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Franz
+ Polina
Abgründig, von Ambivalenzen geprägt sind
schon die sommerlichen Bilder, über denen der Vorspann abläuft: Ein
Haufen strohblonder Jungs vergnügt sich in einem See. Dann mischen sich
mehrere junge Athleten in die unschuldige Szene. Wirkt die Leni-Riefenstahl-Manier,
in der ein eleganter Kopfsprung ins Wasser gefilmt ist, immerhin befremdlich,
so kommt der Moment, in dem sich die Männer ankleiden, einem Wurf ins eiskalte
Wasser gleich: Wehrmachtshemden werden übergestreift, mit SS-Runen verzierte
Gürtelschnallen werden geschlossen. Der Schrecken kündigt sich hier
schon an: Diejenigen, die sich neben den Dorfkindern im Wasser getummelt haben,
werden kurze Zeit später ihre Waffen auf Unschuldige richten. Nach einigen
doppelbödigen Szenen der „Normalität“ zwischen selbsternannten Beschützern
aus Deutschland und Bauern in einem weißrussischen Dorf brennen Waffen-SS-
und Wehrmachtsoldaten eben dieses Dorf nieder. Man schreibt den Spätsommer
1943. Mag die Kamera auch großen Abstand zum Mordgeschehen halten – das
in eine ungerührt-idyllische Seen- und Waldlandschaft eingebettete Inferno
bleibt grausig genug. Dazu erklingt ein melancholisches Glockenspielmotiv. Wie
ein Trauergesang, der die Ermordung von zweieinhalb Millionen Einwohnern Weißrusslands
durch die nationalsozialistischen Besetzer beklagt, wirkt die Szene.
Der Massenmord war rassistisch motiviert und stand
im Kontext einer geplanten „Reduktion der slawischen Massen um 31 Millionen“
(Heinrich Himmler) innerhalb der besetzten Gebiete der damaligen Sowjetunion.
Trotz der „gefilterten“ Mordszene lässt sich dem Film insgesamt nicht vorwerfen,
dass er dem Gesicht dieses Krieges einen Weichzeichner vorschalten würde.
Die Fratze des Grauens blickt im Filmverlauf immer wieder durch. Bei aller Distanz
zur direkten Gewalt werden die verheerenden Auswirkungen der Barbarei auf die
Überlebenden in eindringlichen Bildern geschildert. So irrt eine alte Bäuerin
zwischen verkohlten Fundamenten umher und vernimmt die vorwurfsvollen Stimmen
der Toten. Nicht an ihren Verletzungen, an innerer Erstarrung scheint die Frau
schließlich zugrunde zu gehen. Oder: Ein Rudel herrenlos gewordener Dorfhunde
flieht angesichts des Dorfbrandes in einen angrenzenden Wald. Als zähnefletschende
Bestien tauchen sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf.
Im Mittelpunkt des hochinteressanten Films steht
eine besondere, eine heikle Romeo-und-Julia-Geschichte. Das Liebesdrama wird
zum Gegenstand einer filmischen Gratwanderung, die nicht durchweg gelingt. Ein
junges Liebespaar gerät zwischen die Kriegsfronten. In den ersten Szenen
einer pseudo-friedlichen „Koexistenz“ der späteren Schlächter mit
der Dorfbevölkerung wird die harmlose Tändelei zwischen einer jungen
Frau aus dem Dorf und einem gleichaltrigen SS-Soldaten eingeflochten. Polina
setzt Franz' Liebeswerben allerdings eine deutliche Grenze, als sie seinen Kussversuch
mit einer Ohrfeige erwidert. Als von Franz die Erfüllung seiner „Pflicht“
verlangt wird – die darin läge, zum Vergewaltiger und Mordbrenner zu werden
–, entscheidet sich der junge Soldat für Polina, desertiert, begibt sich
mit dem Mädchen auf die Flucht über sumpfiges Land und verbirgt sich
gemeinsam mit ihr in einer Erdhöhle im Wald. Unaufdringlich, unsentimental
wird die gegenseitige Abhängigkeit dieser Menschen geschildert, deren Zuneigung
keineswegs von Anfang an auf festem Fundament steht. Vor allem Polina schwankt
in ihren Gefühlen. Sie beschimpft Franz als „Faschist“, beschützt
ihn aber doch vor den belarussischen Partisanen (auf deren Seite auch ihr Bruder
kämpft), indem sie ihn als stummen Mitbewohner ihres ausgelöschten
Dorfes ausgibt. Dem Film liegt die Novelle „Der Stumme“ zugrunde, in welcher
der berühmte weißrussische Schriftsteller Ales Adamowitsch seine
Kriegserfahrungen verarbeitete. Von Adamowitsch stammt auch das Drehbuch, das
offenbar über ein Jahrzehnt lang in der russischen Filmindustrie herumgereicht
wurde – der Autor starb schon 1994.
