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Film
as a Subversive Art
Als
Amos Vogel sein Bürozimmer - eigentlich eher ein kleines Abstellkämmerchen,
darin die so chaotische wie faszinierende Sammlung eines Lebens an Zeitungssausschnitten,
Fotos und ausgeschnittenen Bildern - durchwühlt, bleibt in seinen Händen
eine extrem vergrößerte Ansicht eines Fliegenkopfes im DINA4-Format
hängen. "It's amazing", kommentiert er das Bild kurz darauf,
das auch einem Horrorfilm entstammen könnte, "it's all biological,
nature. But
to take this photograph and make us see this, people had to built several technical
devices." Der
Blick durch die Linse, auf fotografischem Material festgehalten, ermöglicht
es dem Menschen, seine natürlichen Sehgewohnheiten zu überwinden und
sich neue Realitäten, neue Standpunkte zu konstruieren. Mit wenigen Worten
findet sich Amos Vogels Lebensprojekt - die stete Suche nach diesen neuen Realitäten
oder auch "new truths", wie er sie in dieser Dokumentation an einer
Stelle nennt - auf den Punkt gebracht, ohne deshalb geschmälert zu sein.
"It's
about visual sensibility,", so Vogels erste Worte in diesem Film, "forms
and shape. That's what interested me in movies." Der
Film setzt diese Präambel umgehend in ein Bild um: Graue Flächen,
schlierig-weiße Flecken darauf. Erst als sich Füße darüber
bewegen, wird ersichtlich, dass allein durch Wahl der Kameraposition, ohne sonstige
technische Hilfsmittel, ein ganz gewöhnlicher Zebrastreifen für den
ersten Blick zur Unkenntlichkeit verfremdet wurde.
Doch
es bleibt bei solchen vereinzelten Spitzen, in denen Paul Cronins Dokumentation
sich selbst zu einem experimentellem Film aufschwingt. Jenseits dessen ist man
oral history pur und geradezu klassisch konventionell. Das ist beileibe nichts
Schlechtes, im Gegenteil, denn als Filmfreund ist es kaum möglich, von
Amos Vogels Biografie und seinen Anekdoten zur Geschichte des legendären
Filmclubs Cinema 16, den er 1947 in New York gründete, um endlich all jene
Avantgarde- und Experimentalfilme sehen zu können, von denen er soviel
gelesen hatte, nicht begeistert zu sein. Cronin folgt Vogel an verschiedene,
für dessen Biografie relevante Orte in New York und lässt ihn, wie
andere Zeitgenossen und Cinema-16-Kollegen zu Wort kommen. Angereichert durch
so seltenes wie faszinierendes Material aus dem Experimentalfilm, entsteht so
eine spannende Geschichte einer wegweisenden Film Society, die in ihren Blütezeiten
mehrmals täglich ein Kino mit 1600 Plätzen füllen konnte und
ohne die der heutige Film vermutlich nicht das wäre, was er heute ist.
Dramatisch wird es, wenn Vogel, selbst österreichischer Jude und Flüchtling
vor dem Dritten Reich, den Propagandafilm Der
ewige Jude
(D 1940) zeigen will und die Zensurbehörde den Film kurzerhand (zunächst)
beschlagnahmt. Dass er diesen Film dennoch zeigen konnte, dass die Vorführung
zu einer der interessantesten in der Geschichte des Filmclubs überhaupt
wurde, erzählt Vogel nicht ohne Stolz und man glaubt das diesem alten,
wachen Mann ohne weiteres. Schön wird es dann, wenn Hitchcock sich für
eine Vorführung anmeldet und statt der in Aussicht gestellten zwei Rollen
seines soeben vollendeten The
Man, who knew too much
(USA 1956) überraschend den gesamten Film im Gepäck hat und diesen
auch gerne in voller Länge zeigen möchte - "if you don't mind."
Ein leichtes Glitzern ist da in Vogels Augen zu sehen, als er davon berichtet,
wie Hitch im Folgenden zudem brav jede Frage aus dem Publikum beantwortet. Etwas
Neid kommt auf: Das erfüllte Leben, auf das dieser Mensch zurückblicken
kann, scheint, trotz aller Tragik der Flucht, unvergleichbar.
So
schön und spannend dieser Film auch ist, so unbefriedigend ist er in gewisser
Hinsicht auch: Wenn Vogel in seiner New Yorker Wohnung zu erzählen beginnt,
wandern die eigenen Augen unweigerlich herum. Wie gerne man doch dieses überfüllte
Buchregal im Hintergrund doch jetzt in diesem Moment durchforsten möchte.
Und dann da hinten, dieser ominöse Pappkarton, mit der kritzeligen Aufschrift
"Videotapes" - welche Schätze verbergen sich wohl darin? Und
dann erst das Archiv neben eingangs erwähntem Büro: Aktenschränke,
übervolle Kartons, darinnen Notizen noch aus Österreich, Bilder, Tausende
von Kinoprogrammen von vor Jahrzehnten. Überall möchte man hineinsehen,
forschen, entdecken. Und von den immer wieder eingeschnittenen Ausschnitten
experimenteller Filme mal ganz zu schweigen: Faszinierend sehen sie aus, man
rebelliert fast dagegen an, wenn der Schnitt uns zurück in die Doku, ins
New York der Jetztzeit holt.
Diesen
Film im Berliner Kino Arsenal zu sehen, macht Sinn. Ein Cinema 16, wie es dieser
Film zeigt, ist das kleine, sympathische Kino am Potsdamer Platz, wo es in seiner
Entspanntheit doch eigentlich so gar nicht hinpassen will, zwar beileibe nicht,
aber wahrscheinlich eben doch das, was ihm in dieser Stadt noch am ehesten nahe
kommt. Immerhin.
Thomas
Groh
Dieser
Text ist zuerst erschienen im:
Film
as a Subversive Art: Amos Vogel and Cinema 16
(UK/USA
2003)
Regie:
Paul Cronin
Mitwirkende:
Amos Vogel, Marcia Vogel, u.a.
Länge:
56 Min.
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