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Frauen am Rande des
Nervenzusammenbruchs
Drama, Drama, Drama!
Eine der wohl bekanntesten Komödien Almodóvars, in der er alle
Register seines Könnens zieht und es ihm gelingt, die ganze Schauspielergarde
so richtig auf Trab zu bringen. Wer diese Komödie bei nächster Gelegenheit
verpasst, müsste sich eigentlich ärgern.
Inhalt
Wenn es nur die Liebeserklärungen gewesen wären, die Iván
(Fernando Guillén) als Synchronsprecher den schönsten Schauspielerinnen der Welt
am Mikrofon gemacht hätte – nein, nach einer langjährigen Ehe mit Lucia
(Julieta Serrano) will er nun auch Pepa (Carmen Maura), ebenfalls
Synchronsprecherin, nach etlichen Jahren verlassen und hinterlässt ihr auf dem
Anrufbeantworter die Nachricht, sie solle seine Sachen in einen Koffer packen
und bei der Hausmeisterin (Chus Lampreave) abstellen.
Pepa ist verzweifelt, will in der gemeinsamen Wohnung nicht mehr
leben, schreibt sie zur Vermietung aus und erleidet während ihrer Arbeit einen
Ohnmachtsanfall. Pepa wartet auf einen Anruf von Iván, doch der meldet sich
nicht; sie sucht halb Madrid nach ihm ab, meldet sich bei Lucia, von der sie
nur eine Abfuhr erteilt bekommt, wird aggressiv, schmeißt nacheinander Telefon
und Anrufbeantworter durch die Fensterscheibe usw.
Doch das Drama wird noch viel komplizierter. Nicht nur, dass sich
Lucias Sohn Carlos (Antonio Banderas) und dessen Freundin Marisa (Rossy de
Palma) bei ihr als Wohnungsinteressierte melden. Zu allem Unglück ist ihre
nervige, hypochondrische Freundin Candela (María Barranco) auch noch in
irgendeine verrückte Geschichte mit Terroristen verstrickt. Die feministische
Anwältin Paulina Morales (Kiti Manver) tut ein übriges, um die Situation zu
verkomplizieren – bis zwei Polizisten bei Pepa erscheinen ...
Inszenierung
Ich will über den Film nichts weiter verraten. Denn die –
zweifellos bis ins letzte Detail durchkonstruierte – Geschichte ist von
schrägen Charakteren, steigender Dramatik und Humor nur so durchtränkt. Nicht
nur Slapstick-Elemente durchziehen den Streifen; auch eine geradezu pralle
Optik, in die auch die Werbung, die Pepa auch macht, mit einbezogen wird, sorgt
dafür, dass man sich kaum noch auf dem Kinosessel halten kann und sich am
liebsten vor Ort in das Getümmel werfen will. Jede einzelne Figur des Films ist
gut durchdacht und in ihrer Charakteristik perfekt konstruiert.
Es scheint nur um eines zu gehen: Iván, Iván und nochmals Iván,
der das nur scheinbar geordnete Leben von Pepa und Ex-Frau Lucia völlig
durcheinandergebracht hat und alle an den Rand eines Nervenzusammenbruchs
treibt, aber eben nur an den Rand. Denn das Entscheidende ist es nicht, in der
Nervenklinik landen zu wollen, sondern das Drama um Iván zu durchleben, ja
weiterzutreiben, nur am Rand des psychischen Kollapses zu stehen, aber nicht in
den Abgrund zu springen, sondern dem Leben durch die Inszenierung des eigenen
Dramas einen scheinbaren oder tatsächlichen Sinn zu geben. Alles dreht sich um
einen Mann? Noch dazu keinen besonders attraktiven? Nein, alles dreht sich um
das Drama, das Theatralische, bis zum Endspurt am Flughafen, über den ich hier
selbstverständlich nichts verraten werde, obwohl es mich geradezu danach
drängt, ein Endspurt, der alles in sich zusammenfallen lässt, vorübergehend
oder endgültig, das bleibt offen – bis zur nächsten Inszenierung des nächsten
Dramas?
