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Die groteske
Generation (unvollendet)
Es gibt
Filmsequenzen, die einen geheimen, einen besseren Soundtrack haben. Man sieht
und hört sie und weiß, dass es da dieses eine Lied gibt, das in diesem
Augenblick allein für diese Szene geschrieben worden zu sein scheint. So
kann es einem auch in der Eingangsszene zu Garden
State
ergehen – zumindest wenn man die kleine Combo Firewater aus New
York und ihre zynischen Humoresken kennt. In dem Lied Black
Box Recording
von dem Album Psychopharmacology beschreiben
sie zeitlupenartig und mit unterkühlter Sachlichkeit einen Flugzeugabsturz
(„and all the people wave their arms / but you can’t hear them screaming / you’re
floating through the ceiling“). In Garden
State
zeigt die erste Einstellung den Protagonisten inmitten einer von Panik und Geschrei
erfüllten Flugturbulenz; mit gleichbleibend gelangweiltem Gesicht nimmt
er keine Notiz von seiner Umgebung, betrachtet wie hypnotisiert die blinkenden
Lichter einer Konsole über seinem Kopf…It's hard to keep from laughing
/ No smoking sign is flashing / Your mask descends without a sound.
Wie der
Soundtrack im Besonderen zwar gut, aber eben nicht perfekt ist, so verhält
es sich mit Garden
State,
dem Regiedebut von Zach Braff, auch im Allgemeinen. Braff führt nicht nur
Regie, sondern ist als Andrew Largeman zugleich der Antiheld der Geschichte.
Dieser ist über Stasis als Lebensprinzip hinaus zweierlei: Der Mann ohne
eindeutige Emotionen und auf der Suche nach seiner verlorenen Zeit. Nach dem
Unfalltod seiner querschnittsgelähmten Mutter fliegt Largeman zur Beerdigung
in seine Heimatstatt. Dort begegnet er seinen alten Freunden, die er acht Jahre
nicht mehr gesehen hat – die ideale Ausgangslage also für den Vorher-Nachher-Test
einer Generation irgendwo zwischen Gameboy und Golfkrieg II. Analog zu anderen
Jugendnostalgien trifft der Heimkehrer auch hier auf eine Bandbreite von Werdegängen:
Die ehemaligen Saufkumpanen, die nun Gräber ausheben und dabei die Dahingeschiedenen
um etwaige Wertsachen erleichtern, der ostentativ erwachsene Polizist, der früher
Kokslinien auf dem Schulklo gezogen hat, und Largeman selbst, der sich als Kellner
in einem Szenelokal durchschlägt und von seiner einzigen Fernsehrolle als
geistig behinderter Quarterback wohl zeitlebens verfolgt wird. Dieses Spektrum
ist auf die Loser beschränkt und wird überraschenderweise nicht durch
die üblichen Siegertypen konterkariert. Der einzige, der nun Millionär
ist, wurde es dank seiner Erfindung des „lautlosen Klettverschlusses“ – kein
Heilmittel gegen AIDS, kein angehender Staranwalt, nicht einmal Internetpornographie,
mit der üblicherweise der ehemalige Egghead zum lachenden
Letzten wird.
In diesen
Szenen entfaltet Garden
State
sein ganzes Potenzial als Generationenfilm. Die meisten von Largemans Begegnungen
verweisen auf die Gleichgültigkeit, ideologische Abgestumpftheit und Orientierungslosigkeit
einer Alterskohorte, die kaum zu verorten ist, erst recht keinen Idealtyp oder
eine konsensfähige Ikone aufweist. Warum es gerade die Verlierer sind,
die Braff portraitiert? Warum nicht? „Ich bin erst 26, ich hab’s nicht eilig“,
sagt einer von ihnen stellvertretend und nimmt den nächsten Zug aus der
Wasserpfeife. Eine Generation ohne verbindliche Ziele und Vorbilder tut sich
eben schwer mit einer eindeutigen Unterscheidung zwischen Gewinnern und Verlierern.
Was haben die Portraitierten ihrerseits denn schon verloren? Eine Gesellschaft,
die großspuriges Gehabe und lautlose Reißverschlüsse honoriert?
Eine Politik, die sich nur noch in einem Desertstorm-Sammelalbum
manifestiert? Die klassische Verortung gelingt nicht, also richtet man sich
ein, irgendwo „in-between“. Man macht „halt“ irgendetwas, schlägt Zeit
und vor allem die Langeweile tot, irgendwie. Letztere wird nicht einmal mittels
Drogen aufgehoben; die pubertäre Drogenorgie im Partykeller perlt an Largeman
ebenso ab wie der Tod seiner Mutter – „Annäherungen“ sehen anders aus.
Der klassische Ausbruchsversuch qua „Bewusstseinserweiterung“ ist eher Lifestyle,
der wiederum eines ist: Beliebigkeit.
Damit
nun könnte Braff eine großartige Generationengroteske gelungen sein,
hätte er aus dem zweiten Teil, in dem Loser Largeman auf Sam (eine herrlich
überdrehte Natalie Portmann) trifft, nicht zu einer unfreiwillig komischen
Psychotour verkommen lassen. Sam, die chronisches Lügen als Antwort auf
die allgegenwärtige Sinnfreiheit und Langeweile gibt, wird nicht zu einer
weiteren Station auf Largemans Reise zurück in die Zukunft, sondern Aufbruch
zu einer inneren Entdeckungsreise. Zusammen finden sie die Ursache für
seine Fühllosigkeit, die nicht Ausdruck einer Generation ist, sondern sich
als Folge ebenso handfester wie einfallsloser Familienkomplexe entpuppt. Damit
verlieren viele satirische Elemente, wie etwa die Psychopharmaka als Grundnahrungsmittel
einer Schulgeneration, ihre Wirkung – wie der Rest des Films, der sich fortan
in psychologischem Teesatzlesen verliert. Braff schafft es sogar diesen Qualitätsabfall
– unironisch – in der zentralen Szene zu versinnbildlichen: Um ein Geschenk
abzuholen, steigt Largeman hinab zum „Wächter des unendlichen Abgrunds“
und kennt nach dieser tiefenpsychologischen Posse die Gründe für sein
verkorkstes Leben. Die Selbstheilung führt dann auch geradewegs zum Happy
End im Flughafen, welches denkbar weit vom Intro entfernt ist.
Dadurch
ist Garden
State
ein Film, der zwischen zwei Möglichkeiten oszilliert: Leider keine Diagnose
einer Generation, die er zur ersten Hälfte sein könnte, sondern die
standardisierte Selbstdiagnose eines Selbsterfahrungstrips im Reich der Vulgärpsychologie.
Vielleicht will sich Braff mit diesem Paar aus Unentschiedenheit und Danebenschießen
ja auch nur zu der Generation bekennen, die er trotz enttäuschter Verheißung
mit Sympathie und Sarkasmus zu portraitieren weiß.
Dieser
Text ist nur in der filmzentrale erschienen
Zu diesem
Film gibt’s im archiv mehrere
Texte
Garden
State
USA
2004 - Regie: Zach Braff - Darsteller: Zach Braff, Natalie Portman, Ian Holm,
Peter Sarsgaard, Ron Leibman, Method Man, Jean Smart, Geoffrey Arend, Alex Burns,
Ann Dowd, Denis O'Hare, Jackie Hoffman - FSK: ab 12 - Länge: 102 min. -
Start: 26.5.2005
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