From Dusk Till Dawn
Neulich
in der Titty Bar
Zwei
junge Wilde in einem Film: Roberto Rodriguez (»Desperado«) und Quentin
Tarantino
Der
Held reißt dem Vampir mit bloßen Händen das Herz aus dem Leib,
eine blutende Wunde klafft im Brustkorb, das Gesicht verformt sich zu eindrücklichen
Geschwürkombinationen. Dann wird das pulsierende, blutige Herz in Großaufnahme
mit einem Bleistift durchbohrt, was dem angeschlagenen Vampir den Rest gibt.
Er dematerialisiert zu einer grünlich-eitrigen, zäh-klebrigen Flüssigkeit.
Das ist eklig, aber ist das auch witzig? Im Falle von From
Dusk Till Dawn
muß diese Frage mit einem dreifach-kräftigen "Yes, it is"
beantwortet werden. Denn das Genie-Duo Roberto Rodriguez (Regie) und Quentin
Tarantino (Drehbuch) beherrscht die hohe Kunst der Übertreibung perfekt,
und selbst Splatter-Muffel werden sich dem energiegeladenen Bilderrausch dieses
Films nicht entziehen können.
Es
beginnt als Serienkiller-Story. Die Gebrüder Gecko sind, was das Rauben
und Morden angeht, nicht gerade zimperlich. Ein Laden samt Ladenbesitzer geht
in Flammen auf, und der manische Triebtäter Richard (Quentin Tarantino
himself), der von seinem cooleren Bruder Seth (George Clooney) nicht immer unter
Kontrolle gehalten werden kann, metzelt vor allem weibliche Geiseln auf unschöne
Weise dahin. Ein Großaufgebot von Polizei und FBI ist hinter ihnen her,
die Flucht geht Richtung Mexiko. Um unerkannt über die Grenze zu kommen,
kapern sie einen Familien-Karavan. Der Priester Jacob Fuller (Harvey Keitel,
der Allgegenwärtige) samt Tochter Kate (Juliette Lewis auch wieder dabei)
und Sohn Scott (Ernest Lia) werden zu unfreiwilligen Reisebegleitern des Killer-Duos.
Mit dem Grenzübertritt geht überraschenderweise alles klar, und nach
ca. 45 Minuten Laufzeit fragt man sich, was nun eigentlich noch passieren soll:
Die Gangster sind in Sicherheit, die Geiseln unverletzt, "so what?".
Ohne
sich mit schlüssigen Erklärungen aufzuhalten, wechselt From
Dusk Till Dawn
das Genre wie ein durchgeschwitztes T-Shirt. Die Serienkillerstory wird zusammengeknüllt
auf den Müll geworfen und eine Splatter-Vampir-Orgie aus dem Hut gezaubert.
Die Geckos und die Fullers kehren mit dem Sonnenuntergang in die düstere
"Titty Twister Bar" ein - eine wahre Lasterhöhle. Spärlich
bekleidete Damen tanzen hüftkreisend auf den Tischen, Zutritt haben nur
harte Trucker-Jungs mit Führerschein Klasse 2. Selbst den coolen Gecko-Brüdern
fällt in dieser Szenerie die Kinnlade runter. Schlag 12 Uhr verwandeln
sich die schönen Tänzerinnen und die weniger hübschen Barkeeper
in blutdürstige Vampirgesellen. Es beginnt ein halbstündiges Massaker,
wie man es lange nicht mehr gesehen hat.
Die
Priesterfamilie und die Schurkenbrüder verbünden sich gegen die illustre
Monsterschar und metzeln mit Billardstöcken, Tischbeinen, Weihwasserkanonen,
automatischen Pfahlabschußgeräten, kreuzförmigen Gewehren recht
effektiv hunderte von Vampiren nieder. Die Kunst liegt hier im Inflationären.
Der anfängliche Ekel verwandelt sich schnell in Begeisterung, denn der
Einfallsreichtum, mit dem hier massakriert wird, ist einfach bestechend. Mit
diebischer Freude wird hier ein Feuerwerk von Spezialeffekten gezündet,
an dem man sich gar nicht satt genug sehen kann.
Regisseur
Rodriguez (El
Mariachi/Desperado),
der in den Credits auch als ausführender Produzent und Cutter aufgeführt
wird, macht nach eigenem Bekunden seit seinem 14. Lebensjahr Filme. Auch wenn
das wahrscheinlich gelogen ist, glaubt man es ihm gern. Virtuos mixt und sampelt
der Meister verschiedene Genres, Schnitte so klar und prägnant wie mit
dem Fallbeil. Jede Sequenz eine Wundertüte, ein lustvoller Bilderrausch.
Natürlich speist sich das Ganze aus männlichen Allmachtsphantasien
verzogener kleiner Bengels, aber wer sich daran stört, ist ein Spielverderber
und kommt ohne Essen ins Bett.
Tarantino,
Rodriguez & Co. gehören einer neuen Kinogeneration an. Sie sind im
Zapping-Zeitalter groß geworden, und sie kennen das Medium so gut wie
andere ihren Vorgarten. Sie geben nicht vor, mit ihren Filmen die Realität
wiederzuspiegeln oder gar verändern zu wollen. Film ist Film und Schnaps
ist Schnaps. Befreit vom Anspruchsballast entstehen Filme so frisch und energiegeladen,
wie man sie von gut ausgebildeten Filmhochschülern nie, nie, nie bekommen
wird.
Martin
Schwickert
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