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wie Fälschung
Inhalt:
Der
Kunstfälscher Elmyr de Hory hat Mitte des vergangenen Jahrhunderts zahllose
Meisterwerke von Meistern wie Matisse, Modigliani oder Picasso mit einer unfassbaren
Leichtigkeit gefälscht und an große Museen verkauft, ohne, dass irgendein
Experte seine Fälschungen von den "Originalen" hätte unterscheiden
können. Als Ende der 60er-Jahre der Schriftsteller Clifford Irving eine
aufklärende Biographie über den genialen Fälscher herausbringt,
ist de Horys "Karriere" faktisch beendet, obwohl er bestreitet, seine
Bilder jemals mit fremden Signaturen versehen zu haben. Jedoch entpuppt sich
auch Irving als Krimineller, als er damit auffliegt, eine gefälschte, angeblich
autorisierte Biographie des rätselhaften und legendären Industriemultis
Howard Hughes an einen Verlag zu verkaufen. Orson Welles traf beide, de Hory
und Irving, in de Horys Villa auf Ibiza und schuf ein beispielloses Vexierspiel
über Wirklichkeit und Fiktion.
Kritik:
Ich
glaube es war der kürzlich verstorbene Stan Brakhage, der einmal in etwa
sagte: "Ich bin der Überzeugung, dass man nicht über einen Film
sprechen kann, bevor man ihn nicht wenigstens fünfundzwanzigmal gesehen
hat." Ein Gedanke, der sich wahrlich immer wieder aufdrängt, wenn
man den Kinosaal verlässt: Man reflektiert über den gesehen Film,
hat zahlreiche Eindrücke gesammelt und denkt sich doch, dass es sehr viel
besser wäre, den Film gleich noch mal anschauen zu können, um sich
auf bestimmte Situationen (deren Wahrnehmung auch durch ihr Erwarten dann sicherlich
erweitert wird) besser einlassen zu können. Das Kino ist - wie die Musik
- eine so "flüchtige" Kunst. Wir sind der Willkür der Komponisten
und Regisseure ausgeliefert, sie sind die Herren über die Zeit. Während
wir beim Lesen eines Buches immer wieder mal ein paar Seiten zurückgehen
dürfen, an bestimmten Stellen ebenso einhalten und pausieren können,
wie wir etwa in einer Galerie so lange wie uns beliebt vor dem Exponat verweilen
mögen, so werden wir in Kino und Musik aufs Aggressivste konfrontiert mit
der Zeitachse. Momente, Augenblicke, Erlebnisse vergehen und wir können
sie nicht aufhalten; können den einen, uns so faszinierenden Satz nicht
einfach noch einmal lesen - zumindest nicht dann, wenn man einen Film oder ein
Musikstück so anschaut, respektive anhört, wie es vom Regisseur oder
Komponisten erdacht wurde: "Am Stück", ohne technisches Eingreifen
unsererseits. Niemand schreibt uns vor, wie langsam oder schnell wir ein Buch
lesen, oder wie flüchtig oder ausführlich wir ein Gemälde betrachten.
Doch Film und Musik sind hier unbarmherzig und der einzige "Ausweg"
scheint sich in Brakhages Ideal anzubieten: Fünfundzwanzigmal anschauen.
Mindestens. Sicherlich nicht jeden (man will ja auch schließlich nicht
über jeden "sprechen" können) - aber vielleicht (oder sogar
sicherlich) doch diesen.
Gestehen
muss ich, dass ich Vérités
Et Mensonges
noch nicht fünfundzwanzigmal gesehen habe. Aber immerhin viermal, wobei
ich der Auffassung bin, dass wenigstens drei Sichtungen bei diesem Film unumgänglich
sind: Einmal, um ihn zu sehen und ihn auf seiner fast rein emotionalen Wirkebene
zu erfahren, ein zweites Mal, um sein Handlungskonstrukt und seine zahllosen
Ideen und Ansichten zu betrachten und ein drittes Mal, um seine filmischen Mittel
zu identifizieren, und seiner ungemeinen Faszination auf die Spur zu kommen.