Die unbestreitbare Intensität des Films lässt
auch im letzten Drittel nicht nach – hier schließen sich Franz und Polina
einer Gruppe belarussischer Flüchtlinge an, während die hereinbrechende
Winterkälte die Not der Heimatlosen zu verschärfen beginnt. Noch einmal
gelingt es Franz, die Fronten zu wechseln und aus einer von Nazitruppen besetzten
Kleinstadt Medikamente für die an Typhus erkrankte Polina zu holen. Nach
der Rückkehr zu den Flüchtlingen wird der junge Mann argwöhnisch
von einem zehnjährigen Jungen beobachtet, der durch die deutschen Mörder
zur Waise wurde und auf Rache sinnt. Der kleine Kassik hält eine geladene
Pistole versteckt. Der Junge wird bis in Details hinein (ein Kratzer im Gesicht)
mit dem älteren Franz verglichen. Auch Kassik muss sich, ähnlich wie
Franz während der Liquidation der Dorfbevölkerung, zwischen Menschlichkeit
und Gewalt entscheiden (der Frage, ob diese Unterscheidung im Krieg klar zu
treffen ist, weicht die filmische Rhetorik allerdings eher aus). Kassik könnte
eines dieser Kinder sein, die anfangs noch unbeschwert im Wasser planschten.
Der Krieg verschlingt seine Kinder.
Zu leicht macht es sich Michail
Segal in seinem Spielfilmdebüt aber ausgerechnet mit seiner Hauptfigur
Franz, dessen eindimensional-selbstlose Erscheinung zu engelshaft daherkommt,
um plausibel zu sein
– trotz des starken Eindrucks, den der Darsteller
Adrian Topol hinterlässt. Kann es wirklich sein, dass ein etwa 25-jähriger
NS-Soldat gänzlich unbefleckt von der Nazi-Ideologie geblieben ist, und
sich zudem ohne Umschweife auf die Seite der Opfer schlägt? Oder verbirgt
Segal etwaige Schattenseiten der Figur in den Erzählsprüngen seiner
Geschichte, die im Filmverlauf einige Rätsel aufgibt. Wie Franz seine Polina
durch kriegsversehrtes Land führt, scheint auch der Film sein Liebespaar
ohne moralische Blessuren durch die von Fallstricken möglicher Täterschaft
gesäumte Geschichte mogeln zu wollen. Dabei kommt es zu Auslassungen, die
dem Zuschauer entscheidende Diskussionsgrundlagen entziehen.
Allerdings ist das Problem, das man mit der russischen
Produktion „Franz + Polina“ haben kann, zuallererst ein spezifisch deutsches:
Die Diskussion um jugendliche Hitler-Soldaten und ihre Schuldfähigkeit
ist durch die Enthüllung von Günther Grass im August 2006 neu entflammt.
Der Schriftsteller hatte sein Bekenntnis, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu
sein, im vergangenen Jahr mit der politischen Naivität eines Jugendlichen
zu entschärfen gesucht. Grass' Kritikern stieß vor allem der Kontrast
zu seinem sonstigen moralischen Rigorismus auf. Vor diesem Hintergrund fällt
ein Dilemma in „Franz + Polina“ besonders ins Gewicht: Dem Zuschauer wird mangels
biographischer Informationen über den „unbeschriebenen“ Franz und aufgrund
der Löcher in der Erzählung die Freiheit genommen, die männliche
Hauptfigur überhaupt zu bewerten. Insofern, in der scheuklappenmäßigen
Beschränkung auf Flucht und Liebesdrama, weicht der Film dem historischen
Diskurs aus. Ähnlich wie Polina hat das Publikum keine Wahl – diesen Jungen
müssen, sollen wir lieben. Schon klar: Liebe macht blind. Wenn ein Liebesfilm
vor derart belastetem Hintergrund allerdings geschichtsblind macht, bleibt ein
mulmiges Gefühl zurück.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-dienst
Franz
+ Polina
Russland
2006 - Regie: Mikhail Segal - Darsteller: Adrian Topol, Svetlana Ivanova, Andrej
Merzlikin, Tamara Mironova, Uwe Jellinek, Valentin Matsapura - FSK: ab 12 -
Länge: 124 min. - Start: 30.8.2007
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