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Freedom
Writers
Richard LaGraveneses
Drama über eine geglückte Schulreform
Der Reiz so mancher Geschichte, die das Kino erzählt,
besteht darin, dass der Zuschauer sie für fantastisch hält – und dann
davon überrascht wird, dass sie doch wahr ist. Freedom
Writers zum Beispiel ist die Verfilmung
eines pädagogischen Wunders, das sich tatsächlich so zugetragen hat:
Einer jungen und unerfahrenen Lehrerin gelingt es, eine Klasse von unterprivilegierten
und milieugeschädigten Schülern durch besonderes Engagement zum Lesen
und Schreiben anzuregen. Es ist eine schöne und rührende Geschichte.
Aus feindseligen jungen Menschen, die von der Aufsicht in das Klassenzimmer
geführt werden müssen, werden aufgeschlossene, wissbegierige Jugendliche,
die sich gegenseitig achten und ihrer Lehrerin mental zu Füßen liegen.
Die Geschichte erscheint nicht völlig neu: Man denkt an Dangerous
Minds und weitere Filme, in denen
Hollywoodstars das amerikanische Schulsystem retten. Der von dem erfahrenen
Drehbuchautor Richard LaGravenese (König
der Fischer, Die
Brücken am Fluss) inszenierte
Freedom Writers
bewegt sich mit der Besetzung – Hilary Swank spielt die junge Lehrerin – und
der Dramaturgie – am Ende schluchzt der Zuschauer – aber so geradlinig in den
Bahnen des Genres, dass man die true
story hinter dem Ganzen völlig
vergisst. Das pädagogische Licht der Hoffnung, das die junge Lehrerin in
die vorher aussichtslosen Leben ihrer Schüler bringt, treibt einem zwar
die Tränen in die Augen, für wahr hält man das Ganze aber umso
weniger.
Das ist schade, denn die Unwahrscheinlichkeit der
Ereignisse macht die Geschichte erst interessant. Die 23-jährige Erin Gruwell
hat die Herzen ihrer Schüler nämlich auf sehr besondere Art und Weise
erobert. Eines Tages entdeckt sie eine im Klassenzimmer herumgereichte Karikatur,
auf der ein schwarzer Mitschüler mit übertrieben dicken Lippen gezeichnet
ist.
Empört vergleicht sie die Zeichnung mit Nazi-Karikaturen
– und muss feststellen, dass der Großteil ihrer Schüler gar nicht
weiß, was das Wort Holocaust bedeutet. Sie befragt ihre Klasse nach ihren
Erfahrungen mit Krieg und Gewalt – und ist ihrerseits erstaunt über das
Ausmaß. Fast alle haben schon einmal erlebt, dass auf sie geschossen wurde,
fast alle haben mindestens einen Angehörigen in einem Schusswechsel verloren.
Das Erstaunliche ist nun, dass Erin Gruwell diese beiden Dinge, das Nichtwissen
über den Holocaust und die alltäglichen, kriegsähnlichen Erfahrungen
der Schüler, zu einem pädagogischen Konzept zusammenbringt: Sie liest
mit ihrer Klasse das „Tagebuch der Anne Frank“. Und siehe da, das Unwahrscheinliche
passiert: Die leidgeplagten Gettokinder können sich bestens mit dem fernen
und fremden Leid identifizieren. Bald schreiben sie selbst alle Tagebuch.
Wie gesagt: Wenn jemand sich das bloß ausgedacht
hätte, würde man den Kopf schütteln über die „Verklärung“
der Wirklichkeit. Leider haben nun weder die Drehbuchautoren noch der Regisseur
sich etwas dafür ausgedacht, wie man die wahre Geschichte glaubhaft auf
der Leinwand präsentiert. Hilary Swank als idealistisch-uneitle Schönheit,
die ihren hartgesottenen Schülern mit mädchenhaftem Lächeln entgegentritt,
wirkt von Anfang an wie eine reine Erfindung. Dass sie sich im Klassenzimmer
Gehör verschaffen kann, nimmt man ihr in keiner Sekunde ab.
Die wirklichen Schüler der Erin Gruwell haben
ihre Tagebücher schließlich veröffentlicht. Der Film greift
die Textsammlung an ein paar Stellen auf, in denen einzelne Schüler aus
dem Off von sich erzählen. Der mehrfache Perspektivwechsel stört den
Fluss des herkömmlichen Filmmärchens, in dem Swank sich als geliebte
Pädagogin feiern darf. Leider gibt es von diesen Irritationen zu wenig,
um den realen Erfahrungen der Schüler irgendwie nahe zu kommen.
Barbara Schweizerhof
Dass der Film um eine amerikanische Schulklasse,
der es gelingt, eine „Ghetto-Erziehung“ zu überwinden, auf einem authentischen
Fall beruht, mag man kaum glauben: zu routiniert erzeugen der Regisseur und
sein Star hollywoodtypische Rührung.
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 3/2007
Freedom
Writers
USA 2007. R und B: Richard LaGravenese (nach dem Buch
„Freedom Writers Diary“). P: Stacey Sher, Michael Shamberg, Danny DeVito. K:
Jim Denault. Sch: David Moritz. M: Mark Isham, will.i.am. T: David Parker. A: Laurence Bennett, Peter Borck. Ko: Cindy Evans. Sp: Dan Schmit, Edson Williams. Pg: Paramount/Double
Feature/ MTV/Jersey/Kernos. V: UIP. L: 123 Min. Da: Hilary Swank (
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