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From
Hell
Der Antibildungsroman
Das Interesse gilt nicht dem Mythos, sondern den
politischen und sozioökonomischen Implikationen des historischen Kriminalfalls:
Allen und Albert Hughes "Jack the Ripper"-Adaption "From Hell"
Die Milieus, in denen die Hughes-Brüder
Allen und Albert ihre Filme ansiedeln, haben sich seit ihrem Debütfilm
„Menace 2 Society“ kaum verändert. Der Los Angeles-Stadtteil Watts unterscheidet
sich nur oberflächlich vom pittoresken Whitechapel District des viktorianischen
Londons, in dem ihr neuer Film „From Hell“ spielt: Gewalt bleibt hier wie dort
die einzig verbindliche Sprache, und ihre Präsenz schafft eine Atmosphäre
permanenter Anspannung. Das Leben im so genannten Ghetto findet unter der Prämisse
absoluter Selbstkontrolle statt. Am unteren Ende des sozialen Spektrums ist
Paranoia die wesentliche Überlebenstechnik.
Die jüngste Ghetto-Adaption
der Gebrüder Hughes führt in ein archaisches Territorium wenig strukturierter
Gewaltformen. In ihrer Version vom Whitechapel des Jahres 1888, das Jahr, in
dem "Jack the Ripper" während des so genannten "Autumn of
Terror" fünf Prostituierte bestialisch ermordete, eskaliert Gewalt
an jeder Straßenecke. Allen und Albert Hughes waren jedoch nicht an einer
Fortschreibung des düsteren Ghetto-Realismus ihrer Filme „Menace 2 Society“
und „Dead Presidents“ interessiert, als sie sich vor einigen Jahren dazu entschlossen,
die Graphic Novel „From Hell“ des Gespanns Alan Moore/Eddie Campbell zu verfilmen.
„From Hell“ galt Ende der 80er Jahre vor allem als der ambitionierte Versuch
eines epochalen Comics, der die Taten von „Jack the Ripper“ in einem kruden
Fakten/Fiktion-Potpourri als Vorhut eines humanistischen Werteverfalls - an
der Schwelle zum Jahrhundert der Weltkriege und Genozide - zu
deuten versuchte. Die Apokalyptik dieser These, zu der ganz beiläufig auch
die Zeugung Adolf Hitlers im österreichischen Braunau parallel montiert
wurde, zeigte sich schon in Campbells rüden Schraffuren seiner holzschnittartigen
Bildertafeln. Die Begrenzungen der Bilder wurden fast zu klein, die Linien schienen
aus dem klaustrophobischen Comicfenster ausbrechen zu wollen.
Dementsprechend tableauartig ist
auch den Hughes-Brüdern das Setting ihres Films geraten. Gleich zur Eröffnung
gleitet die Kamera unter dem Opium-geschwängerten Blick Johnny Depps aus
der
Panorama-Totalen in die pfuhligen Straßenzüge von Whitechapel hinab.
Aber das Whitechapel der Hughes-Brüder ist noch viel mehr Hölle, als
es selbst Campbell in seinen Zeichnungen imaginiert hatte: ein erzviktorianisches
Gotham City, in dem der Mob weggeschlossen vom gesellschaftlichen Leben seine
eigenen archaischen Organisationsformen entwickelt hat.
Depp spielt den Typus des gebrochenen
Polizisten, wie er im Kino mit dem Copfilm der 70er Jahre eingeführt wurde.
In der Vorlage, die sich zumindest bei formalen Äußerlichkeiten akribisch
an historische Vorgaben hält, ist die Figur des Inspector Fred Abbeline
psychisch jedoch wesentlich gefestigter. Im narkotischen Blick Depps dagegen
offenbart sich bereits eine exemplarische Kaputtheit, von der die Hughes-Brüder
bildgewaltig erzählen wollen. Die Suche nach dem abgetauchten Partner führt
Sergeant Peter Godley (Robbie Coltrane) immer wieder zurück in die Opiumhöhlen
von Whitechapel, wo Abbeline seine dräunenden Todes-Visionen in Opiumschwaden
zu verdrängen versucht. Man erkennt sehr früh die Affinität der
Hughes-Brüder für solche Rituale der Selbstzerstörung, wenn sie
Abbelines Drogen-Zeremonien Schritt für Schritt dokumentieren. In ihren
Laudanum-geschwängerten Bildern findet sich trotzdem kein Zeichen von Erlösung.
Die spritzigen Cocktails, die sich mal Abbeline, mal der „Ripper“ mischen, werden
vielmehr zur überpointierten Metapher für die Krise der englischen
Klassengesellschaft.
Auf die naheliegende Frage, was
sie am „Jack the Ripper“-Stoff gereizt habe, hatten Allen und Albert Hughes
in einem Interview geantwortet, dass es ihnen weniger um den Mythos als vielmehr
um die politischen und sozio-ökonomischen Implikationen ging, die in dem
historischen Kriminalfall angelegt sind: die Dekadenz einer selbst erklärten
weißen Führungselite, ihre Korrumpierbarkeit und die Gewalt, die
aus diesen Machtverhältnissen erwächst. Hier berufen sich die Hughes-Brüder
allerdings auf eine historisch zweifelhafte Quelle: „From Hell“-Autor Alan Moore
hatte seine Graphic Novel im Wesentlichen auf der längt widerlegten „Königshaus“-Verschwörung
aufgebaut, laut der der „Ripper“ im Auftrag der Königin von England gehandelt
hatte, um einen Skandal im Buckingham Palace zu vertuschen. Der „Ripperologe“
Stephen Knight hatte diese Verschwörungstheorie estmals in seinen Buch
„The Final Solution“ (1978) entwickelt. Wie man sieht, hat sie bis heute nichts
von ihrer Faszination eingebüßt.
Allen Moore war sie als Handlungsgerüst recht und billig, um seinen
Abgesang auf die Zivilisation mit der Demontage des britischen Empire in angemessene
Dimensionen zu schrauben. Die Hughes-Brüder nutzen den nihilistischen Schwung
von Moores historischer Allegorie allerdings nicht zur Verifizierung eines epochalen
Anti-Bildungsromans. Sie versuchen sich vielmehr an einer „Oral History“ des
englischen Sub-Proletariats des späten 19. Jahrhunderts -
dem Pendant zu den „Pimps“, „Bitches“ und „Pushern“ ihrer frühen Filme.
Es ist ihnen nur bedingt gelungen. Vergeblich war ihr Unterfangen jedoch nicht:
„From Hell“ ist immerhin eine der wenigen aktuellen Comic-Verfilmungen, die
ihrer Vorlage wirklich gerecht wird.
Andreas Busche
Dieser Text ist in ähnlicher
Form auch erschienen in der taz
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diesem Film gibt’s im archiv
der filmzentrale mehrere Texte
From
Hell
USA
2001 - Regie: The Hughes Brothers - Darsteller: Johnny Depp, Heather Graham,
Ian Holm, Jason Flemyng, Robbie Coltrane, Lesley Sharp, Terence Harvey, Susan
Lynch, Katrin Cartlidge, Estelle Skornik - Prädikat: wertvoll - FSK: ab
16 - Länge: 137 min. - Start: 28.2.2002
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