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Früher
Frühling
Die
Syntax des Ozu-Films, exemplarisch: Ein Blick auf die Stadt, ein Blick auf einen
Zug. Ein Schnitt. Im Inneren eines Hauses. Ein Mann, eine Frau, sie drängt
ihn aufzustehen. Kurz darauf: eine Einstellung aus der Distanz - die Kamera,
als der Blick des Betrachters, lauert rechts im Vordergrund, schneidet eine
Mauer noch an, von rechts nach links im Hintergrund Menschen, alle mit weißen
Hemden. Dann: Der Bahnsteig. Ein Gespräch. Der Zug kommt. Bilder wie Aussagesätze,
parataktisch. Ein Morgen in einer Vorstadt von Tokio, Aufbruch zur Arbeit. Bilder
wie Aussagesätze, aber wohlgeformt, elegant und von einfacher Schönheit,
von der Schönheit des Einfachen.
Ozu
ist dabei kein Formalist. Nichts erklärt sich hier, im Detail, über
die Perspektive, die gewählt wird, durch die Mittel des Films: Montage,
Mise-en-Scène. Die Weltanschauung, die in dieser Form steckt, diffundiert
vielmehr hinein in jede dieser Szenen, informiert die allerkleinste Bewegung
ins letzte, es gibt im Ozu-Film (jedenfalls ab einem bestimmten Zeitpunkt seines
Werks) kein Bild, keinen Schnitt, keinen inszenierten Raum und keine Kamerabewegung,
die nicht reiner Ozu wäre. Er ist so, was er zuletzt scheint: ein totalitärer
Filmemacher. Nicht dass er, dass diese Form sich aufdrängte. Ihre Art ist
vielmehr: da zu sein, anwesend abwesend, der Erzählung, den Charakteren,
der Atmosphäre untergeordnet. Allem, was man sieht, vorausgesetzt. Es ist,
als erzählten diese Geschichten sich von selbst. Mit Authentizität
hat das nichts zu tun und nichts mit Natürlichkeit. Nur mit einer Grammatik,
die das, was sie sagen lässt, trägt, ohne sich explizit zu machen.
An
diesem Film fällt das auf, weil die Form und der Inhalt mehrmals auseinanderzuscheren
scheinen. Expliziter als sonst ist dieser Film - der ins Milieu mancher Ozu-Stummfilme
zurückkehrt - Kritik an den modernen Zeiten, die er mit der Eröffnung,
der Bewegung der Menschen zum Zug, dem Gedränge auf dem Bahnsteig, dem
Verkehr in Tokio karikieren will. Die Form des Spätwerks aber fügt
sich, anders als die in sich noch weit uneinheitlichere, dadurch offenere der
Stummfilme, dieser Absicht nicht. Die Schönheit der Bilder widerspricht
dem Widerspruch, den Ozu sucht, zur Gegenwart, zur gefährdeten Lohnarbeit
des "Salaryman", des Angestellten mit dürftigem Lohn und noch
dürftigeren Aufstiegsaussichten. Ich bin also, stellt einer dieser Salaryman
zu Beginn fest, ein dreihundervierzigtausendstel, hier, in Tokio. Es folgt ein
Blick auf die Straße, die Autos, die Straßenbahnen: und noch der
ist schön. So schön wie die symmetrischen Einstellungen auf die Fenster,
hinter denen man Körper sieht, bei der Arbeit.
Es
fehlt der Ozu-Grammatik, will einem scheinen, an der Möglichkeit, Dissonanz
auszudrücken. Sie ist gemacht für unaufdringliche Melancholie, für
eine Resignation, in der seltsamer Trost liegt, für das Sterben und das
Weiterleben, all die Abschiede und auch für die Bösartigkeiten, die
in der Nuance liegen können. Es ist eine Grammatik der unendlichen Höflichkeit.
Sie produziert Bilder, deren Allegorie das Sitzen am Fluss ist, das Gespräch
über Belanglosigkeiten oder über die großen Dinge des Lebens
ohne große Bewegtheit. Wenn es aber, wie in Early Spring, um schiere Kälte
gehen soll, Entfremdung - und darum ist es Ozu hier zu tun: Entfremdung im Privaten
und Beruflichen -, dann klingen die Bilder falsch und die Gefühle. Dann
wirkt manches zu dick aufgetragen, etwa der nächtliche Besuch der Kriegsveteranen
im Haus. Es fällt auch auf, wie wenig Ozu zu zeigen hat vom Verhältnis
der Eheleute, aber auch von der Affäre Sugiyamas.
Wunderschön
dagegen die Szenen vom Ausflug der Angestellten ans Meer, der Besuch Sugiyamas
bei seinem Kollegen Onodera (sie sitzen am Fluss und reden ohne große
Bewegung über das Leben) und zuletzt die von der Versöhnung in der
japanischen Provinz. Ein Blick, der auf Handtaschen fällt. Ein Zug, der
vorüberfährt (es sind viele Züge, die vorüberfahren, in
diesem Film). "Early Spring" ist ein sehr aufschlussreicher Film,
weil er im Misslingen Einblick eröffnet in die Ozu-Grammatik, die im Gelingen
unsichtbar bleibt, ja, deren Gelingen in ihrer Unsichtbarkeit liegt.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Früher
Frühling
(Early
Spring)
SOSHUN
Japan
- 1956 - 136 min. - schwarzweiß
Drama
Verleih:
offen
Erstaufführung:
23.8.1971 ZDF
Produktionsfirma:
Shochiku
Regie:
Yasujirô Ozu
Buch:
Kôgo Noda, Yasujirô Ozu
Kamera:
Yûshun Atsuta
Musik:
Takanobu Saitô
Schnitt:
Yoshiyasu Hamamura
Darsteller:
Ryo
Ikebe (Sugiyama)
Chikage
Awashima (Masako)
Keiko
Kishi (Chiyo)
Teiju
Takahashi (Aoki)
Eijiro
Tohno (Onodera)
Chishû
Ryû
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