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Fitzcarraldo
Caruso
im Urwald
„Cayahuari Yacu nennen die
Waldindianer dieses Land, ‚das Land,
in dem Gott mit der Schöpfung
nicht fertig wurde’. Erst nach dem
Verschwinden der Menschen,
glauben sie, werde er
wiederkehren,
um sein Werk zu vollenden.”
(Aus
dem Vorspann des Films)
Iquitos,
Peru, Anfang des 20. Jahrhunderts. Großgrundbesitzer, die Kautschuk (indianisch:
cao = Baum und ochu = Träne) gewinnen und Tausende von Indianern dafür
ausbeuten. Don Aquilino (José Lewgoy) ist der mächtigste unter ihnen,
ein Mann, der den Raum beherrscht, in dem er sich bewegt, ein sich weltoffen
gebender Mann. Abenteurer tummeln sich wohl auch in der Schneise, die hier in
den Urwald geschlagen wurde, zumindest einer, ein Träumer, vielleicht ein
Phantast, aber einer, der seinen Traum nicht nur umsetzen will, sondern dafür
auch alles tut: Brian Sweeney Fitzgerald, genannt Fitzcarraldo (Klaus Kinski).
Nur ein einziges Mal verliert er die Fassung, als die Reichen von Iquitos seinen
Traum nicht finanzieren wollen. Er besteigt den Kirchturm und schreit über
den ganzen Ort, diese Kirche würde so lange geschlossen, bis sein Opernhaus
gebaut sei. Das ist sein Traum: ein Opernhaus mitten im Urwald und Enrico Caruso
als Star auf der Opernbühne.
Nur
Molly (Claudia Cardinale), seine Freundin, eine Bordellbesitzerin, versteht
Fitzcarraldo. Nur sie ist bereit, für seine Träume alles zu tun. Eine
Eisfabrik, eine Eisenbahn mitten durch den Urwald – auch das waren Fitzcarraldos
Träume, die er nicht realisieren konnte. Nun erfährt er von Don Aquilino,
dass es noch ein riesiges Stück Land gebe, auf dem Kautschuk in Mengen
gewonnen werden könne. Der Haken sei nur, dass man das wertvolle Rohmaterial
von dort nicht weg transportieren könne, weil man mit keinem Transportmittel
in dieses unwegsame Gebiet kommen könne. Fitzcarraldo kauft das Land, und
er kauft Don Aquilino ein Dampfschiff ab, mit dem er das Land der Träume
erreichen will, um Kautschuk zu gewinnen und aus dem Geld das Opernhaus zu finanzieren.
„Fitzcarraldo”
ist in gewisser Hinsicht der Höhepunkt der Zusammenarbeit zwischen Herzog
und Kinski. Nach „Aguirre,
der Zorn Gottes”
(1972), „Nosferatu” und
„Woyzeck” (beide
1979) ist „Fitzcarraldo” der vierte gemeinsame Film. Und Herzog kehrte (nach
„Aguirre”) in den Dschungel zurück. Dabei war das Projekt nicht nur von
der Geschichte selbst aus betrachtet bombastisch. Auch die vier Jahre dauernden
Arbeiten an diesem Projekt sprechen Bände über den Willen des Regisseurs
selbst, Phantastisches zu produzieren. Der Film sollte zunächst von 20th
Century Fox produziert werden, deren Verantwortliche jedoch verlangten, dass
der Transport des Schiffes über einen Berg im Studio gedreht werden sollte.
Das lehnte Herzog strikt ab. Und in langwierigen Vorbereitungen und mit der
Unterstützung vor allem von Indianern wurden diese Szenen vor Ort gedreht
(der Vorwurf, Herzog habe Indianer schlecht behandelt, der damals durch die
Medien geisterte, wurde übrigens durch Vertreter von amnesty international
entkräftet). Es gibt in „Fitzcarraldo” keinen „doppelten Boden”, keine
Tricks, keine Spezialeffekte, alles ist echt.
Die
Handlung (die übrigens auf einer wahren Begebenheit beruht, wobei der wirkliche,
aus Irland stammende Fitzgerald diesen Plan des Transportes des Schiffes nie
realisierte) wird von Herzog, wie gewohnt, in phantastische Bilder eingebettet.
