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Funny
Games
Schock
fürs Popcornpublikum
Elf Jahre später zeigt Michael Haneke
ein detailgetreues US-Remake seines so meisterhaften wie sadistischen Films
"Funny Games". Und wozu der Aufwand?
Die Aversion des amerikanischen Kinopublikums
gegen Untertitel hat sich in den vergangenen Jahren zu einem regelrechten kulturellen
Phänomen ausgeweitet, das schon ein ganzes Filmgenre transformiert hat.
Man kann sich heute ja kaum noch einen Asia-Horror-Streifen ansehen, ohne nicht
gleich Sarah Michelle Gellar oder einen anderen amerikanischen Jungstar vor
dem inneren Auge zu sehen. Die seltsame Kosten-Nutzen-Rechnung, dass ein auf
nationale Märkte zugeschnittener Film mehr Rendite verspricht als das fremdsprachige
Original, geht noch auf die frühen Tage des Tonfilms zurück, als die
großen europäischen Studios Mehrsprachenversionen für die verschiedenen
Kinomärkte produzierten. Mit anderen Worten ist die amerikanische Filmindustrie
also momentan im Begriff, auf den Stand von 1930 zu regredieren.
So überflüssig Hollywood-Remakes
letztlich auch sein mögen, selten ist eine Neuverfilmung für den amerikanischen
Markt folgerichtiger gewesen als im Fall von Michael Hanekes "Funny Games". Als seine Gewaltstudie 1997 in
die (europäischen) Kinos kam, erreichte Haneke ein Publikum, das seine
onkelhaften Belehrungen wahrlich nicht mehr nötig hatte. Zum eigentlichen
Adressaten, dem amerikanischen Kinogänger, drang seine Botschaft erst gar
nicht durch. Am Ende war "Funny Games", so meisterhaft wie sadistisch
exekutiert, doch bloß Perlen vor die Säue: Der europäische Arthouse-Fan
echauffierte sich - nicht zu Unrecht - über Hanekes manipulative Schockeffekte,
während der amerikanische Cineplex-Gänger weiter ungeniert Popcorn
in sich reinschaufelte. Elf Jahre dauerte es, bis Haneke die Chance erhalten
sollte, seinen Film endlich dem Publikum vorzustellen, das ihn auch verdiente.
In der Filmbranche aber können elf
Jahre manchmal eine halbe Ewigkeit bedeuten. Das Kino ist lange schon nicht
mehr der Ort, an dem die signifikanten Gewaltbilder der Gegenwart produziert
werden. Umso unverständlicher die Entscheidung Hanekes, das Original trotz
der großen zeitlichen Distanz nicht überarbeitet zu haben. Einzelne
Einstellungen sind so akkurat nachgestellt, dass "Funny Games U.S.",
wie das Remake nun heißt, zeitweilig an eine konzeptuelle Arbeit, ähnlich
Gus van Sants "Psycho"-Neuverfilmung, erinnert.
Aus der Vogelperspektive beobachtet die
Kamera eine Familie auf der Fahrt in ihr Landhaus; ihre Zeit vertreiben sich
die Eltern (Naomi Watts und Tim Roth in den Rollen von Susanne Lothar und Ulrich
Mühe) mit dem Erraten von klassischer Musik. (Später wird diese kultivierte
Klangtapete mit dem wüsten, aber keineswegs aggressiven Free Jazz Noise
von John Zorns Band Naked City kontrastiert - nur eines von vielen Missverständnissen,
das Haneke zu korrigieren versäumt hat.) Kaum in ihrem Ferienhaus angekommen,
wird die Familie von zwei jungen Eindringlingen (Michael Pitt und Brady Corbet)
überrascht, die das Ehepaar und ihren Sohn mit oberschulhafter Höflichkeit
zu quälen beginnen. Als Erstes muss der Hund dran glauben.
Man muss "Funny Games" zunächst
in seinem ursprünglichen Kontext verstehen. Hanekes Film war Mitte der
Neunzigerjahre eine Reaktion auf eine ganz bestimmte Sorte von amerikanischem
Kino. Es war die Hochphase von "Natural
Born Killers" und
"Pulp
Fiction" - Filme,
die sich einen Spaß daraus machten, Gewalt zu einem coolen Accessoir zu
stilisieren. Damals formierte das Kino allerdings auch noch eine mediale Speerspitze;
kulturell wie ästhetisch übte es immer noch genug Einfluss aus, gesellschaftliche
Debatten wenigstens an der Oberfläche zu durchdringen (auch wenn das kaum
noch jemand wahrhaben wollte). 2008 hat sich das Kino längst von der Inszenierungswucht
der Realität abhängen lassen. Selbst ein Film wie Brian De Palmas
Irakkrieg-Kommentar "Redacted", der mit Hilfe von Handykamera, Videoblogs
und Nachrichtenmaterial ein formales Äquivalent zur digitalen Informationsstruktur
zu finden versuchte, reproduzierte in letzter Konsequenz nur die bekannten Schreckensbilder
von Abu Ghraib und Guantanamo Bay.
So wirkt "Funny Games U.S."
seltsam anachronistisch, schon in der Art, wie er den Zuschauer wiederholt mit
direkter Adresse in die Kamera in seiner passiven Rolle zu positionieren versucht.
Denn qualitativ unterscheiden sich die aktuellen medialen Gewaltbilder von den
alten gerade darin, dass sie plötzlich Partizipation, Komplizenschaft gar
suggerieren, statt den Zuschauer wie in der Vergangenheit lediglich zum Voyeur
zu degradieren. Spätestens an diesem Punkt ist Hanekes Transferleistung
zum Scheitern verurteilt. Theoretisch kann er sich noch darauf berufen, dass
Hollywood mit den "Saw"-Filmen inzwischen genau die Sorte
von Folterhorror produziert, den er mit "Funny Games" gewissermaßen
vorweggenommen hat. Als Ausweg aus diesem Dilemma bietet er allerdings weiterhin
nicht mehr als die moralisch abgesicherte Verlagerung der Gewalt ins Off der
Kamera.
Auch die Abstraktion des Terrors verleiht
Hanekes Versuchsaufbau kein Gewicht. Wie im Original bleiben die Täter
in ihren blendend weißen Tennis-Outfits und mit ihren selbstironischen
Cartoon-Namen (Tom und Jerry, Beavis und Butthead) leere Chiffren eines stark
überzeichneten Bedrohungspotenzials. Im Grunde sind sie nichts weiter als
ein personalisierter Affekt. Und hier liegt letztlich auch, mehr noch als im
Fall des Originals, das Problem von "Funny Games U.S.". Denn viel
wahrscheinlicher als ein medienkritischer Aha-Effekt ist die Gefahr, dass Hanekes
amerikanischer Durchschnittskinogänger, mit einer derart zugespitzten Situation
konfrontiert, zu einem vollkommen gegenteiligen Schluss kommt. In Amerika könnte
"Funny Games" auch leicht als Werbefilm für die National Rifle
Association missverstanden werden.
Andreas Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der taz
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
FUNNY
GAMES
USA
/ F / D / IT 2007.
R, B: Michael Haneke. P: Chris Coen, Hamish McAlpine, Hengameh Panahi, Christian
Baute, Andro Steinborn. K: Darius Khondjl. Sch: Monika Willi. A: Kevin Thompson.
Pg: X Filme/Halycon/Celluloid Dreams/Tartan/LuckyRed. V: X Verleih. L: 112 Min.
FSK: Kl, ff. Da: Naomi Watts, Tim Roth, Michael Pitt, Brady Corbet,
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