Das vierte Ansehen ist dann vielleicht das schönste: Man sieht ein Meisterwerk
der Filmkunst, das mit dem Dilemma existieren muss, ausgerechnet im Schatten
des Oeuvres jenes Mannes zu stehen, der Citizen
Kane
(1941) schuf. Welch ein furchtbares, erdrückendes Erbe. Dabei ist Vérités
Et Mensonges
doch vielleicht das reifste und am meisten persönliche Werk des Orson Welles:
Ein Gigant stand hier am Ausgang seiner Karriere, wohl wissend, dass die Tage
seines größten Ruhmes gezählt sind. Hollywood war in diesen
Tagen so fern von ihm, wie man es sich nur vorstellen konnte, wenn man bedenkt,
dass Vérités
Et Mensonges
eine französisch-deutsche Co-Produktion mit dem Iran war - einem Land,
das erst wesentlich später im Westen seine Reputation als eines der aufregendsten
und erstaunlichsten Filmländer der Erde erhalten sollte. Es heißt,
Vérités
Et Mensonges
sei die letzte große Vision Welles' gewesen, bevor er, den viele immer
noch auf diesen einen "Überfilm" Citizen
Kane
reduzieren, obwohl die Liste seiner "übrigen" Meisterwerke beträchtlich
ist, sich endgültig in ein Niemandsland aus unvollendeten Projekten, der
Suche nach Geldgebern und Gastauftritten im Fernsehen zurückzog.
Was
für eine Art von Film ist nun Vérités
Et Mensonges?
Die Genrebezeichnung nennt ihn förmlich einen "Dokumentarfilm",
doch wie kann ein Film über die Kunst des Fälschens eine Dokumentation
sein? Dokumentation - das Genre, das sich die "Fakten" am breitesten
auf seine Fahnen geschrieben hat. Nein, von "Fakten" und "Antworten"
ist Vérités
Et Mensonges
soweit entfernt, wie er dem philosophischen Ideal vom wiederholten (Hinter)Fragen
sehr nah zu sein scheint. Es ist ein Essayfilm - ständig kommentiert, ständig
geschnitten, ständig repetierend; schnell, lustvoll und selbstbewusst.
Anders als aber etwa die späten Essayfilme eines Jean-Luc Godard (wie Allemagne
90 Neuf Zéro
von 1991 zum Beispiel, oder seine einzigartigen Histoire(s)
Du Cinéma),
ist Vérités
Et Mensonges
allerdings sicherlich kein schwierig anzuschauender Film, sondern eher ein zwar
intellektuelles, jedoch auch gänzlich (gedanken)spielerisches Vergnügen.
Dem Essayfilm, dem ob seiner oft augenscheinlich sehr freien und wenig zuschauerorientierten
Gestaltung immer ein latenter Hang zum Prätentiösen, leicht Manierierten
nachgesagt wird, wird hier von der schelmischen Genialität Welles' die
formale Schwierigkeit und "Sperrigkeit" im Anschauen zwar genommen,
indem er über 85 Minuten ein Feuerwerk an filmtechnischen Einfällen
abbrennt und ein wahres Kuriositätenkabinett der Formen entwickelt, jedoch
will dies noch längst nicht heißen, dass man Vérités
Et Mensonges
im ersten Ansehen auf seiner inhaltlichen Ebene unbedingt wird folgen können.
Dafür ist der Film zu reich an gedanklichen Farben, in seinen Teilen zu
überschnitten und zu wenig abgeschlossen, zu schnell und in seiner Form
zu lose. Aber das tut dem ersten Sehen keinen Abbruch, denn man wird unweigerlich
hineingezogen in einen Strudel aus Fiktion und Realität, Phantasie und
Wirklichkeit, Fälschung und Original. Wenn Orson Welles seinen Zuschauern
dann in den letzten Sekunden des Films einen "Guten Abend" wünscht,
kann und darf es gerne sein, dass wir nichts Neues wissen, nichts gelernt und
nichts verstanden haben - aber wir hatten großartige, unvergleichliche
anderthalb Stunden.
Die
Faszination von Vérités
Et Mensonges
in Worte zu fassen ist ungemein schwierig: Der Film lässt sich nirgendwo
einordnen, hat keinen "Stil", außer dem, alles zu unternehmen,
um den Zuschauer in das Vexierspiel um Wahrheit und Fiktion möglichst tief
mit einzubeziehen. Wenn man sich im Internet über den Film informieren
will, so stellt man fest, dass es kaum ausführliche Rezensionen über
ihn gibt, was nicht nur daran liegt, dass Vérités
Et Mensonges
ein so selten gesehener Film ist. Er ist einfach ungreifbar, will gar nicht
erst nach unseren Regeln der Analyse eines Filmes spielen, weil er sich all
seiner Mittel selbst schon bewusst ist, sie offen zur Schau stellt und faktisch
oberhalb einer kompakten und auf Schlagwörter reduzierbaren Analyse steht.
