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Furyo
- Merry Christmas, Mr. Lawrence
Zuletzt ist er nur noch ein Kopf, körperlos,
sterbend, das blonde Haar aschblond, zu Asche werdend und zum Sand, in den er
eingegraben ist. Dem Sterben anheimgegeben vom Mann, den er – erotisch durchaus
– fasziniert, den er geküsst hat, der ihm das Leben nicht mehr schenken
kann, so sehr er es will, weil er es so sehr will.
Szenen des Dazwischentretens, des Dazwischenwerfens
bestimmen den Film. Programmatisch unklar bleibt aber, ob es je eine Positionalität
des Dritten gibt zwischen den zwei Seiten, die einander, in einem Nachkrieg
mitten im Krieg, gegenüberstehen. Auf Java haben, für den Moment,
die Japaner die Briten besiegt; diese leben, mit gewissen Rechten, als Kriegsgefangene
unterm Regime der Japaner. Als Vermittler zwischen Kulturen versteht sich Mr.
Lawrence, dessen verallgemeinerte Einsicht lautet: Sie glauben, sie seien im
Recht. Wir glauben, wir sind im Recht. Die Wahrheit ist: Wir haben alle Unrecht.
Dennoch bleibt das wir, bleibt das sie und die Universalität des Unrechts
könnte zur Position der Vermittlung nur werden, fände sie Akzeptanz
auf den beiden Seiten, zwischen die sie sich freilich stellt. Suspekt für
beide, in steter doppelter Gefahr, vereinnahmt zu werden oder verketztert, von
beiden Seiten. Das Gleichgewicht, das zu Beginn hergestellt scheint, ist fragil,
jede Verschiebung einer Figur, jeder Zwischenfall droht es zu zerstören,
droht die Lage zurückzuführen auf die faktisch herrschenden Machtverhältnisse.
Jack Cellius ist mehr als ein Zwischenfall. Unbeugsam,
unbesiegbar, vor allem unberechenbar. In seiner Singularität das Gegenstück
zu Lawrence, der vermitteln will. Cellius sperrt sich gegen alle Zugehörigkeiten.
Er ist des Partisanentums verdächtig, er kämpft am liebsten allein.
Der subversive Akt, das Einschmuggeln von Nahrung ins eigene Lager, geschieht
nicht um des Eigenen, sondern um der Subversion willen. Nur so, als Einziger
unter Allgemeinen, als sich ausschließendes, inkommensurables Drittes,
kann er zum Faszinosum werden für den Kommandanten der Gegenseite. Einzig
ihm gibt der Film eine ausgeführte Backstory, eine Jugend, aber auch in
diesen Bildern noch entzieht Jack Cellius sich der Erklärung. Es ist eine
Kluft, die sich auftut zwischen dem Erklärten und der Erklärung, eine
Kluft, die das Faszinosum verstärkt.
Die unmögliche Position des Jack Cellius, weder
innen noch außen, begehrt von den Japanern, verehrt von den Briten, weder
Mann noch Frau oder zugleich Mann und Frau (zuletzt nur noch Kopf), keinem geheuer,
diese Position verlangt nach einem unmöglichen Darsteller, nach einer Singularität.
David Bowie ist diese Singularität, wie ein Mann, der vom Himmel fiel.
Ein Darsteller, an dem instantan alles zum Fetisch werden kann: das strahlend
blonde Haar, das markante Gesicht, die Art, wie er steht, die Art, wie er singt,
die Art, wie er Blumen isst, die Art, wie er fasziniert, die Art, wie er abstößt
und noch die Art, wie er sterbenskrank darnieder liegt. Der Star, der kein Schauspieler
ist, kommt hier zum Einsatz nicht als Ikone und nicht als Fetisch, sondern wird
nochmals, wie von Grund auf, fetischisiert. Er füllt die unmögliche
Position, indem er der schlichten Erfüllung widersteht, zu viel (Ikonizität)
und zu wenig (Schauspieler), zu schön und zu androgyn. Der Film erfindet
den Star David Bowie, als wäre er noch nicht erfunden. Und doch scheint
ein anderer Darsteller an dieser Position gar nicht möglich.
Irritierend das Doppelspiel, das
der Film mit seinen Figuren treibt. Die japanisch-britische Polarität tritt
doppelt auf. Zum einen als (un)mögliche Freundschaft, als denkbare Vermittlung
zwischen Lawrence (Tom Conti) und Hara (Takeshi Kitano). Zum anderen aber die
unmögliche Liebe, Faszination und Begehren zwischen Cellius und dem Kommandanten
Yonoi, der gleichfalls von einem Nicht-Schauspieler, dem Komponisten Riuchi
Sakamoto gespielt wird, ikonisierbar auch er. Und kühl und glühend
zugleich auch er. In diesem Doppelspiel schlägt die Inszenierung sich auf
keine der Seiten, sondern sie wahrt Distanz, sie betont die Latenzen, unterstützt
von der in minimalen Verschiebungen ihren eigenen Bewegungen folgenden elektronischen
Musik Sakamotos. Kühl bleibt noch die Manifestation des Heißen, der
Gewalt, des Begehrens in den Kadragen, die keinen Ausbruch von Emotionen kennt,
nur den langsamen, kaum
merklichen Zoom. Der Rest ist Frösteln.
Yonoi und Cellius verschwinden
aus dem Bild, es kann zuletzt nur im Rückblick, im Gespräch zwischen
den "Vermittler"-Figuren von ihnen die Rede sein, als Erinnerung an
eine geteilte Faszination. Der Film schlägt sich auf die Seite der Erzählbarkeit,
sehr präzise aber schneidet er so aus der Verständigung – "Merry
Christmas, Mr. Lawrence" – ihr Anderes aus. Was gewesen sein wird zwischen
Yonoi und Cellius unterläuft und überschreitet dieses fragile Einverständnis
in der Erkenntnis gemeinsamen Unrechts. Die Wiederholung und Schließung,
die das Ende gibt, gelingt auf der Ebene des Diskurses. Dies "Gelingen"
aber schließt sein Anderes aus. Für die Singularität ist das
Präsens der Verständigung, ist das Imperfekt der Erinnerung
nicht gemacht. Es bleibt diese Lücke, es bleibt nur der Tod, der ein endgültiger
sein wird. Nichts für die Geschichtsbücher.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist
zuerst erschienen bei:
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Furyo
- Merry Christmas, Mr. Lawrence
MERRY
CHRISTMAS, MR. LAWRENCE
SENJO
NO MERI KURISUMASU
FURYO
England
/ Japan - 1982 - 113 min. – Scope - FSK: ab 16; Erstaufführung: 2.12.1983
- Produktion: Jeremy Thomas
Regie:
Nagisa Oshima
Buch:
Nagisa Oshima, Paul Mayersberg
Vorlage:
nach dem Roman "The Seed and the Sower" von Sir Laurens van der Post
Kamera:
Toichiro Narushima
Musik:
Ryuichi Sakamoto
Schnitt:
Tomoyo Oshima
Darsteller:
David
Bowie (Celliers)
Ryuichi
Sakamoto (Capt. Yoni)
Tom
Conti (Col. John Lawrence)
Beat
Takeshi (Sgt. Hara)
Jack
Thompson (Hicksley-Ellis)
Johnny
Okura (Kanemoto)
Alistair
Browning (DeJong)
James
Malcolm (Celliers Bruder)
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