Gattaca
PLOT
Wenig schöne neue Welt genetischer Perfektion, in die Vincent als eines
der wenigen nicht optimierten Babys hineingeboren wurde. Sein Ehrgeiz ist
riesig und er tauscht seine Identität mit dem optimierten, aber seit
einem Unfall an den Rollstuhl gefesselten Jerome. Er beginnt, sich in der
Welt der Optimierten durchzuschlagen, sein Traum, der Flug zum Titan,
rückt in greifbare Nähe.
KRITIK
Gattaca ist ein Thesenfilm, der vermeintlich noblere große Bruder der
gemeinen ScienceFiction. Das Hauptproblem aller Thesenfilme aber bleibt
ungelöst: wie setze ich mein philosophisches Problem und die Geschichte
so in ein Verhältnis, daß letztere nicht als bloßes Transportmittel
erscheint, dergestalt abgewertet wird und dadurch beides als unverbunden
auseinanderklaffen läßt. Eine notwendige (wenngleich, natürlich, nicht
hinreichende) Bedingung: ich lasse die Figuren, oder gar einen Erzähler,
nicht ständig über mein Problem reden. Am besten: gar keinen Erzähler
einführen, das wirkt in jedem (na gut, in fast jedem) Fall papieren und
unfilmisch. Leider hält sich der Film nicht dran. Vincent Freeman
(weitere Regel: keine allzu aufdringlich sprechenden Namen!), die
Hauptfigur, erzählt und erzählt und interpretiert zu allem Überfluß auch
noch sein Verhalten, seine Wünsche, was er tut und vorhat. Wir wollen das
sehen, nicht hören. So schlecht ist Ethan Hawke als Schauspieler auch
wieder nicht, daß er nicht mal seinen extradiegetischen Mund halten
könnte.
Das philosophische Problem des Films ist ein ethisches und hängt sich
direkt an aktuelle Diskussionen zur Entwicklung der Gen-Technik (Dolly!):
Was, wenn man sich seine Kinder aussuchen, sie genetisch optimieren kann.
Die Antwort daraus, die dieser Film ist, scheint erst mal der - ja auch
ganz okaye - moralische Mainstream: das wird böse enden. Die
Nicht-Optimierten (in-valids) werden zu einer Art Sklaven der Optimierten
(valids). Der Film buchstabiert das an drei Männern aus. Vincent - sein
optimierter Bruder und Jerome Morrow, der durch einen Selbstmordversuch
verkrüppelte Valide. Es stellt sich natürlich die Frage, warum Valide
Selbstmordversuche unternehmen. Wäre es nicht viel grausiger, wenn sie
wirklich perfekt wären? Durch nichts aus der Bahn zu werfen. Der Impuls
des Drehbuchautors, an völlige Kontrolle nicht glauben zu wollen, ist,
nun ja, menschlich: aber taugt das, um Visionen des Unmenschlichen zu
entwerfen?
Vincent verwandelt sich nun in Jerome, mit Hilfe kosmetischer Tricks und
Operationen, um sich seinen Traum vom Flug zu den Sternen erfüllen zu
können. Dabei stellt sich heraus, daß er tatsächlich, dank seiner
Willenskraft, viel perfekter ist als all die genoptimierten Validen um
ihn herum. Ihm gelingt, hinter der Fassade einer Identität, die dadurch
aber gerade seine eigene wird, die totale Assimilation - die Spuren der
Abweichung bleiben minimal, wimpernklein. Wie schon 'Starship Troopers'
(wenn dieser auch auf seine ganz andere, sehr verwirrende,
postmodern-faschistische Weise) propagiert der Film die absolute
Leistungsbereitschaft. Vincent denkt gar nicht daran, irgendwas zu
sabotieren, er betreibt die Mimikry an den Geist seiner Gegner - im Geist
dieser Gegner. Ganz so, wie er sich auf die Schwimmwettkämpfe mit seinem
Bruder einläßt: das ist die optisch kitschige, inhaltlich überflüssige
Allegorie (oder eher Mise-en-abîme) der ganzen Geschichte als
Brudergeschichte.
Dazu paßt dann auch, daß Jerome, der invalidierte Valide, am Ende
sterben muß im Autodafé buchstäblicher Art. Vincent dagegen fliegt zum
Titan. Der Film läßt ihn sagen, er sei auf Erden, in dieser Gesellschaft,
nicht zuhause gewesen. Das ist ein grotesker Irrtum: Vincent ist ein
Erfolgsmodell. Und der Film redet diesem Darwinismus, ganz gegen seine
Absicht, das Wort. Denn sein offenes Pathos ist ein anderes (und
natürlich wird's auch überdeutlich ausgesprochen): das des kleinen
Jungen, der seinen verrückten Traum durchsetzen will, against all odds.
Aber diese Geschichte erzählt 'Contact' besser - und ist konsequent
darin, daß die Erlösung, die Jodie Foster zuteil wird, eine private
bleibt. Hier aber gibt's keine Erlösung, hier gibt es nur eine Karrierre,
auf die Vincents Vorgesetzter (Gore Vidal, der der scheinbaren
Widerständigkeit dieses Films offenbar auf den Leim gegangen ist) allen
Grund hätte, stolz zu sein - der Arzt übrigens ist klug genug, das so
erfolgreiche Täuschungsmanöver zu belohnen.
Die Optik des Films wird viel gelobt. Vor allem aber merkt man, daß
Krysztof Kieslowskis Kameramann immer noch mit Farbfiltern umgehen kann
(das ganze ist in Braun-Gelb-Sepia-Tönen gehalten) und daß mit Weitwinkel
aufgenommene Räume immer noch unheimlich wirken. Die Architektur ist
geschmackvolle Moderne. Schön, mal wieder Mies-van-der-Rohe-Stühle im
Kino zu sehen. Die Musik Michael Nymans einschmeichelnder Klassik-Pop -
der aber nie den entscheidenden Kontrast in Bildern und Erzählung findet,
der ihn bei Peter Greenaway so unwiderstehlich machte (und daß die
Besetzung neuerdings so hollywoodkonform streicherlastig ist, läßt die
Grenze zum Kitsch endgültig überschritten sein).
Die Liebesgeschichte ist leider komplett überflüssig und man kann dazu
nur sagen, daß, hätten sich Ethan Hawke und Uma Thurman Gattaca fürs
erste Date ausgesucht, es nichts geworden wäre mit den beiden.
Gratulation trotzdem zur Geburt der Tochter.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in:
Gattaca
USA 1997
Regie: Andrew Niccol
Mit Jude Law, Ethan Hawke, Uma Thurman