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Für
den unbekannten Hund
Bier alle, Frust rauslassen, Penner aufschlitzen, Benzin drüber,
Tanke explodiert. Wismar. Die grandiose Anfangssequenz. Zum Hinkucken. Die Kamera
verharrt. Flamme empor, sieht schön aus. Wir werden den Film hindurch immer
wieder verweilen und die Aussicht genießen. Beim Wandern durch Wald und
Feld machen wirs genauso. Konkret geht es ums Tippeln. Die Handwerksgesellen
sind auf der Walz. Im traditionellen Kostüm. Breitcordhose mit Schlag.
Den Dreispitz auf dem Kopf. Diszipliniert durch das Regelwerk der Bruderschaft.
Ein Handy dabei? Zack, fliegt es in hohem Bogen ins Moor. Klar, wieder müssen
wir uns ein Bild machen. Die Bewegung verlangsamt sich. Das Handy trudelt wie
ein unkontrolliertes Raumschiff. Es war Bastians Handy.
Bastian (Lukas Steltner), der Obdachlosenmörder von Wismar, hat
sich den Tippelbrüdern angeschlossen. Allein unter Obdachlosen. Damit haben
wir die Konstellation des ersten Films der Regisseure Dominik und Benjamin Reding.
In „Oi!Warning“
war ein Punk allein unter Skins gewesen. Zweitens können wir sicher sein,
dass wir auf bildmächtige Art die Lehr- und Wanderjahre eines der frustrierten
und emotional verkümmerten Ost-Jungerwachsenen (Potzlow, Tessin) verfolgen
können.
Statt narrativer Linearität werden uns Bildpuzzle und emotionsreiche
Musik geboten (Wolfmother, Motörhead, The Ramones, Gluecifer, The Cramps,
ZSK, Fuzztones). Drittens sorgt der tippelbedingte ständige Ortswechsel
für die verschiedensten Eindrücke („Kuck mal, der Nordstern!“, und
Inke, die Rockerbraut, strippt). Highlights sind vom Libretto zusammengehaltene
Nummern. Eine Breakdance-Meisterperformance (Lukas Steltner), voll akrobatische
Skate-Stunts, eine Emotionen produzierende Wasser-Licht-Orgel, - knallbunte
Bühnennummern der Großen Show. Aber. Aber zwischendurch, - nein,
zur Hauptsache quälen sich die Wanderbrüder durch fahles Winterlicht,
kalt, nass, trüb, immerhin schon gleich am Anfang 60 km von Redentin-Dorf
nach Rostock. Die Katharsis muss erwandert werden, und sie wird erwandert. Zum
Schluss fügt sich das Puzzle zusammen, und Bastian wird zu dem, den er
an der Tanke angemacht hatte („Bist du schwul?“). Inzwischen hat er selbst gestrippt
und mit seinem Freund Festus (Sascha Reimann, der großartige Ferris MC)
einen flotten Dreier mit der umwerfenden Rockerbraut (Zarah Löwenthal)
hingelegt. Den Mord hat er schriftlich gestanden. Die Sühne akzeptiert
(„Bitte nicht auf Sado machen“, flüstert er noch, bevor Festus ihm den
Kopf in Wasser tunkt, was hinwiederum den Einsatz einer Unterwasserkamera bedingt).
Dann aber ist er frei und allein. Der Täter ist das Opfer geworden. Ein
klasse Identitätentausch.
Die Dramaturgie stimmt. Aber funktioniert der Film? Gegenüber
„Oi!Warning“ haben wir es mit einem Gesamtkunstwerk zu tun. Gewollte
Bühnenhaftigkeit in den Auftritten. Wie wir es von jeder besseren Show
kennen. Über die Konsonanten rollende Sch-pra-che. Bildwechsel ohne Umbaupausen.
Wir sind, was die Unterhaltung angeht, auf der Autobahn, und auf der will der
Verleih (Senator) eine neue Schiene eröffnen. Bloß, damit das klar
ist, die Unterhaltung ist alles andere als das, was wir vom Fernsehen gewöhnt
sind. Eine Unterhaltung mit dem Herzblut der Reding-Zwillinge. Pathos! Ihnen
ist es ernst, die Stationen zu zeigen, auf denen der Held Bastian sich bekehrt.
Das Ende ist nicht ein Gloria, sondern ein langsames Verschwinden im fahlen
Winterlicht, im Regen, im Dämmern, auf einsamer Heide, nass, allein. Te
absolvo. Lukas Stetner hat ergreifend gespielt. Jetzt ist er ergriffen.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text wurde verfasst für
die taz
Für
den unbekannten Hund
Deutschland 2007 -
Regie: Benjamin Reding, Dominik Reding - Darsteller: Sascha Reimann (alias Ferris
MC), Zarah Löwenthal, Lukas Steltner, Gunnar Melchers, Hedi Kriegeskotte
- Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 107 min. - Start:
6.12.2007
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