zur
startseite
zum
archiv
Flirt
Letzten
Herbst, als der amerikanische Regisseur Hal Hartley zu den Dreharbeiten seines
neuen Films in Berlin war, war es kaum möglich, ihm Details über sein
aktuelles Projekt zu entlocken. Ein „work in progress" sei das Werk, lautete
die stereotype und ein wenig nach Ausflucht klingende Antwort. Die - von Dolmetschern
unterstützte - Arbeit mit den deutschen Schauspielern sei anregend, das
fehlende Sprachverständnis schärfe den Blick für das Wesentliche.
Außerdem sei es eine interessante Erfahrung, sich fremde Städte nicht
touristisch, sondern filmisch zu erobern.
FLIRT
ist ein Episodenfilm in drei Teilen - und ein filmisches Experiment. Entstanden
aus einer spielerischen Fingerübung, nämlich dem New Yorker Teil,
der - als Entspannungsprogramm - schon während der Vorarbeiten zu AMATEUR
realisiert wurde, spiegelt die zeitliche Abfolge und Datierung der Episoden
auf der Leinwand auch die Chronologie ihres Entstehungsprozesses wider: New
York, Februar 1993. Berlin, Oktober 1994. Tokio, März 1995. New York, Berlin,
Tokio also, und dreimal fast die gleiche Geschichte - mit Variationen. Als Storygrundlage
dient Hartley dabei ein Plot, der in seinen Grundelementen beim beliebigen Zappen
durchs TV-Vorabend-Programm so ähnlich sicher ein dutzendmal zu sehen sein
dürfte.
Da
wird, in einer vor sich hin plätschernden Paarbeziehung, von einem Partner
die „Zukunftsfrage" gestellt und mit einem gnadenlosen Zeitlimit Handlungsdruck
erzeugt: anderthaIb Stunden bis zur Abreise und (zeitweiligen) Trennung. Wie
im richtigen Leben gibt es, um die Sache nicht unnötig zu vereinfachen,
auf beiden Seiten ungeklärte amouröse Nebenbeziehungen. Eine Vertrauensperson,
die in einer spiegelbildlichen zweiten, schon gescheiterten, Liebesbeziehung
steckt, bietet sich zur klärenden Aussprache an. Und irgendwann kommt es,
da irgendwo immer im rechten Moment ein Revolver auftaucht, zu einer Gewalttat,
die ärztliche Hilfe fordert. Was den gesetzten neunzigminütigen Zeitplan
sprengt ...
Liebeszweifel
und Partnerschaftswirren also, Beziehungsgespräche, Vorwürfe und versuchte
Aussprachen, Selbstfindungsversuche und dramatische Szenen, Verlassen und Verlassenwerden.
Zweimal hetero, einmal schwul, einmal amerikanisch, einmal schwarz-weiß,
zweimal binational. Im New Yorker Regen, auf Kreuzberger Hinterhöfen, in
einer Tokioter Ballettschule. Fragen werden gestellt nach Verantwortung und
persönlicher Moral. Nach der Natur der Liebe und der Notwendigkeit von
Entscheidungen. Nach dem Weiterziehen oder dem Daheimbleiben.
Geradezu
obsessiv hat sich Hal Hartley seit seinen frühen Kurzfilmen und seinem
ersten Spielfilm THE UNBELIEVABLE TRUTH (1989, Verdacht auf Liebe) mit der Möglichkeit
menschlicher Nähe und den Versuchen, dabei Kenntnis des anderen und Vertrauen
zu erlangen, beschäftigt. Immer hat er dabei versucht, einen eigenen und
unverbrauchten Blick auf die Dinge zu finden. Präziser und leichtgewichtiger
ist seine Filmsprache dabei geworden, aber auch intellektueller: immer souveräner
sein spielerischer Umgang mit den verschiedenen Genres und den traditionellen
Techniken der Erzählung, der Bildsprache und dem Ton, immer stilisierter
und reduzierter der Bezug zur offensichtlichen Realität. Zuletzt, in AMATEUR,
hatte er seine Protagonisten als emotionaler Bewährungsprobe einer Geschichte
ausgesetzt, deren Abstrusität nur das überzeugende Ergebnis rechtfertigt
- und dabei noch einen unterhaltsamen Krimi erzählt. In FLIRT nun scheint
die Reduktion der Filmerzählung zur Versuchsanordnung zu ihrem Extrem gelangt.
Die Genrevorgabe des Melodrams bietet nur noch das skelettierte Gerüst,
durch das die Akteure nun gleich im Reihentest getrieben werden. Die Kinoleinwand
als Versuchslabor: Gottlob sind diese Variationen über den Beziehungsfilm
kein weiterer Versuch, die Gefühlsverwirrungen junger Großstädter
möglichst realistisch auf die Leinwand zu bringen. Ganz im Gegenteil. Hier
wird Künstlichkeit, Distanz bewußt erzeugt. Hartley arbeitet mit
dem wohlkalkulierten Kontrast von Übertreibung und Understatement. Mit
körperlicher Präsenz, der Drastik von Überraschungseffekten und
Slapstickelementen. Seine Schlägereien sind so exakt durchchoreographiert
wie die Tanzeinlagen. Wie auf dem Reißbrett entworfen die Dialoge: Ganz
in Brechtscher Tradition stellen sie eher aus, als daß sie verkörpern.
