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Full Metal Village
Satansgruß und Blasmusik
"Full Metal Village"
von Sung-hyung Cho ist eine der schönsten Kinoentdeckungen dieses Frühjahrs
Die Fans in schwarzem Leder wippen
ihre Piercings in martialischer Ekstase, rituell lassen sie ihre langen Mähnen
kreisen, bierselig werden sie eins mit der Musik, die von der Bühne herunter
geschmettert wird. Doch nein - ein Kameraschwenk enthüllt, dass hier keine
Heavy-Metal-Band ihre Zuhörer in die Steinzeit zurückdröhnt,
sondern die Blaskapelle des Dorfes einen zünftigen Marsch angestimmt hat.
Kein Musikproduzent würde sich trauen, solch ein wahrhaft radikales cross-over-project
zusammenzustellen. In dem Dorf Wacken nahe der schleswig-holsteinischen Küste
passiert es einfach. Jedes Jahr im August findet dort mit mehr als 40.000 Besuchern
das weltweit größte Heavy-Metal-Festival statt, und eine norddeutsche
Bauerngemeinde wird von einer brachial wirkenden, bierflaschenschwenkenden Völkerwanderung
überrollt.
Dieser Kontrast war es, der die
Filmemacherin Sung-hyung Cho, die als Südkoreanerin seit zwanzig Jahren
in Frankfurt lebt, neugierig machte. Zuerst bei ihren Recherchen und dann bei
den Dreharbeiten passierte dann aber etwas auch für sie Unerwartetes: Das
Dorf selbst wurde in ihren Augen viel interessanter als das Festival und deren
Besucher entpuppten sich als eher langweilig. "Die sind da ja ständig
nur glücklich, und über glückliche Menschen kann man keinen guten
Film drehen!", ist die einleuchtende Begründung der Filmemacherin
dafür, dass sie nur im letzten Drittel des Films Bilder vom Festival zeigt
und sich vorher intensiv auf den ganz normalen Alltag in Wacken konzentriert
hat.
Ihr Blick ist dabei nicht durch
die eigene Biografie, Berührungsängste und geschmackliche Urteile
verstellt, wie dies bei einer deutschen Filmemacherin gar nicht zu vermeiden
gewesen wäre. Als neugierige Exotin wurde sie im Dorf wohl auch viel offener
aufgenommen, und so überrascht der Film immer wieder durch intime Augenblicke,
in denen die Protagonisten und Filmemacher aber nie etwa so tun, als wäre
da keine Kamera gewesen. Sie "inszeniere" nicht, sondern "initiiere"
erklärt Sung-hyung Cho ihre Methode und erzählte dann, dass die Wackener
diese Momente vor der Kamera genossen hätten, weil sie das Gefühl
hatten, vor ihr intensiver zu leben.
Und sie zeigt auch sich selbst
als scheinbar naive Fragestellerin, der ein Bauer gern geduldig erklärt,
was die Unterschiede zwischen Kuh und Kalb, Bulle und Ochse sind. Später
wird sie diesen Klaus H. Plähn mit der gleichen Selbstverständlichkeit
fragen, was das Wort "Liebe" für ihn bedeute, und er wird auch
darauf mit der gleiche ruhigen Sanftheit antworten. In einer der schönsten Einstellungen
des Films sieht man ihn nur rauchend auf seinem Schemel auf dem sommerlichen
Hof sitzen und eine Katze beobachten, die Milch aus einer Kanne schleckt. Die
perfekte Idylle, dabei aber nie kitschig oder aufgesetzt, sondern nur mit einem
genauen Auge gesehen.
Sei es die fromme Oma Schaak,
für die Heavy-Metal die Musik des Satans ist, und die deshalb (zusammen
mit dem Pastor) vor dem Festival aus dem Dorf flieht oder ihre 16-jährige
Enkelin Ann-Kathrin, die das Festival als Chance sieht, dem engen Dorfleben
zu entfliehen. Beide öffnen sich vor der Kamera, die eine zeigt sie beim
Beten, die andere (mit der gleichen Inbrunst) beim Schlankheitstraining, und
beide kommen uns durch diese wenigen, pointierten Bilder erstaunlich nahe. Man
merkt schnell, dass die Filmemacherin sich in die Dorfbewohner verguckt hat,
aber diese Liebe sie nicht blind, sondern hellsichtig machte.
Wilfried Hippen
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz Nord vom 19.4.2007
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Full Metal Village
Deutschland 2007 - Regie: Sung-Hyung Cho - Mitwirkende: Uwe Trede, Lore Trede, Klaus H. Plähn, Norbert Venohr, Birte Venohr, Ann-Kathrin Schaack, Malena Schaack - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 90 min. - Start: 19.4.2007
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