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Die
fünfte Jahreszeit
Das
Dorf sieht aus, als wäre es aus lehmigen Quadersteinen an den Felsabhang
geklebt worden. Nackt schauen die Fensterhöhlen ins Tal, abends mischt
sich unter die spärliche Straßenbeleuchtung das Licht von Fackeln
und Feuern. Wir sind hoch in den Bergen des Iran, die nächste Stadt ist
eine Reise entfernt. Wenn hier Hochzeit gefeiert wird, sind alle auf den Beinen,
von der Dorfdeppin bis zum Bürgermeister. Stolz und aufrecht thront die
Braut hinter einer Schale mit Äpfeln, die fast so rot sind wie ihr Kopftuch.
Gegenüber der Bräutigam, vor einem Wandteppich. Bunt geht es zu, Lampions,
Weihrauch, Flötenspiel und Tanz, ein folkloristischer Hochgenuß.
Ein
bißchen ungewöhnlich aber ist es schon, daß die Braut so gar
nicht niedlich lächelt. Und dann erhebt der Bräutigam das Wort: Er
weigere sich, den Brautpreis zu bezahlen. Merhbanou, die Braut, ist verständlicherweise
zutiefst gekränkt. Ein paar Worte fliegen. Und bald ist die Hochzeit abgesagt,
der Festort leer und eine neue Runde im Ring eröffnet. Denn, so erfahren
wir, seit Generationen schon droht der Konflikt zwischen den Familien der Jamalvandis
und der Mamalvandis das Dorf zu spalten. Die Hochzeit war ein Versuch, die Fehde
beizulegen. Nun, nachdem der mißglückt ist, tritt man auf neuer Stufe
gegeneinander an. Die Männer beider Seiten - Karamat, der Bräutigam
und Mehrbanous Bruder - konkurrieren mit zwei klapprigen blaulackierten Kleinreisebussen
um die Wette. Die gekränkte Braut zieht die Fäden im Hintergrund und
heizt die fanatisierte Stimmung durch Boykottaufrufe, Drohungen und Warnschüsse
weiter an. Der Bürgermeister ist ratlos.
Rafi
Pitts, der mit seinen Eltern im Alter von elf Jahren aus dem Iran nach England
emigriert ist, ist für diese iranisch-französische Coproduktion in
seine Heimat zurückgekehrt. Der junge Regisseur, u.a. Assistent von Jacques
Doillon bei LE JEUNE WERTHER, inszeniert seine Dorfgeschichte als mild-satirische
Parabel auf die Weltläufte und den Wandel der Zeiten im allgemeinen und
ethnische Konflikte, Wettbewerbsgedrängel und hereinbrechenden Kapitalismus
im besonderen. Mit Gratisgetränken und Rabatten versuchen die beiden Busunternehmer,
sich die Kunden abzuwerben. Und die Dörfler kommen von ihren ersten Stadtausflügen
mit dem neuen Bus schwerbepackt mit neuerworbenen Plastikwaren zurück:
von hellblauen Blumensträußchen bis zu Gummistiefeln in allen Regenbogenfarben.
Verrückt,
aber irgendwie doch sympathisch. So glimpflich-versöhnlich wie der Blick
auf die Dorfbewohner samt fanatisiertem Brautpaar ist dann auch der Ausgang
der Geschichte. Schließlich ist DlE FÜNFTE JAHRESZEIT als Komödie
konzipiert, auch wenn uns Nicht-Iranern einiges an Wortwitz entgehen dürfte.
Und am Ende kommt dann noch ein zarter, fast nicht wahrnehmbarer Hauch Romantik
hereingeflogen. Gut so. Daß dieser Film nach seinem Kinostart letztes
Frühjahr im Iran schon nach einer Woche verboten wurde (und es bis jetzt
ist), sei, so heißt es, auch auf den unerwarteten Erfolg (35.000 Zuschauer
in einer Woche) zurückzuführen, erscheint angesichts der freundlichen
Märchenhaftigkeit der Geschichte aber kaum glaubhaft. Und während
wir es als erholsam empfinden mögen, mit der unnahbaren Mehrbanou endlich
einmal eine nicht-erotisierte Frauenfigur auf der Leinwand zu sehen, wurde von
den iranischen Fundamentalisten neben ihrem „ungehörigen Agieren"
ausgerechnet auch ihre „erotische Freizügigkeit" bemängelt. Es
ist eben alles relativ.
Silvia
Hallensleben
Diese Kritik ist zuerst erschienen in: epd film
Die
fünfte Jahreszeit
CINQUIÈME
SAISON
Iran/Frankreich
1997. R:
Rafi Pitts. B: Bahram Beyzai, Rafi Pitts. P:
Sophie Goupil, Mohamad Rajabi. K:
Nehmat Haghighi. Sch:
Hassan Hassandoost. M: Jamshid Pouratai. T:
Parviz Abnar. A,
Ko: Malk Khazai. Pg:
Farabi Cinema/Le Poisson Volant. V: Kairos. L:
80 Min. St: 11.3.1999. D: Roya Nonahali (Mehrbanou), Ali Sarkhani (Karamat),
Parviz Poorhosseni (Bürgermeister), Ghorban Nadjafi (Jan Ali), Golab Adineh
(Madame Soleil).
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