Mit Wortwitz und Situationskomik hat Almodóvar eine von Anfang bis
Ende spannende und humorvolle Komödie inszeniert, die bis in feine Details
durchdacht ist (etwa die Ohrgehänge von Candela: Espressomaschinen!) und in der
sich verschiedene Handlungsebenen miteinander zu einem Ganzen verschränken.
Schauspieler
Carmen Maura, die Pepa, was soll man zu dieser Schauspielerin noch
sagen? Sie wirft sich hinein ins Getümmel, das sie zum größten Teil selbst
gestaltet, was ihr aber in keiner Weise oder nur selten bewusst zu sein
scheint, behält aber in kritischen Situationen, in denen sich das ganze
Theaterstück in einem riesigen Knall in Luft aufzulösen scheint, die Oberhand –
und treibt das Drama weiter: nächster Akt. Die Maura hat schlagfertigen,
trockenen Humor, kann furchtbar überzeugend leiden und in nächster Sekunde
kräftig austeilen.
Antonio Banderas als oberflächlich schüchtern-verhaltener Jüngling
entpuppt sich als punktuell lustbesessener Mann. Banderas, äußerlich kaum
wiedererkennbar, meistert den Spagat zwischen
dieser Schüchternheit und seiner Begierde meisterhaft.
Julieta Serrano als Ex-Ehefrau von Iván, rachelüstern, aggressiv
und eben auch immer am Rande des Abgrunds, kann als verletzte Kleinbürgerliche,
die es bis zu Mordplänen treibt, voll überzeugen.
María Barranco als immer leidender Hypochonder, als schwache Frau,
die mal wieder enttäuscht wurde, als sie von der großen Liebe ihres Lebens
träumte, aber dennoch bereit ist, alles zu tun, um ja nicht in Polizeigewahrsam
zu kommen, spielt das kleine nervende Luder sehr sympathisch und mit viel
Humor.
Zu erwähnen wäre noch Chus Lampreave als Hausmeisterin und Zeugin
Jehovas, der punk-blonde Taxifahrer Guillermo Montesinos, der offenbar um alles
in der Welt Kohle machen will und sein Taxi zum Kiosk ausgebaut hat, sowie
Loles León als Sekretärin, die mit allerlei zynischem Spott ihre schwierige
Aufgabe meistert – wieder einmal hervorragend besetzte »Neben«rollen.
Fazit
»Mujeres al borde de un ataque de nervios« ist eine Komödie voll
des gutmütigen, aber auch beißenden
Humors, eine Liebeserklärung – wie oft bei Almodóvar – an die Frauen, aber auch
Sozialsatire. Auf unglaublich wortwitzige und situationskomische Art vermittelt
der Regisseur (wieder einmal), wie wir alle das Drama in unserem Leben selbst
schreiben. Er lässt offen, ob wir das wirklich brauchen. Auch dieser Film ist
in gewisser Weise – obwohl bis ins Detail durchdacht – halb-dokumentarisch.
Almodóvar hält mit der Kamera, ohne Scheuklappen, feste drauf. Einer der
wenigen Filme, die ich bestimmt noch einmal anschauen würde und werde.
Ulrich
Behrens
Dieser Text ist, unter
dem Namen POSDOLE, zuerst
erschienen bei: ciao.de
Frauen
am Rande des Nervenzusammenbruchs
Mujeres al borde de un ataque de nervios
Spanien
1988
(OmeU)
Regie
und Buch: Pedro Almodóvar
Kamera: José Luis Alcaine
Ton: Guilles Orthion
Bauten: Félix Murcia
Schnitt:
José Salcedo
Kostüme: José Maria Cossío
Musik: Bernardo Bonezzi
Darsteller: Carmen Maura (Pepa Marcos),
Antonio Banderas (Carlos), Julieta Serrano (Lucia), Rossy de Palma (Marisa),
María Barranco (Candela), Kiti Manver (Paulina Morales), Guillermo Montesinos
(Taxifahrer), Chus Lampreave (Portera Testiga de Jehová), Yayo Calvo (Padre de
Lucia), Loles León (Sekretär), Ángel de Andrés López (Polizist), Fernando
Guillén (Iván)
Produktion:
El Deseo
Produzent: Agustín Almodóvar
Produktionsleitung:
Esther García
95
Minuten
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