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Der Frauenmörder von Boston
Hysterie
und Angst in Boston
In einem 1968 von Richard Fleischer
("20.000 Meilen unter dem Meer", 1954, "Die Wikinger", 1958,
"Die Phantastische Reise", 1966, "Conan der Zerstörer",
1984) gedrehten Film erzählt der Regisseur eine wahre Geschichte, die des
als erster Serienkiller in die Geschichte der USA eingegangenen Albert De Salvo,
dem 13 Morde an Frauen zwischen 1962 und 1964 zur Last gelegt wurden. Obwohl
De Salvo mehrere Vergewaltigungen nachgewiesen werden konnten, wurde seine Schuld
für die Morde nie geklärt. 1973 wurde er in seiner Gefängniszelle
ermordet aufgefunden, der Täter wurde nie gefasst.
Für die Medien waren die
Frauenmorde Anfang der 60er Jahre ein gefundenes Fressen, zumal durch die Art
und Weise der Morde - der Täter wählte sich allein stehende Frauen
als Opfer - in der Bevölkerung von Boston Hysterie ausbrach und die Medien
diese Angst eher noch schürten.
• I N H A L T •
Detective Di Natale (George Kennedy)
wird zu einer Wohnung gerufen, in der eine ältere Frau misshandelt und
erwürgt wurde. Der Polizeiarzt stellt fest, dass das Opfer nicht vergewaltigt
worden war. Kurze Zeit später entdecken zwei Frauen ein weiteres Opfer,
ihre Nachbarin, die mit einem seltsam geknoteten Tuch erwürgt wurde. Ein
drittes Opfer, wieder eine allein stehende ältere Frau, die ebenfalls erwürgt
wurde, wurde zuvor mit dem Hals einer Flasche misshandelt. Die Polizei, Captain
Willis (Richard X. Slattery), Sgt. McAfee (Murray Hamilton) und Di Natale, stehen
vor einem Rätsel: Niemand hat den Täter gesehen, der zudem nicht die
geringsten Spuren hinterlassen hat. Erschwerend kommt hinzu, worauf auch die
Presse hinweist, dass die Taten in verschiedenen Polizeidistrikten begangen
wurden und daher wegen der unterschiedlichen Zuständigkeiten eine Koordination
der Ermittlungsarbeit erschwert wird.
Während die Medien über
die Morde breit berichten, überprüft die Polizei - mehr hilflos, als
nach einem Plan - die üblichen Verdächtigen: vorbestrafte Sexualtäter,
Voyeure, Fetischisten und andere. Doch das führt zu nichts. Inzwischen
ist die Zahl der Opfer auf sechs gestiegen, in der Bevölkerung breitet
sich Panik aus.
Justizminister Brooke (William
Marshall) will die Arbeit der Polizei koordinieren. Er plant, einem bewährten,
aber seit langer Zeit nicht mehr im aktiven Polizeidienst tätigen Mitarbeiter,
John S. Bottomly (Henry Fonda), diese Aufgabe zu übertragen. Bottomly ist
nicht gerade begeistert, bildet dann jedoch eine Spezialeinheit, die in ganz
Boston ermittelt. Erschwerend kommt allerdings hinzu, dass es sich bei dem siebten
Opfer nicht mehr um eine ältere allein stehende Frau, sondern um eine junge
Schwarze handelt, die zudem mit zwei Freundinnen zusammenlebte. Ein Täterprofil
zu erstellen, wird immer schwieriger.
In der Bevölkerung wächst
die Zahl derjenigen, die aufgrund teilweise fadenscheiniger Vermutungen, teilweise
dürftiger Indizien bestimmte Männer verdächtigen, mit den Morden
etwas zu tun zu haben. Verdächtigt wird u.a. ein gewisser Huntley (Hurd
Hatfield), den zwei Frauen beschuldigen, weil er Bücher von de Sade und
Literatur über Würgepraktiken sammelt. Auch einen David Parker (Shelley
Burton) verdächtigt die Polizei, weil der mit einem Messer auf seine Frau
losgegangen ist. Schließlich rückt man dem Lebensmittelhändler
Brumley (George Furth) zu Leibe, der sich als (falscher) Colonel innerhalb eines
halben Jahres an ca. 500 Frauenherangemacht hat und dies in einem Notizbuch
fein säuberlich notiert hat.