Herzog selbst meint im Audiokommentar auf der DVD, die eigentlichen Hauptpersonen
des Films seien Enrico Caruso und der Urwald, also eine Person, die man nie
zu Gesicht bekommt, aber hört, und die Umgebung, die man nahezu immer sieht,
die aber Tausende von Geheimnissen in sich birgt.
Fitzcarraldo
engagiert Kapitän Paul (Paul Hittscher; für seine Rolle war ursprünglich
Mario Adorf vorgesehen, der aber wohl angesichts der Umstände der Dreharbeiten
absprang), den dem Alkohol verfallenen, aber äußerst intelligenten
und einfallsreichen Koch Huerequeque (Huerequeque Enrique Bohorquez) und etliche
Indianer und andere, um die Fahrt in das „gelobte Land” zu beginnen. Don Aquilino
stellt ihm den Maschinisten Cholo (Miguel Ángel Fuentes) zur Verfügung,
nicht ganz ohne Hintergedanken, denn Don Aquilino will genau wissen, was Fitzcarraldo
vor hat. Der Plan des Phantasten: Da der Zugang über Wasser zu dem unerschlossenen
Kautschukgebiet durch Stromschnellen versperrt ist, will er auf einem anderen
Fluss an die Stelle gelangen, an der nur eine schmale Landzunge die beiden Flüsse
voneinander trennt. Über diese Landzunge will er das Schiff mit Stahlseilen
und Winden und durch die Kraft Dutzender von Männern hinüber hieven.
Für
die Figur des Fitzcarraldo, für Kinski und für Herzog – das macht
sozusagen den Clou dieses Films aus – gibt es keinen Zweifel und kein Zurück
in der Verfolgung ihrer Absichten. Aber der Film ist mehr als nur die Summe
dieser drei Teile. Die Zivilisation und ihre Abenteurer stoßen zusammen
mit den mysteriösen Indianern, von denen zunächst nur die Trommeln
und Gesänge zu hören sind. Dann tauchen sie auf, setzen ihre Kanus
in Bewegung Richtung „Molly Aida”, wie Fitzcarraldo das Schiff getauft hat.
Die Mehrzahl der Besatzung ist bereits auf einem kleinen Boot geflohen; nur
der Koch, der Kapitän, der Mechaniker und Fitzcarraldo befinden sich noch
auf dem Dampfschiff – und sie haben keine Ahnung, was die Indianer vor haben,
sind völlig erstaunt, als der Häuptling zusagt, sie würden ihnen
helfen, das Schiff über den Berg zu transportieren. Warum, fragen sie sich,
was haben die Indianer davon?
Aus
diesem Zusammenprall von indianischer und europäischer Kultur ergeben sich
einige Überraschungen im Fortgang der Geschichte. Herzog drehte diese Geschichte
in einem gegen die Zeit bzw. den herrschenden Zeit-Takt gerichteten Tempo. Lange
Einstellungen von der Bootsfahrt, von den Personen, von der schwierigen Arbeit
des Schiff-Transports widersprachen schon damals dem im Kino gewohnten Zeit-Takt,
der durch Actionfilme bzw. rasant inszenierte Handlungen geprägt war. Bei
Herzogs Filmen wird der Betrachter gezwungen, sich ein anderes Zeitgefühl
anzueignen. Tut er dies nicht, wird der Film „langweilig”. Die überwältigende
Szenerie des tropischen Urwalds, das Einbrechen der europäischen Kultur
durch die von Fitzcarraldo bewunderte Stimme Carusos, die Aura der Indianer,
mit der sie die Europäer verunsichern, aber auch in Erstaunen versetzen
– all das verschafft der Szenerie eine für das Kino seltene Größe,
die visuell gesehen nur mit Filmen vergleichbar ist wie Kubricks „2001:
A Space Odyssee”
oder Coppolas „Apocalypse
Now”,
wie der amerikanische Filmkritiker Roger Ebert zu Recht in seiner Rezension
des Films schreibt.
„Fitzcarraldo”
ist eben vor allem ein visuelles und – wenn man sich darauf einlassen kann –
emotionsgeladenes Erlebnis, das in der sicher zweideutigen Größe
Herzogs und Kinskis seinen Grund findet.
