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Gabrielle
-
Liebe meines Lebens
Szenen einer
Ehe, diesmal in kunsthandwerklicher Ausgabe
Größer könnte die Fallhöhe in
der Tat kaum sein. Selbstsicher bis hin zur Karikatur kehrt Jean Hervey (Pascal
Greggory) von einer Geschäftsreise zurück. Auf seinem Nachhauseweg
hat er nichts Gescheiteres zu tun, als mal eben eine selbstgefällig-positive
Zwischenbilanz seines erfolgreichen Lebens zu ziehen: Die Geschäfte laufen
hervorragend, der gesellschaftliche Status ist gesichert, zu Hause wartet das
geliebte, blitzgescheite Weib, das in dieses saturierte Leben passt wie ein
weiteres geschmackvolles Möbelstück in den Salon.
"Ach herrje, verfilmtes Theater!", denkt
man sich, weil derart theatralische Expositionen und immer hübsch auf Pointe
gedrechselte innere Monologe, die zugleich mit der Subtilität eines Zaunpfahls
der Figurencharakteristik dienen, nun wirklich das Letzte sind, was man im Kino
sehen will. Doch es kommt noch besser - beziehungsweise es kommt, wie es nach
solchen Expositionen von jeher zu kommen pflegt. Zu Hause erwartet Hervey ein
Brief seiner Gattin Gabrielle (Isabelle Huppert), in dem diese ihrem Mann eröffnet,
sie gedenke ihn wegen eines anderen zu verlassen. Plötzlich bekommt die
ausgestellte Pracht und Herrlichkeit Risse, gerät eine Biografie ins Rutschen.
Patrice Chéreau, der hier gar kein Theaterstück,
sondern eine Kurzgeschichte von Joseph Conrad in der Manier eines Theaterstücks
verfilmt hat, hat diesen entscheidenden Augenblick filmisch exquisit aufgelöst:
der Ton wird kurz weggeblendet, eine leichte Zeitlupe eingesetzt, bevor der
Ton zurückkehrt - und das Leben weitergeht. Doch damit nicht genug: unmittelbar
darauf steht Gabrielle wieder vor der Tür, offenbar ist ihr Fluchtversuch
gescheitert, nur will sie nicht darüber reden.
Beides zusammen - der Brief und das Schweigen - produziert
eine Spannung zwischen den Eheleuten, die in immer neuen, geschliffenen Dialogen
abgearbeitet sein will, die schließlich in ihrem doppelbödigen Satz
gipfeln: "Wenn ich gewusst hätte, dass du mich liebst, wäre ich
nie zurückgekommen." Chéreau, ganz Mann des Theaters, hält
das Duell auf Distanz, was dem Geschehen das Flair eines bewusst künstlich
gehaltenen Experiments verleiht. Wie hinter Glas bewegen sich die entfremdeten
Figuren, was selbstredend auf die zum Korsett erstarrten Konventionen der bürgerlichen
Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts hindeutet. Alle Figuren agieren
unter sozialen Masken, vielleicht auch, weil es innerhalb der Gesellschaft keinen
Raum für Emotionen gibt, weil romantische Neigungen als unvernünftig
gelten.
Wenn sich das Ehepaar schließlich in der Öffentlichkeit
mit aller rhetorischen Bravour duelliert, dann geschieht das selbstverständlich
noch immer, ohne die Etikette zu verletzen. Dieser Befund, der Männer und
Frauen zu gleichberechtigten Opfern einer unmenschlichen Gesellschaft macht,
ist nun nicht neu, aber hier immerhin mit sehenswerten Darstellern besetzt,
die gewissermaßen mit abgespreiztem kleinen Finger miteinander abrechnen.
Was Patrice Chéreau mit seinem neuen Opus "Gabrielle" abgeliefert
hat, ist dennoch eitles Kunsthandwerk voller ästhetischer Lösungen,
die man nicht nur bereits origineller, sondern auch sehr oft sehr viel konsequenter
umgesetzt gesehen hat. Genannt seien hier nur Terence Davies’ "Haus Bellomont",
Martin Scorseses "Zeit
der Unschuld" und insbesondere
das unerreichte Meisterwerk "Fontane:
Effi Briest" von Rainer Werner
Fassbinder
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: Stuttgarter Zeitung
Gabrielle
- Liebe meines Lebens
Deutschland
/ Frankreich / Italien 2005 - Originaltitel: Gabrielle - Regie: Patrice Chéreau
- Darsteller: Isabelle Huppert, Pascal Greggory, Claudia Coli, Thierry Hancisse,
Raina Kabaivanska - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
90 min. - Start: 12.1.2006
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