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Gauguin
Zwei Schrifttafeln informieren knapp über das
Leben Gauguins. Danach begibt sich die Kamera ins Bild und wird von einer Stimme,
die Gauguin klagen lässt über sein Leben, und der Musik Darius Milhauds
dabei begleitet. Ins Bild begibt sich die Kamera, indem sie das Bild seinem
Rahmen entreißt. Der Rahmen des Bildes ist, anders gesagt, nicht im Bild,
denn das filmische Bild setzt - ohne das zu markieren - seinen eigenen Rahmen.
Und die Kamera leistet, einmal im Bild, ganze Arbeit. Sie nähert sich den
gemalten Figuren, sie zoomt und schwenkt, als ließe sich so, was man sieht,
beleben. Das gemalte Bild wird zur bewegten Szene in der Arbeit der Kamera an
der Oberfläche - und gegen die Oberfläche. Die Kamera gibt im Zoom
den Schein von Tiefe und im Schwenk den Schein von Erfassung des Raums. Im Schnitt
werden die scheinbelebten Szenen dann zueinander ins Verhältnis gesetzt
und erzeugen so den Schein von Zeit durch Folge. Die Musik von Darius Milhaud,
oft deutlich auf die Folge der Bilder (von Bildern) Bezug nehmend, die Arbeit
der Kamera dadurch kommentierend und unterstützend, erschafft den Schein
einer Atmosphäre. Dieser Film, der aus nichts besteht als in Film verwandelten
"abgefilmten" Teilen von Bildern, fertigt den Schein einer Welt.
Wäre das Medium, das er sich belebend aneignet,
selbst Film, wäre "Gauguin" eine found footage-Arbeit. Und wären
Gauguins Bilder nicht figurativ, sondern abstrakt, so wäre "Gauguin"
womöglich ein Experimentalfilm. Wären die Szenen, die er zeigt, die
Szenen des Lebens und die gemalten Figuren und Landschaften wirkliche Menschen
und wirkliche Landschaften, wäre "Gauguin" ein Dokumentarfilm.
Und hätte Resnais die Repräsentation selbst arrangiert und inszeniert
- also Gauguins Bilder statt gemalt durch Mise-en-scène zu Filmszenen
komponiert -, wäre "Gauguin" ein Spielfilm. Er ist aber nichts
von dem - und von allem etwas; gelungene Ekphrasis, die allerdigs den Gewaltakt,
der in der Aneignung liegt, mit jedem Zoom, jedem Schnitt, jedem Schwenk wieder
ausstreicht und ins Natürliche des eigenen Mediums überführt.
Mit der Ausnahme eines einzigen Bildes, fast ganz am Ende. Hier nämlich
fährt die Kamera zurück, bis auch der Rahmen des Bildes - der Bilderrahmen
- selbst ins Bild kommt und mit ihm auch ein Stück der Wand, an der das
Bild hängt. In der unteren Leiste des Rahmens in altmodischer Manier ist
auf einem Metallplättchen der Name des Malers zu lesen, Gauguin, nicht
der des Regisseurs, Resnais. Und dann ganz am Ende, als schwarze Balken vor
weißem Hintergrund, in jener Form des Bildlichen, die man als Schrift
kennt, das Wort, das kein Maler je auf ein Bild schreiben musste: Fin.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen bei: jump cut
Gauguin (1950)
Frankreich
1950
Regie:
Alain Resnais
Buch:
Gaston Diehl (Idee), Paul Gauguin
Produktion:
Pierre Braunberger
Musik:
Darius Milhaud
Kamera:
Henry Ferrand
Schnitt:
Alain Resnais
Spezialeffekte:
Henry Ferrand
Erzähler:
Jean Servais
Länge:
11 min / Portugal:14 min
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