Es erscheint einfacher, über die vieldiskutierte und vielleicht den Höhepunkt
aller stilistischer "Handschriften" darstellende, halbhohe Kameraarbeit
eines Yasujiro Ozu zu schreiben, als des "Formenchaos" von Vérités
Et Mensonges
Herr zu werden. Man mag es mir daher verzeihen, wenn diese Rezension weniger
analytisch und kürzer wird, als andere meiner Artikel über Meisterwerke,
und mehr dem Zwecke diene, diesen doch noch immer zu wenig bekannten Film "öffentlicher"
zu machen.
Wovon
handelt Vérités
Et Mensonges?
Er
basiert auf Tatsachen - oder sagen wir lieber: Aus den Stoffbestandteilen, aus
denen die so genannten "Tatsachen" zusammengesetzt werden. Der zumeist
auf einfachem Material gedrehte Film behandelt die (reale) Figur des Elmyr de
Hory, einem Kunstfälscher, der während der 50er- und 60er-Jahre hunderte,
wenn nicht tausende Meisterwerke der Kunst aller Epochen so vortrefflich und
perfekt gefälscht haben soll, dass mehrere große Museen ohne ihr
Wissen ganze Galerien mit sozusagen "echten de Horys" im "Gewand"
von Picasso bis Matisse gefüllt haben sollen. Welles, der mit de Hory (der
nach Veröffentlichung des Films - angeblich - Selbstmord beging) in einer
langen Bekanntschaft verbunden war, skizziert diesen kleinen Mann aus Ungarn
mit den vor Intelligenz blitzenden Augen mit seiner Kamera, wie er in seiner
Villa auf Ibiza reihenweise Partys gibt und mit seinem Image als genialer Ganove
auf völlig unbekümmerte, verspielte und ungemein liebenswerte Art
umgeht. Welles zeigt den älteren Herrn in Auszügen, wie er binnen
weniger Stunden einen Modigliani perfekt fälscht, oder mit wenigen Pinselstrichen
eine vollendete Kopie eines Picassos erstellt, nur um sie hinterher mit einem
genussvollen "Adieu, Picasso!" im Kamin zu verbrennen - sie ist ja
schließlich wertlos und für ihn zu jeder Zeit reproduzierbar. An
einer Stelle spricht er davon, dass es von einem berühmten Modigliani-Gemälde
nicht weniger als drei identische Versionen gebe: Eine von ihm, eine von einem
anderen Fälscher und eine tatsächlich von Modigliani selbst. "Ich
will den Experten sehen, der unter diesen dreien den "echten" Modigliani
findet", sagt er in triumphalem Ton und lächelt dabei selbstsicher.
Vérités
Et Mensonges
ist an vielen Stellen auch ein wunderbarer Film wider die Absurdität der
Expertise: Der ständig präsente und unentwegt kommentierende, auftretende,
erläuternde und hinterfragende Orson Welles zitiert Kipling, wenn er provokant
und sich an einigen Spiegeln vorbeibewegend in die Kamera fragt: "Es ist
hübsch, aber ist das... Kunst?" Barsch und in der typisch verschachtelten
Art von Vérités
Et Mensonges
gibt ihm Elmyr de Hory an anderen Stellen des Films immer wieder die Antwort
darauf: "Es kann nicht sein, dass ein einzelner darüber entscheiden
kann, ob etwas Kunst ist. Das kann nicht sein..." Und doch ist es Fakt,
dass es die Experten sind, die die Fälschungen de Horys überhaupt
erst möglich machten. Auf ihr Geheiß hin wird eine für "echt"
befundene Kunstfälschung auf einen Schlag Millionen wert - ein wertloses
Stück Papier eigentlich. Wirklich wertlos?
Als
echt befunden haben die Experten auch eine Unterschrift des rätselhaften
Hollywood-Produzenten und Industriemilliardärs Howard Hughes unter der
Einwilligung, dass ein Autor namens Clifford Irving eine exklusive Biographie
über den phantomartigen und ständig untertauchenden Hughes schreiben
dürfe. Als dieser sein Projekt dann Ende der 60er-Jahre sein Projekt einem
New Yorker Verlagshaus anbieten wollte, flog die Unterschrift als eine von Irving
erstellte Fälschung auf, und provozierte einen Skandal, der weltweit Schlagzeilen
machte und Irving ins Gefängnis brachte. Auch Irving tritt im Film auf.
