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Funny
Games U.S.
Ein unmöglicher Film, der jede Regel
bricht und jede Erwartung unterläuft, aber dann überraschend und konsequent
funktioniert: Michael Hanekes amerikanisches Remake seiner FUNNY
GAMES von 1997
Erst einmal ist FUNNY GAMES U.S. ein Thriller,
Unterabteilung Terrorfilm. Alle Elemente sind vorhanden: eine bürgerliche
Familie, ein Segelboot, ein Ferienhaus. Dann der Einbruch des Terrors, zwei
linkische Jungs mit weißen Handschuhen verlangen zuerst nur ein paar Eier,
der besonders linkische lässt das Handy ins Spülwasser plumpsen. Man
wird sie nicht mehr los, sie werden immer impertinenter. Der Hund wird getötet,
dem Mann, nachdem er die Hand gegen sie erhoben hat, mit einem Golfschläger
die Kniescheibe zertrümmert. Das Spiel der Qual und der Demütigung
nimmt kein Ende, Hilfe kann man nicht finden. Der kleine Sohn wird erschossen,
danach verschwinden die Täter, es gibt, scheinbar den Regeln des Genres
gehorchend, eine Chance zum Entkommen. Aber die Hoffnungen sind Teil des grausamen
Spiels. Der Mann hat es schnell verstanden: Es gibt keinen Grund für dieses
Mörderspiel, außer dass man es spielen kann. Am Ende ist auch das
Ehepaar tot, und die beiden Jungs kommen zum nächsten Ferienhaus und bitten
um ein paar Eier.
Keine Katharsis, nicht einmal die, die
man aus den Terrorfilmen gewöhnt ist, dass irgendwann die Opfer zu Täter
werden. Aber das Spiel geht ja auch anders, wir könnten jederzeit aussteigen.
Zweimal wendet sich einer der Täter direkt an die Zuschauer, um sie an
ihre Komplizenrolle zu erinnern, und einmal, als die Frau einen der Eindringlinge
getötet hat, da greift der andere rasch zur Fernbedienung und lässt
die Szene zurücklaufen.
Auch diese Brüche bringen weder Erleichterung
noch Distanz. Wer diesen Film verlässt, hat nach den Regeln des Genres
verloren, wer ihn sich bis zu Ende ansieht, hat nach den Regeln der Bildermoral
und vielleicht nach den Regeln der Menschlichkeit überhaupt verloren. Wer
als Regisseur eine solche Falle aufbaut, kann nur ein großes Monster sein
oder ein großer Moralist. Eines nämlich darf man nicht übersehen:
Indem der Regisseur uns, die Zuschauer, in diese unausweichliche Falle führt,
macht er auch sich selbst und dem Kino den Prozess.
Einen solchen Film, sagt man, den schaut
man weniger an, den übersteht man allenfalls. Aber genau das ist falsch.
Man sollte ihn nicht überstehen wollen, man sollte den Blick verändern.
Man kann nicht zweimal FUNNY GAMES ansehen, nicht etwa, weil die einzelnen Bilder
unerträglich wären, sondern weil die Erfahrung dieses Films nicht
wiederholbar ist. Nun aber hat Haneke ein Remake gedreht, in Amerika, mit Stars
wie Naomi Watts und Tim Roth. Ansonsten keine Veränderung, es ist beinahe
eine shot-by-shot-Wiederholung. Haneke hat, kann man sagen, seinen Prozess mit
dem Filmemachen und dem Zuschauen dort hingebracht, wo er hingehört. Er
hat der Traumfabrik ein vergiftetes Geschenk gemacht, das nun, in der dritten
Potenz des »unmöglichen Films« zu uns zurückkommt. Das
böse Hollywood-Remake eines bösen österreichischen Films, das
uns dazu zwingen will, eine Anti-Kino-Erfahrung noch einmal zu machen, für
die es doch keine Wiederholung geben sollte.
Diesmal sind wir aber doch vorgewarnt,
oder nicht? Hoffen wir etwa, dass Hollywood aus dem bösen Film einen etwas
weniger bösen Film gemacht hätte? Dass uns die Stars oder die gnädigen
Lügen der Traumfabrik vor dem Schlimmsten bewahren würden? Hoffen
wir sogar, dass Haneke an Hollywood gescheitert sei und dass wir uns für
seine Demütigung rächen könnten: der Regisseur nun das Opfer?
Um uns das Remake von FUNNY GAMES anzusehen, müssen wir hoffen, dass das
Kino korrupt ist. Wir müssen hoffen, dass ein Film dadurch ungenauer, schlechter,
aber dafür menschenfreundlicher wird. Ist er aber nicht. Das Spiel geht
weiter. Gerade weil es sich so konsequent wiederholt, ist es ganz anders. Jetzt
geraten wir nicht mehr in eine Falle, mit dem europäischen Kunstanspruch
als letzten Halt. Jetzt müssen wir hinein wollen, angelockt von Hollywoods
Glamour, der Aura der Unterhaltungsmaschine, von einem süßen Gift.
Und wenn wir diese Funny Games dann wieder überstanden haben, genau die
gleichen und doch ganz andere, dann wissen wir, dass das ewig so weiter gehen
wird. Mit dem Scheitern der Menschlichkeit am Kino, über das wir nirgendwo
etwas erfahren können außer im Kino.
Georg
Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in epd Film 6/2008
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
FUNNY
GAMES
USA
/ F / D / IT 2007.
R, B: Michael Haneke. P: Chris Coen, Hamish McAlpine, Hengameh Panahi, Christian
Baute, Andro Steinborn. K: Darius Khondjl. Sch: Monika Willi. A: Kevin Thompson.
Pg: X Filme/Halycon/Celluloid Dreams/Tartan/LuckyRed. V: X Verleih. L: 112 Min.
FSK: Kl, ff. Da: Naomi Watts, Tim Roth, Michael Pitt, Brady Corbet,
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