennbaren sozialen Beziehungen, sieht man von den virtuellen Suggestionen
aus Werbung und Fernsehen ab, jenen vorgegaukelten Lebensentwürfen, die
fernab von individueller Entfaltung in einer kantigen Umwelt, dem Drang nach
Gleichheit in Bedeutungslosigkeit Rechnung tragen. Es ist eine emotional und
in vielfacher Hinsicht auch klinisch morbide Welt in der die Namenlosigkeit,
diese exemplarisch gleichmachende Symbolik für das Bild des maskulinen
Normalos, einem tiefen Fall in seelische und körperliche Gleichgültigkeit
ähnelt. Der Besuch von Selbsthilfegruppen körperlich Kranker ist für
den Erzähler zugleich heilsame Kur und bindende Sucht. Nur in der Umgebung
Sterbender, indem er sein Schicksal mit dem Schicksal Krebskranker relativiert,
findet er so etwas wie Emotionalität, in dem Bewusstsein innerhalb einer
todkranken Gesellschaft nicht unheilbar krank zu sein, liegt für ihn mehr
als Hoffnung, innere Ausgeglichenheit - ja sogar von Glück könnte
die Rede sein.
Doch
selbst diese bizarre Art der Selbsterfahrung bietet dem Erzähler nicht
annähernd das emotionale Spektrum nach dem er sucht. Sobald Marla Singer
(Helena Bonham Carter), eine weitere „Selbsthilfe-Touristin“, seine Leidenswelt
durchbricht, indem sie mit ihrer Anwesenheit seinen Lügen ihren Spiegel
vorhält, braucht er neben der seelischen Tortur auch die körperliche
Grenzerfahrung. Was ihm nicht bewusst ist, führt ihm Tyler Durden (Brad
Pitt) vor Augen, jener Anarchie predigende Prophet, dessen Zynismus keine moralischen
Grenzen kennt, um dieser ‚missratenen’ Gesellschaft mit militaristischer Entschlossenheit
eine Art ‚Guerilla-Krieg der Moral’ entgegenzuhalten. Tyler ist anders. Nicht
gefangen in sozialen Zwängen, kulturellen Maßstäben oder religiösen
Riten, scheint er außerhalb des Systems zu stehen, das er mit all seiner
Existenz verachtet. Betäubt von Tylers geradezu prophetischen Anziehungskraft
werden der Namenlose und sein „Befreier“ Partner, Verbündete, vielleicht
gar Freunde, deren tägliches Miteinander zu einer obskuren Mission wird.
Es beginnt mit einem Schlag ins Gesicht und nimmt seinen Lauf in der Gründung
des sogenannten Fight Clubs, eine Epidemie, die nur allzu schnell einen ganzen
Kulturkreis befällt. Allabendlich treffen sich Männer jeden Alters,
jeder Hautfarbe und Konfession im Kellergebäude einer Bar, um ihren inhaltlosen,
emotional leeren Leben zu entfliehen. Sie schlagen sich, kratzen, treten, stoßen
bis das Blut in Wallung gerät, bis jeder Muskel bis zum Bersten angespannt
und belastet ist, jeder Knochen zu brechen droht und jede Nervenfaser ihren
ganz eigenen elektrischen Impuls aussendet, denn in dieser ekstatischen Grenzerfahrung
fangen diese Männer an zu sein, zu leben, zu existieren, ihrer Sinnlosigkeit
wird der essentielle Wunsch zu überleben entgegengesetzt. Gewalt ist Emotion,
Schmerz der intensivste Ausdruck für die körperliche Auseinandersetzung,
ein Beweis für das Sein. Seelischer Schmerz besitzt für diese Männer
in ihrer ganz eigenen Agonie keine Bedeutung, schließlich ist der kämpfende
Mann von heute innerlich leer, lebt in Sinnlosigkeit, Einsamkeit, Monotonie
des Konsums.
Bis
zu diesem Punkt ist Finchers Film eine bleierne Metapher auf das Wesen der amerikanischen
Kultur, eine Satire, deren Humor sich zwischen derb und herb immer wieder abwechselt.
Fight
Club
ist böse, schmutzig und in gewissem Sinne doppelt hinterhältig, schließlich
sorgt der manipulative Erzählstil nicht nur für eine physiognomische
Überraschung im Anklang des psychoanalytischen Finales, sondern verblüfft
auch in der Vermittlung unterschwelliger Botschaften. Es geht um kulturellen
Verfall, den Verlust gesellschaftlicher Identität inmitten eines Sammelsuriums
aus Markennamen und künstlichen Produkten in deren Anwesenheit jedwedes
Empfinden für Persönlichkeit und Persönliches verloren geht.