Irving, der Fälscher, der vor seinem Eklat mit der Hughes-Biographie ausgerechnet
mit einem Buch über Fälschungen berühmt geworden war - die von
Elmyr de Hory. Welles geht in seinen Interviews mit beiden Fälschern der
Frage nach, was die Fälschung als solche eigentlich ist. Ist es nicht auch
große Kunst, wenn ein Fälscher perfekt kopieren kann? Steht er nicht
in einer Reihe mit einem Chagall, einem Monet, einem Picasso, wenn er deren
und viele andere Stile mühelos übernehmen kann? Ist es nicht ein Zeichen
unglaublicher Bescheidenheit, niemals die eigene Signatur unter ein Gemälde
zu setzen? Wie kann man beweisen, dass nicht auch die so genannten "Originale"
Fälschungen sind? Was, wenn die großen Meister selber nur kopiert
haben bei Meistern, denen nicht dieser glückliche Rang an Popularität
zuteil wurde? Ist es allein die Signatur, die ein Kunstwerk zum Kunstwerk und
Wertgegenstand macht? Ist der Name "Pablo Picasso" unter einem Bild
allein die Garantie für Millionenbeträge? Im Mittelteil des Films
finden wir Orson Welles vor, wie er in einer völlig gegen den "Fluss"
des Films eingefügten Szene vor der Kathedrale von Chartre steht: Sie kennt
keinen Autoren, ist unsigniert. Sie ist "reine" Kunst, ohne jeden
"Hintergedanken"; unschätzbar wertvoll sowieso, und frei von
jeder Namens- und Strömungslast. Welles erzählt in dieser Szene in
einem längeren, pathetischen Monolog davon, dass er hoffe, dass es dem
Menschen eines Tages, wenn alles vergangen ist, erlaubt sei, diese Kathedrale
auszuwählen, als Zeugnis dessen, "wozu wir einst fähig waren".
Das
Ende des Films ist - obwohl wegen seiner teils etwas sehr selbstbewusst hervorgehobenen
Schauwerte vielleicht für manchen kritikwürdig - die Kulmination des
Genius des Orson Welles. Von Ojar Kodar, einer atemberaubend schönen Frau,
lässt er sich in einer unglaublich virtuos geschnittenen Sequenz im Dialog
davon berichten, wie sie einst eine Affäre mit Pablo Picasso gehabt hat,
dieser einundzwanzig Aktbilder von ihr anfertigte, welche er kurze Zeit später
als Fälschungen in einem Museum wieder entdecken sollte. Ich möchte
nicht verraten, wie diese letzte Sequenz des Filmes endet; möchte nicht
auf den genialen "plot twist" eingehen, den Welles hier mit so viel
schelmischem Vergnügen strickt, wenn er sich in Gänze seiner Paraderolle
als Zauberer mit Hut, Mantel, Handschuhen und Zigarre hingibt. Nur so viel sei
gesagt: Es ist Orson Welles' völlige Identifikation mit dem filmischen
Charakter von Vérités
Et Mensonges
und es ist eine faszinierende Art zu verdeutlichen, dass der Film aus seiner
Sicht zwar die überlegene, aber auch die "verruchteste" aller
Kunstformen ist. Es gibt dort eine vulgäre Phrase, die der sonst so hochintellektuelle,
stets analysierende und wortgewandte Jonathan Rosenbaum in seinen Rezensionen
verwendet, wenn ihm die Wendungen, Drehungen und Spiegelungen, die ein Film
vorzunehmen vermag, scheinbar die Sprache verschlagen: "It fucked with
my head."
Janis
El-Bira
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei :
F
wie Fälschung
(Vérités
et mensonges, 1976)
Regie:
Orson Welles
Premiere:
30. Januar 1976 (Deutschland)
Drehbuch: Orson Welles
& Oja Kodar
Dt.
Start: 30. Januar 1976
Land:
Frankreich, Deutschland, Iran
Länge:
85 min
Darsteller:
Orson
Welles (Er selbst), Oja Kodar (Das Mädchen), Joseph Cotten, François
Reichenbach, Richard Wilson, Paul Stewart, Sasa Devcic, Gary Graver, Andrés
Vicente Gomez, Julio Palinkas, Christian Odasso, Françoise Widhoff, Peter
Bogdanovich, William Alland, Elmyr de Hory, Laurence Harvey, Clifford Irving
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