Funny
Games
FUNNY
GAMES ist ein wichtiger Film. Denn er lehrt uns zwei Dinge: Intellektualismus
muß absolut nichts mit Intelligenz zu tun haben; und das deutsche Feuilleton
ist stets bereit, begeistert auf wirklich jeden Dreck hereinzufallen, sofern
sich selbiger nur penetrant genug prätentiös gebärdet.
Für
alle, die es noch nicht mitbekommen haben: FUNNY GAMES ist Michael Hanekes neueste,
ach-so-tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Gewalt.
Und die sieht so aus: wohlhabende Ein-Kind-Familie macht Urlaub im noblen Ferienwohnsitz;
zwei böse Buben in weißer Kleidung verschaffen sich Zutritt und beginnen,
die Familie sadistisch zu quälen; böse Buben schauen in die Kamera,
stellen Fragen an das Publikum und machen es damit wahnsinnig betroffen; Familie
ist tot, böse Buben klingeln an nächster Tür, Film ist aus; Haneke
dreht nächste ach-so-tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Phänomen
der Gewalt.
Dabei
geht es in FUNNY GAMES primär gar nicht wirklich um Gewalt: das eigentliche
Thema ist der Angriff der Populärkultur auf die Werte des wohlhabenden
Bildungsbürgertums.
Wenn
der Regisseur zu Beginn die Familie im Auto beim Opernraten zeigt, so ist das
leider ernstgemeint als Darstellung der heilen Welt, wie sie alle sofort als
sympathisch zu erkennen haben. Und wenn dann gleich darauf Heavy Metal (vielmehr:
John Zorns Aneignung des Metal-Idioms auf Meta-Ebene, denn den echten würde
Herr Haneke als wahrer, deutschsprachiger Intellektüller nicht mit Asbest-Ohrenstöpseln
anfassen) vom Soundtrack dröhnt, dann erwartet der Film von uns, daß
wir das unmittelbar als Zeichen der Bedrohung decodieren.
Daß
jemand, der seine Filmfiguren auch in extremsten Situationen noch reinstes Schriftdeutsch
sprechen läßt (da fehlt bei keinem Imperativ das "e", da
heißt es immer "Helfe mir!"), keinen Zugang zu Beavis &
Butthead findet, ist ja durchaus einleuchtend. Das Traurige ist aber, daß
die Verehrung für die Helden der "Hochkultur" keinem tieferen
Verständnis entspringt, sondern lediglich ein angelerntes, inhaltsleeres
Schema erfüllt. Wer, wie Haneke, Mozarts Klarinettenquintett benutzt, um
Bilder bürgerlichen Wohlstands emotional zu veredeln, enttarnt sich und
beweist, daß ihm der Gehalt dieser Musik ebenso verschlossen geblieben
ist, wie dem gesamten Heer der "Laß uns den neuen Nerz ausführen"-Konzertabonnenten.
Als
wahrer deutschsprachiger Intellektüller hat Haneke es dabei selbstverständlich
nicht nötig, sich näher mit dem zu beschäftigen, was er aus zweiter
Hand als Teufelszeug erkannt hat. Daß Herr Haneke restlos davon überzeugt
ist, meilenweit über amerikanischen Genrefilmen zu stehen, ohne je wirklich
einen davon genauer angesehen zu haben, merkt man seinem Film jede Sekunde an.
Dabei bleibt FUNNY GAMES hoffnungslos hinter Filmen wie PEEPING
TOM,
THE
TEXAS CHAINSAW MASSACRE
oder HENRY: PORTRAIT OF A SERIAL KILLER zurück, die allesamt das Thema
schon längst wesentlich intelligenter, komplexer und ehrlicher (ganz zu
schweigen von handwerklich-ästhetisch ungleich gekonnter) behandelt haben.
"Ick
bin allhier" könnte der amerikanische Genrefilm auch bei einer der
vielgepriesenen "Innovationen" von FUNNY GAMES seit mindestens dreißig
Jahren gelangweilt rufen: die Gewalt, so darf man immer wieder lesen, hat in
diesem Film keine erkennbare Ursache mehr, wird nicht wegerklärt.
Doch
diese Behauptung entpuppt sich ohnehin als pures Windei. Denn sehr deutlich
bietet uns Herr Haneke immer wieder einen klaren Sündenbock an: das Fernsehen
ist an allem schuld. Potz Fickerment, wer hätte das gedacht?
