Fräulein Smillas Gespür für Schnee
Peter Hoegs Roman um eine dänische Wissenschaftlerin grönländischer
Abstammung, die versucht hinter den wahren Grund des Todes eines
Nachbarjungen zu kommen, hat es geschafft, trotz literarischer Ambitionen
und verschrobener Charaktere ein großes Publikum zu begeistern.
Nachdem Bille August sich mit der Allende-Verfilmung DAS GEISTERHAUS
einigermaßen respektabel aus der Affäre gezogen hatte, wurde er nun damit
betraut, auch FRÄULEIN SMILLAS GESPÜR FÜR SCHNEE zu adaptieren.
Bei der Verfilmung wollte man dem Buch ganz offensichtlich kein bißchen
wehtun und hat damit dem Film immens geschadet. Der Film geht mit dem Buch
um wie ein Schmetterlingssammler mit seinen Insekten - das Resultat sieht
guterhalten aus, hat aber nicht das geringste Leben mehr in sich; SMILLA
ist nichts als eine bebilderte Inhaltszusammenfassung.
Der Film vollzieht die selbe Reise wie das Buch, von der Sozialbausiedlung
in Kopenhagen ins ewige Eis Grönlands, wo die skrupellosen Wissenschaftler
eines Konzerns auf der Suche nach einem geheimnisvollen Meteoriten sind.
Es kommt fast alles vor, was auf der Ebene des Plots im Buch geschieht,
und auch die Charaktere sind vollzählig versammelt. Was fehlt, ist hingegen
alles, was das Buch so wunderbar gemacht hat. Im Film ist alles jünger,
schöner, normaler, alles wird erklärt und abgedichtet und auf Stereotype
reduziert.
Alle Ecken und Kanten wurden abgeschliffen, nichts verstört oder
überrascht, und man hat ständig das Gefühl, in einem Film zu sein, der ursprünglich fünf Stunden dauerte, und
aus dem alles herausgeschnitten wurde, was nicht unmittelbar die äußere
Handlung vorantreibt.
Was hilft's, wenn Julia Ormond bezaubernd ist und überzeugend spielt, wenn
sie von Haus aus das ist, was nicht zu Smilla paßt - ein Star?
Was hilft's, wenn Richard Harris, Mario Adorf, Robert Loggia und Jim
Broadbent dabei sind, wenn sie in Rollen verheizt werden, denen alle
Individualität der Romancharaktere genommen wurde?
SMILLA gelingt es nicht im geringsten, ins Innere seiner Figuren
vorzudringen, und so werden die unvergeßlichen Charaktere des Romans zu
leeren Typen mit ein paar beliebig wirkenden Ticks.
Bille August ist jemand für gediegenes Handwerk und einfühlsame
Schauspielerführung, aber Regieeinfälle wird man bei ihm völlig vergeblich
suchen, und so quält sich SMILLA, einfallsreich wie trockenes Knäckebrot,
voran mit Schuß-Gegenschuß Dialogszenen, die ab und zu durch unmotivierte
Action-Einlagen unterbrochen werden.
Wer das Buch nicht kennt, dem wird SMILLA als Film nichtssagend bleiben -
ein mittelmäßiger Thriller ohne Ideen, der ständig den Eindruck erweckt,
als würden wichtige Details fehlen. Wer das Buch kennt, bekommt noch mal
einen Schnelldurchgang durch die wichtigsten Stationen und platte
Erklärungen für alles, was der Roman bewußt offen, komplex und zweideutig
hält. Es bleibt das schale Gefühl, man hätte daheim bleiben und das Buch
noch einmal lesen sollen.
Thomas Willmann
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
artechock : FILM- UND KUNSTMAGAZIN
Fräulein Smillas Gespür für Schnee
BRD/S/DK 1997 - 114 Minuten -
Regie: Bille August
Kamera: Joergen Persson
Drehbuch: Ann Biderman
Besetzung: Julia Ormond, Gabriel Byrne, Richard Harris, Mario Adorf u.a.