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Flirting
with Disaster
Meistens
ist weniger mehr. Manchmal aber ist es genau umgekehrt. In FLIRTING WITH DISASTER
ist es erst der Exzeß, die bewußte Überreizung, die ein eigentlich
bis zum Überdruß ausgereiztes Thema wieder genießbar - ja sogar
höchst genüßlich - macht.
Das
Thema: Identitätssuche und Beziehungsfrust. Die Form: Komödie. Die
wesentlichen Zutaten: ein irrender Adoptivsohn auf der Suche nach seinen Wurzeln,
eine kriselnde junge Ehe, unsäglich viele wortreiche Dialoge und einige
libidinöse Verstrickungen. Ja!! Wenden Sie sich nun gleich angeekelt ab'?
Nichts wäre dümmer. Denn mit der üblichen konfektionierten Haushaltsmischung
aus Problemfilm und Komödienstadel hat FLIRTING WITH DISASTER nur
vermittelt - und dies höchst ironisch - zu tun.
Zugegeben,
die Grundidee ist im schlimmsten Sinne Soap-Opera-würdig: Mel. 30 Jahre,
New Yorker Insektenforscher, frischgebackener Vater, hat sich entschlossen,
seine Herkunft als Adoptivkind aufzuklären. Woran sonst kann es liegen,
denkt sich der junge Mann, wenn es im Leben und der Liebe nicht mehr klappt:
Nicht mal auf einen Namen für das viermonatige Baby hat das junge Paar
sich bisher einigen können; offensichtlicher Ausdruck einer schweren Identitätskrise.
Nun, die Adoptionsagentur ist hilfreich
zu Diensten, die Mutter wird entdeckt, und bald macht sich die junge Familie,
begleitet von einer Psychologin, die das Geschehen zu Forschungszwecken dokumentieren
will, auf den Weg.
Doch
das Unternehmen schlägt traurig fehl. Gerade erst ist man sich - auf einem
„Dallas"-würdigen texanischen Anwesen - mit Tränen und Liebesbeteuerungen
in die Arme gefallen, da greift das Schicksal ein - ein Computerfehler. Und,
so ist es mit Blutbanden, Mel wird aus der frischgewonnen mütterlichen
Geborgenheit schnurstracks wieder auf die Straße gestoßen.
So
billig ist Identität, jedenfalls in diesem Film, nicht zu haben. Was von
Mel als Rundtrip durch die Familiengeschichte zu sich selbst gedacht war, wird
bald zu einer abenteuerlichen Odyssee. Immer verwirrter wird der arme Junge
(herrlich hilflos: Ben Stiller). Der Weg sabotiert das Ziel. Die Identitäten
rauschen in fliegendem Wechsel vorüber. Schottisch-finnisch? Jüdisch?
Piekfein, subproletarisch oder kriminell? Als die kleine Reisegruppe irgendwann,
mittlerweile mit einem schwulen Polizistenpärchen im Schlepptau, doch noch
an der richtigen Adresse eintrifft, gewährt auch die wahre Antwort nur
ein paar kurze Momente Frieden.
Aber
da ist schon viel zu viel passiert. Einer der Polizisten zum Beispiel (Hobby:
richtiges Stillen) hat sich mit Hingabe der von Mel vernachlässigten Vaterrolle
angenommen. Die Psychologin hat längst ihre Beobachterposition verlassen.
Und auch sonst geht es drunter und drüber. Die Verwicklungen sind unbeschreiblich.
Die auftretenden Komplikationen unzählig und unvorstellbar. Vor allem aber
und am allerliebsten wird gestritten, debattiert, gequatscht. Höchstgradig
gesprächslastig ist das, aber eine wahre Lust.
Daß
all dieser Irrwitz nicht zum Klamauk verkommt, ist - neben den Darstellern -
auch einem brillanten Team zu verdanken. Dem Schnitt, manchmal herrlich ironisch,
von Christopher Tellefsen (KIDS, BLUE
IN THE FACE, SMOKE);
der unaufdringlich-beweglichen Kamera von Gus-Van-Sant-Fotograf Eric Edwards:
vor allem aber wohl dem scharfen Beobachtungsinn von Regisseur und Autor David
O. Russell (SPANKING THE MONKEY). Der läßt seine Figuren tüchtig
heißlaufen und kitzelt dann ganz unvermutet das nackte Leben aus ihnen
heraus.
Dabei
steckt FLIRTING WITH DISASTER seine
Fühler weit über das komödientypische Milieu der thirtysomething hinaus.
Daß man eine Beziehung nur verstehen kann, wenn man sich viele andere
auch anschaut, diese Beobachtung hat dieser Film ernstgenommen. Und so entfaltet
FLIRTING WITH DISASTER ein
breites Kaleidoskop an schrillen, doch erstaunlich realistischen Porträt-und
Beziehungsstudien, das seine Kraft gerade aus den Randfiguren gewinnt, die anderswo
als blasses Inventar vor sich hin kümmern. Die Besetzung verrät es:
Mels zupackend hysterische Adoptivmutter (Mary Tyler Moore), Lily Tomlin und
Alan Alda als drogenbastelndes Ex-Hippiepärchen: sie sind nicht Kulisse,
sondern die heimlichen Stars dieses Films.
Immer
mehr rückt in diesem Film das Paar vom Zentrum an den Rand. Das ist fast
ein Multiplikationseffekt. Insofern ist FLIRTING WITH DISASTER neben
einer Genreparodie auch ein Kommentar zum Genre selbst. Und ein Film, der brillant
zeigt, wie man aus einer abgeschmackten Vorlage intelligentes und witziges Kino
machen kann, das auch noch etwas zu sagen hat. Wenn es auch nur eine bissige
Replik auf die Identitäts- und Versöhnungssucht im amerikanischen
Kino ist.
Silvia
HallensIeben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in epd film
FLIRTING
WITH DISASTER
USA
1996. R und B: David 0. Russell.
P: Dean Silvers. K: Eric Edwards. Sch:
Christopher Tellefsen. M: Stephen Endelman. T:
Rolf Pardula. A: I(evon Thompson, Judy Rhee. Ko:
Ellen Lutter. Pg: Miramax. V: Kinowelt. L:
92 Min. St: 18.7.1996. D: Patricia Arquette (Nancy Copliy, Ben Stiller (Mel
Copliy, Tea Leoni (Tina Kalb), Alan Alda (Richard Schlicting), Mary Tyler Moore
/Mrs. Coplinl, George Segal (Mr. Coplin), Lily Tomlin (Maryl, Josh Brolin (Tony),
Richard Jenkins (Paul), Celia Weston (Valerie), Glenn Fitzgerald (Lonnie).
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