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Fluch
der Karibik 3
We
Sail Tonight for
Willkommen zurück in der Welt des Spektakelkinos,
wo jeder Schauspieler aussieht wie dem Zirkus entflohen und jeder Seemann redet,
als würde er einen Tom Waits-Song zitieren. Der schon bewährte Mythenmischmasch
zwischen Robert Stevenson und Richard Wagner, zwischen Verne und Voodoo, zwischen
Homer und Hägar, wird im dritten Aufguss mit einigen neuen (vor allem chinesischen)
Zutaten noch mal aufgepeppt und schmeckt immer noch eher nach zuviel auf einmal
als nach drögem Eintopf. Es gibt Leierkastenspieler in Schanghai, gefrorene
Bärte im Eismeer, Guantanamo-Anspielungen in den britischen Kolonien, Morricone-Hommagen
auf sonnendurchfluteten Sandbänken, brennende Affen fliegen durch die Luft
– nein, so richtig brauchbare Dramaturgen werden die Drehbuchautoren Rossio
und Elliott in diesem Leben wohl nicht mehr, aber immerhin haben sie Harry S.
Trumans zutiefst amerikanischen Wahlspruch beherzigt: "If you can’t convince
them, confuse them."
Während das Drehbuch also erneut die (erlaubte)
Frage stellt, was das denn für ein Piratenfilm wäre, wenn nicht der
Schauplatz alle zehn Sekunden wechseln und jeder jeden alle fünf Minuten
aufs Neue verraten würde, so findet die Inszenierung Verbinskis seine Stärken
erneut in der Kontinuität und Geduld. Nicht nur sind die Kämpfe in
längeren, ungeschnittenen Aufnahmen oder gar in bremsenden Zeitlupen gefilmt
– was nicht nur Kunstfertigkeit und Detailfreude beweist, sondern dem dankbaren
Zuschauer auch Überblick verschafft – auch die langen, ruhigen und immer
seltsam traurigen Stimmungstableaus und Breitwandpanoramen, die schon den zweiten Teil bei allem Slapstick leicht melancholisch eingefärbt
hatten, sind wieder zu bestaunen.
Emotional ist der dritte Teil vermutlich der befriedigendste:
Orlando Blooms Will darf mal ein bisschen gleichberechtigter Mitspieler sein
und genauso seine Freunde verraten wie alle anderen Piraten auch; und Keira
Knightleys spritzige Patty-Hearst-Variante (einen klareren Fall von Stockholm-Syndrom
sucht man im Kino der letzten Jahre vergeblich) schwingt sich gar zur befehlshabenden
Piratenkönigin auf – beide bestehen auch in beförderter Position souverän
und werden dafür erst mit einem handfesten Vertrauensbruch belohnt (erstaunlich,
wie viele Sommerblockbuster dieses Jahr mit bitterer Ernsthaftigkeit Beziehungskrisen
behandeln), dann mit einer haarsträubenden Seegefechts-Hochzeit und schließlich
mit einem überraschend träumerischen und nicht wirklich fröhlichen
Ende.
Johnny Depp wurde für den dritten Teil übrigens
vollends von der Leine gelassen, er genießt hier eine schauspielerische
Narrenfreiheit, wie sie nur Peter Sellers kannte. Zudem arbeiten ihm ganze Abteilungen
des Films offensichtlich zu, von den Dialogen über die Spezialeffekte bis
hin zu der nachträglich kommentierenden Musik. Besonders herausragend,
übrigens auch filmisch, ist dabei eine fast zwanzigminütige surreale
Traumsequenz in einer schneeweißen Salzwüste, die von Dalí-Anspielungen
im wahrsten Wortsinne wimmelt und die Depp als Ein-Mann-Show mehr als bravourös
bestreitet. Damit nicht genug, erholt sich seine Figur nie ganz von dem Aufenthalt
in der Nachwelt, was Depp Gelegenheit gibt, öfters mal mit imaginären
Mini-Mes in seinem Bart zu palavern und generell noch gedrogter zu wirken als
in den ersten beiden Teilen. Besonders deutlich wird sein Verdienst um die Schauspielkunst
beim ersehnten Cameo von Keith Richards als Jack Sparrows Vater. Depp beweist
hier einmal mehr, dass er mehr Richards ist als Richards es jemals sein könnte
– die im realen Leben so schillernde Sex-Drugs-and-Rock’n’Roll-Maschine bleibt
auf der Leinwand seltsam blass neben dem ewigen Paradiesvogel Depp, dem Charakterdarsteller
auf der Höhe seiner Kunst.
Daniel Bickermann
Diese Kritik ist zuerst erschienen im: schnitt
Fluch
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Pirates of
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