Nicht umsonst proklamiert der zweigesichtige Agitator der Handlung seine ganz
eigene Chaos-Ideologie als „den ganzheitlichen Verlust zur Möglichkeit
der freien Entfaltung“. Das repressive gesellschaftliche Bild zu zerstören
ist das erklärte Ziel von Tyler Durden, der insgeheim das „Projekt Chaos“
ins Leben ruft und mitsamt einer faschistoiden Gemeinschaft, die sich aus treuen
Anhängern, der inzwischen im ganzen Land existenten Kampfclubs rekrutiert,
nach Anarchie und einem ideellen Neuanfang strebt. Die theoretische Ideologie
vom gesellschaftlichen Chaos findet ihre praktische Selbstverwirklichung in
der anarchistischen Gemeinschaft, die nach nichts anderem strebt als völliger
Freiheit, deren aktuell bedingtes Merkmal nur der Verlust der individuellen
Persönlichkeit und in diesem Fall ganz konkret der allgemeine Verlust materiellen
Besitzes sein kann. Ab da büßt der Film an inhaltlicher Prägnanz
ein, jedoch nicht an inszenierter Komplexität, besteht doch kein Zweifel,
dass dem Zuschauer ein hohes Abstraktionsvermögen zugerechnet wird, um
das bitterböse Spiel mit brechenden Knochen und blutenden Wunden nicht
als primär gewaltverherrlichende Orgie zu betrachten. Finchers Opus ist
in dieser Hinsicht strittig, zu keiner Zeit aber leichtfertig, was die aufkommenden
Fragen nach Sinn und Zweck dieser plastischen Massenschlägerei betrifft.
Der Film ist eminent verwundbar, betrachtet man die abseitige Kleinproduktion
als manipulierendes und durchgestyltes Mainstream-Produkt, das nichts anderes
will, als viel propagieren, um doch nur den einfachen Schaueffekten zu genügen
und allegorisch zu unterhalten.
Doch
so einfach ist Fight
Club
nicht gestrickt. David Fincher stützt sich in seinem Film nachhaltig auf
die gleichnamige literarische Vorlage von Chuck Paulahniuk, dessen Roman – ähnlich
wie beispielsweise Couplands „Generation X“, jedoch um ein vielfaches satirischer
und böser – das Bild der amerikanischen Wohlstandsgesellschaft um ihre
dunklen, repressiven und vereinsamenden Seiten erhellt. Das ist faszinierend,
in Buchform genauso wie im Film, weil sich gelebte Realität so auf der
Leinwand in ihrer extremsten Form verstehen, vielleicht sogar nachempfinden
lässt. Finchers Film ist ein schwerer Brocken, inhaltlich komplex, weil
irreführend verstrickt und in seiner Symbolik verstörend offen. Selten
hat ein gewalttätiger Film seine Brutalität so offenkundig zur Schau
gestellt und gleichzeitig so tief in die Magengrube eines Publikums gezielt,
das sich entweder vor Schmerzen krümmt und in Kontinguität verharrt
oder allenthalben peinlich berührt den Rückzug antritt, weg vom bedrückenden
Nichts, raus aus dem Kino, rückwärts in die Wirklichkeit.
Patrick
Joseph
Dieser
Text ist zuerst erschienen bei: www.ciao.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
Fight
Club
FIGHT
CLUB
USA
- 1999 - 139 min. - Scope
FSK:
ab 18; feiertagsfrei
Prädikat:
besonders wertvoll
Verleih:
Twentieth Century Fox
Fox
Home (Video)
Erstaufführung:
11.11.1999/18.5.2000 Video
Fd-Nummer:
33963
Produktionsfirma:
Art Linson Films Prod./Fox 2000 Pictures/Regency Enterprises
Produktion:
Art Linson
Cean
Chaffin
Ross
Grayson Bell
Regie:
David Fincher
Buch:
Jim Uhls
Vorlage:
nach dem gleichnamigen Roman von Chuck Palahniuk
Kamera:
Jeff Cronenweth
Musik:
The Dust Brothers
Schnitt:
James Haygood
Darsteller:
Edward
Norton (Erzähler)
Brad
Pitt (Tyler Durden)
Meat
Loaf Aday (Robert Paulsen)
Helena
Bonham Carter (Marla Singer)
Jared
Leto (Angel Face)
Zach
Grenier (Manager)
Eion
Bailey (Ricky)
zur
startseite
zum
archiv