Das neunte Opfer ist eine 19jährige
Frau. Der ansonsten nüchtern denkende und handelnde Bottomly engagiert
in seiner Hilflosigkeit einen bekannten Wahrsager namens Hurkos (George Voskovec),
der die Polizei auf die Spur von Eugene O'Rourke (William Hickey) führt,
einen Mann, der Damenhandtaschen sammelt und offensichtlich seelisch krank ist.
Doch all diese Spuren führen
Bottomly und seine Kollegen in Sackgassen - bis die Aussage eines Vergewaltigungsopfers
zu dem Installateur Albert De Salvo (Tony Curtis) führt, einen scheinbar
harmlosen Familienvater. Beim zeitlichen Abgleich seiner Arbeitseinsätze
mit den Morden stellt Bottomly fest, dass De Salvo praktisch kein Alibi für
die inzwischen 13 Morde hat. Nicht nur das: Der Psychiater R. Nagy (Austin Willis)
stellt bei De Salvo eine bestimmte Form von Schizophrenie fest und will den
vermeintlichen Täter vor Verhören durch die Polizei bewahren, weil
dies möglicherweise dazu führen könnte, dass De Salvo überhaupt
nicht mehr ansprechbar ist. Doch Bottomly vereinbart mit Nagy, de Salvo zu verhören,
ohne die Ergebnisse seiner Gespräche dann für das Ermittlungsverfahren
zu verwerten. Bottomly reicht es inzwischen aus, einigermaßen sicher zu
gehen, dass er den richtigen Täter dingfest gemacht hat - selbst wenn er
wegen der Morde nicht verurteilt wird, sondern den Rest seines Lebens in der
Psychiatrie verbringen muss.
•
I N S Z E N I E R U N G •
Das besondere an Fleischers Inszenierung
ist der fast dokumentarische Charakter des Films. Dies erreichte er durch mehrere
Mittel: zum einen durch die Verwendung dokumentarischen Materials - u.a. über
die Beisetzung des ermordeten amerikanischen Präsidenten Kennedy -, zum
anderen durch die Verwendung einer neuen Technik, die in der ersten Hälfte
des Films massiv zum Einsatz kommt: das Splitscreen-Verfahren, bei dem zwei
Negativstreifen auf einem Negativ in einem aufwendigen Verfahren über einen
sog. Oxberry, einen optischen Printer, montiert wurden. Da sich die Qualität
des Filmmaterials inzwischen wesentlich verbessert hatte, kam es bei der Montage
der Negativstreifen zu praktisch keinem Qualitätsverlust (heute können
solche Splitscreen-Ergebnisse mittels digitaler Techniken sozusagen in Sekundenschnelle
erzielt werden). Durch die Splitscreen-Technik konnte Fleischer dem Publikum
gleichzeitig zwei Szenen präsentieren. In der einen zeigte er z.B. zwei
Frauen, die sich im Hausflur unterhalten, in der anderen ein dunkles Zimmer,
in dem ein Opfer des Frauenmörders liegt. Oder er zeigt eine Frau an der
Haustürsprechanlage und in einem anderen Streifen gleichzeitig die Klingelanlage,
an der der Mörder (ungesehen) mit der Frau spricht, um sich Einlass zu
verschaffen.
Auf diese Weise erhält der
Film einen Grad an Authentizität, der einem Dokumentarfilm sehr nahe kommt.
Verstärkt wird dies noch dadurch, dass - auch aufgrund der Abneigung vieler
Regisseure in Hollywood gegen die aufkommende Bedeutung des Fernsehens und gegen
die Presse - die eingeblendeten Szenen, in denen Medienvertreter zu Wort kommen,
authentisch wirken. Deutlich zu spüren ist auch die medienkritische Tendenz
des Films.