Da
reden sich die beiden Sadisten ständig mit Tom & Jerry oder Beavis
& Butthead an (subtil, gell?), das Blut des Kindes spritzt auf den laufenden
Fernsehapparat, die Mörder lassen den Film mittels Fernbedienung rückwärts
laufen, und zum Abschluß kann einer von ihnen Realität und Fiktion
nicht auseinanderhalten, weil er einen Science-fiction Film über Paralleluniversen
gesehen hat. Doch, doch, so differenziert und hintergründig geht der Regisseur
zu Werke, daß man vor Bewunderung aus dem Speiben gar nicht mehr herauskommt.
Letztlich
aber wohl das größte Problem von FUNNY GAMES ist, daß Hanekes
angebliche Absicht, der Gewalt im Kino wieder ihren Schmerz zurückzugeben,
schon deswegen scheitern muß, weil der Regisseur offenbar nicht sonderlich
an Menschen interessiert ist. Die Charaktere sind für ihn nicht mehr als
Labortiere in einer Versuchsanordnung. Wenn die Opfer die Sympathie des Publikums
auf ihrer Seite haben, dann höchstens weil die Alternative zu unerfreulich
wäre. Leben oder Wärme hat Haneke ihnen jedenfalls nicht mitgegeben.
Immerhin:
einmal fängt der Film für ein paar Momente zu funktionieren an. Die
bübischen Bösewichte räumen zwischenzeitlich das Feld, und minutenlang
beobachtet die Kamera statisch und distanziert aus der Wohnzimmerecke, wie die
Eltern versuchen, den Tod des Kindes und die ihnen angetanen Quälereien
zu fassen.
Wäre
der Film hier zu Ende gewesen, hätte er tatsächlich verstörend
wirken können. Doch Haneke kann es nicht genug sein lassen: Die lustigen
Spiele gehen bald weiter, bis auch die Eltern den Löffel abgegeben haben.
Denn wie im schlechtesten Krimi darf erst Schluß sein, wenn Closure erreicht
ist, wenn keine losen Fäden übrigbleiben; wenn eben die Gewalt doch
wieder in einem geschlossenen System eingefangen ist und in der Welt des Filmes
sich keiner mehr Gedanken über die Auswirkungen machen muß.
Doch
genau so mag es wohl das deutsche Feuilleton: alles ist völlig klar und
überschaubar, plump und platt und vordergründig; die "Message"
wird mit sämtlichen zur Verfügung stehenden Zeigefingern, Zaunpfählen
und Holzhämmern eingebleut; und dank der aufgesetzten, billigen "Verfremdungseffekte"
bekommt man notfalls auch noch unter Vollnarkose mit, daß hier Kunst gemacht
wird - und das ganz ohne näher hinschauen zu müssen (graus'ger Gedanke!)
oder der Notwendigkeit einer Ahnung von den komplexeren Aspekten von Filmsprache.
Nachher
darf man dann Haneke im Zusammenhang mit seinem Machwerk ungestraft von Auschwitz
und Faschismus faseln hören, und seiner Lieblingsbeschäftigung nachgehen:
sich ganz toll, aber wirklich ganz toll, betroffen fühlen.
Den
schwarzen Peter bekommen in FUNNY GAMES nämlich die Zuschauer zugeschoben,
die der Film ständig für das, was er zeigt, haftbar machen will. Das
erspart ihm, über die eigene Fasziniertheit von der Gewalt reflektieren
zu müssen - schließlich sind es ja wir als Publikum, die so geil
sind auf Gewalt, und nicht etwa Michael Haneke, der sie wieder und wieder so
gern inszeniert.
Wobei:
in gewisser Weise muß man Herrn Haneke dann doch recht geben. Denn wer
sich freiwillig diesen unsäglichen Hirnwichs ansieht, ist fürwahr
ganz allein selbst schuld.
Thomas
Willmann
Diese Kritik ist zuerst erschienen bei:
artechock : FILM- UND KUNSTMAGAZIN
Zu diesem Film gibt es im Archiv mehrere Kritiken
Funny
Games
Ö
1997 - 103 Minuten -
Regie:
Michael Haneke
Kamera:
Jürgen Jürges
Drehbuch:
Michael Haneke
Besetzung:
Susanne Lothar, Ulrich Mühe, Frank Giering, Arno Frisch u.a.