Immer
wieder - und mit einer Selbstverständlichkeit, die alles bemüht Anspruchsvolle
souverän umgeht - gelingt es diesem Film, auf sich selbst als hergestelltes
Kunstprodukt zu verweisen; und sich ein Publikum zu schaffen, das genießt,
indem es versteht. Genußvoll wird der glatte Erzählrhythmus unterbrochen.
Da liest ein Berliner Cafebesucher hochtrabende Sentenzen über die „tiefe
und visionäre" Liebe deutscher Männer. Die Kunden einer New Yorker
Herrentoilette und die Insassinnen einer Arrestzelle Tokios geben in kommentierenden
Choreinlagen den Helden und Heldinnen ebenso dämlich lehrreiche wie widersprüchliche
Verhaltensratschläge. Und die entsprechende Berliner Szene, in der Bauarbeiter
beim Imbiß auf den Treppen des Gropiushauses wie im besten Problemfilm
in druckreifem Hochdeutsch erst das Verhalten des Protagonisten („Er ist eben
ein Flittchen."... „Vielleicht ist es zu früh, um das zu beurteilen.")
und dann die Handlungsführung des Films debattieren, um ihm dann, im schlechtesten
Fall, gefällig „ein interessantes Scheitern" zuzugestehen, gehört
zum Komischsten, was seit langem im Kino zu sehen war. Auch die jeweiligen Krankenhausepisoden,
in deren New Yorker Variante die sonst eher mütterliche Karen Sillas das
Urbild der sadistischen Ärztin geben darf, während in Berlin Peter
Fitz, assistiert von Elina Lowensohn, zeigt, daß auch deutsche Freundlichkeit
recht unheimliche Züge trägt, sind Meisterwerke parodistischen Witzes.
Liebevoll
und fast klischeehaft werden die einzelnen Handlungsorte gegeneinander ausgespielt:
Das verschmuddelte New Yorker Apartment kontrastiert mit der geschmackvollen
großzügigen Berliner Altbauwohnung, wo Johann (Peter Fitz), der Kunsthändler,
residiert. Johann, Greta (Geno Lechner als ziemlich bodenständiges deutsches
Gretchen) und Werner heißen die deutschen Protagonisten. Und, gelungene
Anpassung an die nationale Stimmungslage, Maria Schrader hat einen winzigen
aber effektvollen Auftritt als Berliner Schnauze, die fachgerecht eine Telefonzelle
am Schlesischen Tor okkupiert, während sich im Hintergrund ein paar Betrunkene
eine Schlägerei liefern.
Interessant
wie der Regisseur und Kameramann Michael Spiller selbst Berliner Hinterhöfen
die Blume romantischer Verklärung entlocken, die sogar eine Tordurchfahrt
noch blau erleuchten läßt. Doch starke, klare Farben setzen die Akzente:
Ein gelber Schlips taucht kurze Zeit später in einem ebenso gefärbten
T-Shirt wieder auf. Exakt durchkomponiert die Bilder, oft wie in Schichten aufgebaut:
Während vorne Aktion im Gange ist, scheint der Hintergrund zur Folie gefroren.
Am
stärksten weicht die Tokio-Episode vom Muster ab. Sie beginnt mit einer
langen, wortlosen Tanzszene, die fast vermuten läßt, der Regisseur
habe hier seiner Liebe zur Choreographie freien Lauf gegeben und lasse seinen
Film in Ehrfurcht vor der fremden Kultur und Sprache in einem wortlosen Teil
ausklingen. Doch schnell siegt die Liebe zu den Menschen: Miho, die Ballettschülerin,
wird ihre Schminke ablegen und als japanisches Girlie mit Schirmmütze,
knappem Silberjäckchen und kurzem Rock durch die Gassen von Tokio stapfen.
Friedlich
schlummernd nimmt der Regisseur am Ende als Darsteller von uns Abschied. Eine
betörend sanfte und zärtliche Geste. Noch nie hatte ein Hartley-Film
solch ein versöhnliches Ende. Spätestens hier erweist sich der Regisseur
als Romantiker. Ein Widerspruch ist das nicht. Daß und wie es gelingt,
den Überschwang der Gefühle in den kargen, fast strengen Formen zu
bändigen und trotzdem durchscheinen zu lassen: das trägt zum Reiz
dieses Films wesentlich bei.
Silvia
Hallensleben
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in: epd Film 12/95
Flirt
USA/BRD/Japan
1995. R, B, Sch: Hal Hartley. P:
Ted Hope. K:
Michael Spiller. M:
Ned Rifle, Jeffrey Taylor. T:
Jeff Pullman, Norman Engel, Osamu Takizawa. A: Karin Wiesel, Ric Schachtebeck,
Tomoyuki Mazuo. Ko:
Alexandra Weller, Ulla Gothe. Pg: True Fiction Pictures/Pandora/ Nippon Film.
U: Pandora. L:84 Min. St: 7.12.1995. D: Bill Sage (Bill), Parker Posey (Emily),
Martin Donovan (Walter), Dwight Ewell (Dwight), Dominik Bender (Johan), Geno
Lechner (Greta), Peter Fitz (Arzt), Elina Lowensohn (Krankenschwester) und Maria
Schrader, Miho Nikaidoh (Miho),Toshizo Fujisawa (Ozy), Chikako Hara (Yuki),
Hal Hartley (Hal).
zur
startseite
zum
archiv