Der zweite Teil des Films steht
dieser Art der Inszenierung zwar nicht diametral entgegen. Aber ab dem Zeitpunkt
der Festnahme De Salvos wechselt Fleischer sozusagen in eine "ruhige Gangart".
Alles spitzt sich immer mehr zu auf die Verhöre De Salvos durch Bottomly
in einem weiß getünchten, von grellem Licht durchfluteten Raum, in
dem sich außer einem Tisch, zwei Stühlen und einem Aufnahmegerät
nichts befindet. Alles konzentriert sich auf die Fragen Bottomlys, seinen Versuch,
die "andere Person" De Salvos zum Vorschein zu bringen - bis Erinnerungsfetzen
an begangene Verbrechen De Salvo, der von dieser "anderen Person"
seiner selbst nichts ahnt, unsicher machen. In diesem letzten Abschnitt des
Films montiert Fleischer mehrmals diese Erinnerungen auf die Weise, dass man
De Salvo und Bottomly an den entscheidenden Orten der Verbrechen miteinander
sprechen sieht.
Zu erwähnen ist auch das
Ende des Films, der Moment, in dem in De Salvo die "andere Person"
plötzlich zu Wort kommt. Das Bild wird immer greller, weißer, bis
De Salvo in der den ganzen
Bildschirm beherrschenden Weiße in einer
Ecke des Raums immer kleiner wird. Hier deutet Fleischer noch einmal - wie des
öfteren im Film - an, wie unsicher die Beweislage für die Polizei
gegen De Salvo war, andererseits aber auch, wie unsicher sich der Verdächtigte
selbst über seine Persönlichkeit zu sein schien.
Schließlich sind noch die
beiden Hauptdarsteller zu erwähnen, Henry Fonda, der einen kühlen
Kopf wieder einmal überzeugend spielt, und vor allem Tony Curtis in einer
seiner wenigen ernsthaften Rollen, der den schizophrenen De Salvo überzeugend
darbieten kann.
• D V D •
Sprache: Deutsch
und Englisch (Dolby Digital 2.0 Stereo)
Untertitel:
Deutsch, Italienisch, Spanisch, Niederländisch, Schwedisch, Dänisch,
Finnisch, Norwegisch, Griechisch, Französisch
Bildformat: 16:9, 2.35:1
Dolby, HiFi Sound, PAL
DVD Erscheinungstermin:
5. September 2005
Der (heute relativ
unbekannte) Film ist wohl zum ersten Mal in Deutschland auf DVD erschienen.
20th Century Fox veröffentlichte die Scheibe in seiner Reihe "Große
Filmklassiker" anlässlich des 70jährigen Bestehens der Produktionsfirma
in ausgezeichneter Bild- und Tonqualität. Ein sechsseitiges Begleitheft
ergänzt die Edition. Bonusmaterial enthalten die DVDs dieser Reihe nicht.
Wertung Film:
9 von 10 Punkten.
Wertung DVD:
9 von 10 Punkten.
Ulrich Behrens
Dieser Text
ist zuerst erschienen in:
Der Frauenmörder von Boston
(The Boston Strangler)
USA 1968, 116 Minuten (DVD: 111 Minuten)
Regie: Richard Fleischer
Drehbuch: Edward Anhalt, nach dem Buch von Gerold Frank
Musik: Lionel Newman, John Philip Sousa
Kamera: Richard H. Kline
Schnitt: Marion Rothman
Darsteller: Tony Curtis (Albert De Salvo), Henry Fonda (John S.
Bottomly), George Kennedy (Det. Phil Di Natale), Hurd Hatfield (Terence Huntley),
William Marshall (Edward W. Brooke), George Voskovec (Peter Hurkos), Leora Dana
(Mary Bottomly), Carolyn Conwell (Irmgard De Salvo), William Hickey (Eugene
T. O'Rourke), Shelley Button (David Parker), Austin Willis (Dr. Nagy), George
Furth (Lyonel Brumley), Richard X. Slattery (Capt. Ed Willis)
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