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Free
Rainer – Dein Fernseher lügt
Weltrettung mit
Reclamheft
"Free Rainer", das semi-satirische Feelgood-Movie
von Hans Weingartner ("Die
fetten Jahre sind vorbei"),
kämpft gegen Untiefen des Trash-TVs - und nutzt dessen Mittel.
Eigentlich eine gute Idee: Man sollte dringend etwas
gegen das Fernsehen tun! Was sind schon Hassprediger, was weltanschaulich irregeleitete
Büchner-Preisträger gegen den verheerenden Einfluss von "Sturm
der Liebe", Beckmann und die Erdferkel-Pornos im Nachmittagsprogramm? Wann
hat es die letzte ideologiekritische Auseinandersetzung mit Stefan Raabs Plautze,
wann die letzte machtanalytische Intervention gegen "Titel, Thesen, Temperamente"
gegeben, wann ist das letzte faule Ei gegen den Populismus geflogen? Lange her.
Und dass im ideologischen Zentrum der fatalen Fernsehlage der Fetisch der Quote
steht, als besonders blöder Eiterpickel auf dem hässlichen Gesicht
eines von Werbung und deren Lebenslüge Marktforschung lebenden Gegenwartsfernsehen,
hat Hans Weingartner richtig erkannt. Leider geht es in seinem semi-satirischen
Feelgood-Movie "Free Rainer - Dein Fernseher lügt" aber nicht
nur mit den falschen Mitteln gegen dieses Fernsehen. Das, was er sich an dessen
Stelle wünscht, wäre fast schlimmer als der Status Quo.
Zwei Hauptprobleme gibt es also mit der Geschichte
vom maßlosen Zyniker Rainer, einem bis in die letzte Pore innerlich mit
Koks verklebten Bösmenschen, den eine aufrechte, schöne junge Frau
in einen altruistischen, kulturpolitischen Guerillero auf dem Boden des Godesberger
Programms umprogrammiert. Das erste wäre der künstlerische Selbstwiderspruch.
Eine lustige Versehrtentruppe aus Hartz-IV-Empfängern, dem geläuterten
Privatfernsehverbrecher und weiteren schönen Seelen will in einer ausgeklügelten
Aktion dem Quotenterror den Garaus machen. Am Ende haben sie einen schönen
Erfolg. Die Leute lesen wieder. Und nicht irgendeinen Scheiß: Sie sitzen
im Park und blättern in Reclam-Heftchen.
Der Widerspruch? Dieses erbauliche Märchen wird
mit exakt den Stilmitteln erzählt, die einzusetzen sich mittlerweile selbst
der abgebrühteste Quotensklave nicht mehr trauen würde: etwa mit launigen
Slice-of-life-Nummern, die den Fortschritt der verschiedenen Aktionen der liebenswerten
Guerilla-Truppe vorführen sollen. Ein Potpourri von Kürzestszenen
mit menschelnden Pointen, zusammengehalten von einem Song - genau so dreht man
"Like Ice in the Sunshine" für Langnese oder "Volle Pulle
Leben" für Spreequell. Nur dass selbst Werbespots inzwischen nicht
mehr so breit durch die Gegend schmunzeln. Die Figuren, die aus je einer Eigenschaft
pro Person bestehen, würde sich selbst das hier massiv angegriffene Privatfernsehen
nicht mehr trauen.
Am fürchterlichsten sind dabei die Hauptrollen:
der von Moritz Bleibtreu gegebene zynische, menschenverachtende Trash-Show-Produzent,
der nach reichlich blechverschleißenden Unfällen - die nichts zur
Geschichte beitragen, aber vermutlich irgendeinem, von der hier gültigen
Jugendmovie-Konvention festgelegten Actionanteil entsprechen müssen - und
nach noch mehr Nasenbluten sein Leben ändert und die hehre, hohe Frau,
die durch dessen Machenschaften ihren geliebten Großvater verloren hat
und nun schön und unbestechlich gegen das Boulevard-Fernsehen kämpft.
Sie sind bis zur kompletten Unkenntlichkeit von jeder Wirklichkeit wegabstrahiert.
Das zweite Problem ist aber die Analyse der Probleme
des heutigen Fernsehens und die dem entgegensetzte spießige Utopie einer
besseren Medienwelt, für die der Film plädiert. Sein Feind ist nicht
die Normalität des Fernsehens und dessen Ideologie, sondern die schrillen,
untersten Untiefen des Unterschichten-Privatfernsehens. Aber nicht, was solche
Produktionen an Ideen, Werten und Selbstverständlichkeiten als normal ausgeben
und so Druck auf 14jährige ausüben, deren Peer Groups sich von solchen
Sendungen beeindrucken lassen mögen, gilt hier als Problem, sondern der
menschenverachtende Umgang mit dem sich erniedrigenden Personal. Und die schlechte
Recherche der Nachrichtenredaktionen.
Als dann die geschickte Außerkraftsetzung der
Quotenerhebung greift und nicht mehr die Produktionen hohe Quoten bekommen,
die tatsächlich von der stumpfen Masse gesehen werden, sondern die, die
die Guerilla für nicht verdummend hält und entsprechend hochmanipuliert,
ändern sich auch die tatsächlichen Sehgewohnheiten der Prolls. Die
Welt ist gerettet, als die Leute mit guten Büchern aus dem Curriculum der
gymnasialen Mittelstufe im Park sitzen und nun "Monitor" und die "Wissensshow"
die nicht mehr manipulierten, befreiten Quotencharts anführen.
Nichts gegen die Verdienste von "Monitor"!
Aber diese Medienkritik hat offensichtlich vergessen, dass wir unter sozial-
und christdemokratischem Erbauungsfernsehen ebenso lang gelitten haben wie jetzt
unter menschenverachtendem Unterschichtstrash. Die "Drehscheibe" oder
"Mosaik" haben damals womöglich weniger Unheil angerichtet als
Heidi Klum und Detlef D! Soost heute, aber sub
specie aeternitatis gehören
sie zur anderen Seite derselben populistischen Rezipientenverachtung, deren
Logik natürlich auch mit der Architektur des Mediums zu tun hat. Wer mit
dem Fernsehen noch einen Mainstream konstruieren will, sei es nach dem Modell
des idealen Werbekunden oder nach dem des Staatsbürgers, partizipiert an
ihr. Die Beschreibung des historischen Subjekts, das hier zu Wort kommen soll,
nämlich "die Unangepassten, die, die noch wirkliche Gefühle haben",
spricht das Selbstverständnis desjenigen jugendlichen Kleinbürgertums
aus, das sich genau den faden Indierock reintut, der in diesem Film dauernd
läuft, und sich viel darauf einbildet, eh schon lange nicht mehr fernzusehen.
Diedrich Diederichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Ein längeres Gespräch mit dem Regisseur Hans Weingartner führte Andreas Thomas hier
Free
Rainer - Dein Fernseher lügt
Deutschland
/ Österreich 2007 - Regie: Hans Weingartner - Darsteller: Moritz Bleibtreu,
Elsa Sophie Gambard, Milan Peschel, Gregor Bloéb, Franziska Knuppe, Simone
Hanselmann, Us Conradi, Josef Heynert - FSK: ab 12 - Länge: 129 min. -
Start: 15.11.2007
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