Herzogs
„Mein
liebster Feind”
(1999) über die Kooperation zwischen Herzog und Kinski und Les Blanks „Burden
of Dreams” (1982) über die Dreharbeiten zu „Fitzcarraldo” dokumentieren
nicht nur die Strapazen, bis dieser Film fertiggestellt werden konnte. Sie dokumentieren
auch, wie Herzog seine Filme selbst versteht: als riskante, in vielerlei Hinsicht
todesmutige Unternehmen. Fitzcarraldos Geschichte ist in dieser Hinsicht analoger
visueller Ausdruck dieser Art von Filmemachen. Das hat Herzog oft den Vorwurf
eingebracht, er leide an Selbstüberschätzung – ebenso wie sein „liebster
Feind” Klaus Kinski, der während der Dreharbeiten mehrere seiner bekannten
Tobsuchtsanfälle hatte, bei denen er sich nie scheute, andere in Grund
und Boden zu demütigen oder zu beleidigen. Das ging so weit, dass der im
Film mit spielende Häuptling Herzog anbot, Kinski zu töten, wie der
Regisseur in „Mein liebster Feind” berichtet.
Andererseits
war Herzog wohl fast der einzige, der Kinskis Egomanie zu bändigen und
filmisch fruchtbar einzusetzen wusste. Und das Medium Film war andererseits
für Herzog die einzige Möglichkeit, sich in seinen „extremen” Vorstellungen
selbst zu „bändigen”. Immerhin: Das erbrachte für das Kino einige
der besten und schönsten Filme aller Zeiten.
Dass
Kinski die Rolle des Fitzcarraldo (für die ursprünglich der dann jedoch
erkrankte Jason Robards vorgesehen war) in hervorragender Weise ausfüllt,
bedarf kaum einer Erwähnung. Auch für die anderen Schauspieler, und
insbesondere Claudia Cardinale (die allerdings nur in den Eingangs- und Schlussszenen
zu sehen ist), gilt ähnliches.
DVD
Ton:
Deutsch 5.1 Dolby Digital, Mono; Englisch Mono
Bild:
1,85:1 (16:9 anamorph), DVD 9, Regionalcode 2, PAL, Farbe
Die
u.a. in der „Klaus Kinski Werner Herzog Exklusiv Edition” erschienene und von
Arthaus editierte DVD enthält neben Werkfotos und Biografien lediglich
einen Audiokommentar mit dem Regisseur, Produzent Laurens Straub und Herzogs
Bruder Lucki Stipetic, der den Film produzierte – eine wie meistens bei Herzog
äußerst informative Ergänzung zum Filmgenuss. Bild und Ton sind
in gewohnt exzellenter Weise zu genießen.
Die
von Arthaus bereits 2003 editierte Doppel-DVD mit dem Film enthält zusätzlich
(und neben dem Audiokommentar) die bereits erwähnte Dokumentation „Die
Last der Träume”, das 90 Minuten dauernde Spezial von Les Blank über
die Dreharbeiten, in dem auch die ursprünglich vorgesehenen Darsteller
Jason Robards und Mick Jagger vorkommen und das einen beeindruckenden Blick
auf die Strapazen und Anstrengungen an den Originalschauplätzen bietet.
Wer also die Exklusiv-Edition nicht möchte, ich auch mit dieser Doppel-DVD
bestens bedient (Preis: bei amazon € 18,99, bei jpc € 14,99, Stand: 9.3.2005).
Wertung
Film: 10 von 10 Punkten.
Prädikat:
Besonders wertvoll.
Wertung
DVD: 9 von 10 Punkten.
Ulrich
Behrens
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Fitzcarraldo
(Fitzcarraldo)
Deutschland
1982, 158 Minuten (DVD: 151 Minuten)
Regie:
Werner Herzog
Drehbuch:
Werner Herzog
Musik:
Popul Vuh; Vincenzo Bellini, Giacomo Puccini, Richard Strauss, Giuseppe Verdi
Director
of Photography: Thomas Mauch
Montage:
Beate Mainka-Jellinghaus
Produktionsdesign:
Ulrich Bergfelder, Henning von Gierke
Darsteller:
Klaus Kinski (Brian Sweeney Fitzgerald, genannt Fitzcarraldo), Claudia Cardinale
(Molly), José Lewgoy (Don Aquilino), Miguel Ángel Fuentes (Cholo),
Paul Hittscher (Kapitän Paul), Huerequeque Enrique Bohorquez (Huerequeque,
der Koch), Grande Otelo (Bahnhofsvorsteher), David Pérez Espinosa (Indianerhäuptling)
Internet
Movie Database: http://german.imdb.com/title/tt0083946
©
Ulrich Behrens 2005
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