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Flucht von Alcatraz
Die Filme, die Don Siegel mit Clint Eastwood gemacht hat, sind
Versuchsanordnungen, die ihren Helden mit Bedacht in übermächtiger
feindlicher Umgebung plazieren. Der Heroismus der schlichten, aber
wirkungsvollen Art, wie er in den Filmen, bei denen Eastwood selbst Regie
geführt hat (Ein Fremder ohne Namen, Der Mann, der niemals aufgibt), bis
zur Parodie auf die Spitze getrieben wird, verbietet sich der Umstände
wegen - oder ist, in vermeintlich zivilisiertem Umfeld fragwürdig
geworden. Der Mikrokosmos, in den Eastwood mit den ersten Bildern von
Flucht von Alcatraz geschickt wird, ist von extremer Rigidität,
räumlicher und sozialer Art. Neben der klaren Hierarchie von
Gefängnisleitung/Wärtern und Gefangenen gibt es eine weitere strenge
Ordnung unter den Gefangenen selbst. Frank Morris wird sogleich mit
beiden konfrontiert: Wolf (homo homini lupus) als bedrohliche
Verkörperung des Rechts des Stärkeren in den als privat rekonstruierten
Räumen auf Alcatraz (Speisesaal, Dusche, Gefängnishof) und der
sadistische Direktor auf der anderen Seite. Morris erweist sich als
Meister darin, die Hebel an den richtigen Stellen anzusetzen, nicht die
offene Konfrontation zu suchen, sondern Schwachpunkte auszumachen und
sofort zu nützen.
Das bestimmende Moment des Lebens auf Alcatraz ist Kargheit: der
Verpflegung, der Aktivitäten, der sozialen Beziehungen, die im
wesentlichen nach dem Freund/Feind-Schema geordnet werden, sogar so sehr,
daß Rassenvorurteile innerhalb dieses Raums suspendiert sind.
Realistischerweise sind die Schwarzen auf Alcatraz in der Mehrheit, was
der Film nicht betont, aber beim Hofgang immer wieder klar zeigt. Zutritt
von außen wird regelmäßig als schmerzhaft empfunden, als Erinnerung an
ein Leben, das man am liebsten vergessen hätte. Die Biografien sind
brutal abgeschnitten, der einzige Moment der Berührung mit dem Draußen,
das vergangen ist, ist ein intensiver und qualvoller Moment. Das
Komplement dieses Schmerzes ist das Trachten auf Flucht. Durch die
Unmöglichkeit des Gelingens ein beinahe theologisch zu beschreibendes
Ziel. Morris ist der einzige, der die Hoffnung sehr handfest und
praktisch in die Tat umzusetzen beginnt.
Die Kargheit der Gefängnisinsel (mit dem gelegentlichen, aber nie
subjektiven Blick auf die Silhouette San Franciscos) wird von den
filmischen Mitteln reproduziert: Die Beleuchtung ist mehr als low-key, es
gibt mehrere Momente (der Flucht, der Fluchtvorbereitung), in denen man
buchstäblich gar nichts mehr sieht. Über weite Strecken kommt der Film
dazu ohne Musik aus, erst mit der Vorbereitung der Flucht beginnt sie
einzusetzen, ein seltsam oszillierender Orgelton, der kein einziges Mal
zu einer Melodie findet - als reiner Soundtrack nicht zu ertragen, als
spannungssteigernde Tonspur großartig. Wie in Bressons Ein zum Tode
Verurteilter ist entflohen, der ohnehin ein verwandter Film ist, ist die
reine Tonspur von außerordentlicher Bedeutung. Schritte sind laut,
deutlich, bedrohlich, klar herausgearbeitet. Unter den übrigen Geräuschen
dominieren die der Materialbearbeitung: die Sägen der Tischlerei, das
Abklopfen der Mauersteine, der Bohrer auf der Flucht, Kreischen, Hämmern
- und dazu im Kontrast die Stille. Die Isolationshaft stellt dabei die
Grenze der Darstellbakeit dar, Siegel ist klug darin, hier nicht folgen
zu wollen.
Die Sparsamkeit Siegels in den inszenatorischen Mitteln unterstreicht
die Effizienz und Beharrlichkeit von Morris, der in der auf allen Seiten
bedrohlichen Umwelt die meiste, kaum vergehende Zeit, wie ein Kaltblütler
verharrt, auf seine Möglichkeiten lauert und sofort zugreift, sobald er
seine Chance erkennt. Er ist, und das ist Bestandteil der
Eastwood-Persona, gänzlich geschichtslos. Seine Biografie bleibt
unbekannt, Motivation ist nicht kausal psychologischer Art. Morris ist
das Prinzip des Überlebens in tödlicher Umwelt, er ist ein Meister der
Anpassung, daraus erklärt sich sein Handeln. Am Ende entläßt der Film
seine Helden in die Freiheit: sie verschwinden aus dem Bild, ins
Ungewisse, der Epilog ist lapidar, aber genau die Form von Happy End, die
dem kargen Film entspricht.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen bei:
Flucht von Alcatraz
ESCAPE FROM ALCATRAZ
USA - 1979 - 112 min. - Scope
FSK: ab 12; feiertagsfrei
Verleih: CIC
Erstaufführung: 20.9.1979/8.8.1987 DFF 1
Fd-Nummer: 22171
Produktionsfirma: Malpaso/Sol C. Siegel
Produktion: Don Siegel
Regie: Don Siegel
Buch: Richard Tuggle
Vorlage: nach einem Buch von J. Campbell Bruce
Kamera: Bruce Surtees
Musik: Jerry Fielding
Schnitt: Ferris Webster
Darsteller:
Clint Eastwood (Frank Morris)
Patrick McGoohan (Gefängnisdirektor)
Roberts Blossom (Doc)
Jack Thibeau (Clarence Anglin)
Fred Ward (John Anglin)
Paul Benjamin (English)
Larry Hankin (Charley Butts)
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