zur
startseite
zum
archiv
Gebürtig
Holocaust
Survival Kit
Man
muss nicht jüdisch sein, um traumatisiert zu sein, aber es hilft: In Lukas
Stepaniks und Robert Schindels Film "Gebürtig" flüchten
sich die österreichischen Holocaust-Überlebenden in den schwarzen
Humor. Jede Pointe erzählt von einer Verletzung
Jeder
macht sich sein eigenes Bild vom Holocaust - so gut er kann. Zum Beispiel der
Hollywoodregisseur, der in Österreich einen "Konzentrationslager"-Film
drehen will. "Nicht jüdisch genug", bürstet er einen Castingteilnehmer
ab, der sich für eine Rolle als KZ-Insasse vorstellt. "Nicht jüdisch
genug?", entgegnet der Abgewiesene kopfschüttelnd. "Dem Hitler
war ich jüdisch genug."
Ein
anderer Österreicher sitzt in einem New Yorker Loft aufgebracht an seinem
Klavier und klimpert auf den Tasten. "Mein Agent will, dass ich ihm KZ-Musik
komponiere. Ebenso könnte ich an der Brause von Birkenau hängen und
eine Erstickungssymphonie schreiben." Die passenden Worte zu finden für
das Unvorstellbare, das sich jeder Beschreibbarkeit entzieht, muss bis heute
den Betroffenen überlassen bleiben. An ihrer Sprache soll unser Bewusstsein
sich ausbilden. In "Gebürtig" bringt ihr Sarkasmus eine ganze
Erfahrungswelt zwischen sich und die Ahnungslosen. Distanz. Die anderen Leute
versuchen ja zu begreifen, aber ihr Taktgefühl muss zwangsläufig wie
eine Obszönität wirken. "Ich interessiere mich für die jüdische
Kultur", erzählt der deutsche Journalist Konrad Sachs (Daniel Olbrychski).
"Nun ja", antwortet Daniel Demant (August Zirner), der in Wien als
Kabarettist arbeitet, "manche interessieren sich für Rock'n'Roll,
andere für Pornofilme." Jede Pointe erzählt von einer Verletzung.
Als Opfer unter Opfern, einem Land voll selbst erklärter Opfer, haben die
österreichischen Juden ihre Lektion aus der Geschichte gelernt.
Einer
ganzen Generation von Holocaust-Betroffenen verleiht "Gebürtig"
eine Stimme, und nur bei Woody Allen ist der Ton in letzter Zeit ähnlich
scharf gewesen. In "Anything
Else"
ist Allens Figur David Dobel so tief vom jüdischen Trauma gezeichnet, dass
er nicht mehr ohne sein "Holocaust Survival Kit" aus dem Haus geht.
"Man muss nicht jüdisch sein, um traumatisiert zu sein", lautet
ein Ausspruch Allens, der auch im Presseheft von "Gebürtig" zitiert
wird, "aber es hilft."
Auch
die alte Tante Psychoanalyse, die große jüdische Weltdeutungsmaschine,
hat längst die Waffen gestreckt. "Psychoanalytiker?", lacht Sachs
grimmig. "Die sind doch alle aus Deutschland und Österreich verschwunden,
seit ". Witze verraten in "Gebürtig" mehr über die
Verfassung der Menschen als deren fahrige Gesten oder die fahlen Gesichter im
Angesicht der Gespenster der Vergangenheit. Mehr noch haben die Pointen hier
selbst die Rolle der Schreckgespenster angenommen.
Sachs
erscheinen sie in Form seines in Nürnberg zum Tode verurteilten Vaters,
eines ehemaligen KZ-Arztes. Sachs schwitzt und blutet und verfällt in immer
lebhaftere Wahnfantasien. "Willst du mir Schweinereien erzählen?",
fragt ihn eine Nutte, sich lasziv auf dem Bett räkelnd. "Mein Vater
war bei der SS", beginnt Sachs. Gibt es eine größere Schweinerei?
Das Missverständnis zwischen Sachs und der Nutte ist in Wirklichkeit keines,
hinter den Worten kommt nur deren semantische Monstrosität zum Vorschein.
Niemand kann sich in "Gebürtig" mehr hinter seiner Sprache verschanzen.
Sie liegt offen da und ist doch ohne Schuld. Schuldig macht sich allenfalls
ihr Benutzer.
Die
Rolle als KZ-Versuchskaninchen im Hollywoodfilm erhält schließlich
Demant. Aber der Irrsinn eines Holocaustfilms mit seinen nachempfundenen KZ-Kulissen
ist schier unerträglich; erst recht, wenn man für die traumatische
Erfahrung selbst noch keine Begriffswerkzeuge gefunden hat. Demant verschwindet
heimlich über den Acker, lässt den Ort des Grauens hinter sich. Seine
Exfreundin Susanne versucht in der Zwischenzeit, den österreichischen Starkomponisten
Hermann Gebirtig (Peter Simonischek), der einen ganzen Ozean zwischen sich und
die Mörder seiner Eltern gebracht hat, zu überreden, als Hauptzeuge
im Prozess gegen den berüchtigten "Schädelknacker von Ebensee"
auszusagen.
Aber
es gibt keine Gerechtigkeit mehr, weiß Gebirtig - ebenso wenig wie Genugtung
oder Reue. Am Ende wird der Nazi-Verbrecher von seiner Schuld freigesprochen,
und Gebirtig sitzt wieder vor seinem Klavier in New York. "Es gibt genau
drei Worte", hatte er am Anfang des Filmes gesagt, "die mich nicht
nach Österreich zurückbringen: Jetzt erst recht!"
1992
erschien Robert Schindels Roman "Gebürtig" genau in der Halbzeit
zwischen Waldheim-Affäre und Haider-Boom. Angesiedelt im Wien des Jahres
1987, das Jahr, in dem das amerikanische Justizministerium den gerade zum Bundespräsidenten
gewählten Kurt Waldheim wegen seiner NS-Vergangenheit unter Beobachtung
stellte, fühlte Schindels bitterer Gesellschaftsroman dem Gewissen seiner
Landsleuten auf den Zahn. "Jetzt erst recht" hieß ein Jahr zuvor
das kämpferische Wahlkampfmotto Waldheims, nachdem die Bekanntgabe seiner
Kandidatur internationale Proteste ausgelöst hatte. Waldheim gewann die
Wahl - aber nicht trotz NS-Vergangenheit, behauptete Schindel, sondern gerade
wegen.
Schindel,
der zusammen mit Lukas Stepanik auch für die Verfilmung seines Romans verantwortlich
zeichnet, liefert mit "Gebürtig" ein deprimierendes Bild der
österreichischen Mentalität: aufbauend auf der großen Lüge
vom Opfervolk hat man es geschafft, sogar noch die wahren NS-Opfer zu verachten.
Die
sentimentale Ader des Films kann dabei nicht über Schindels Furor hinwegtäuschen.
Sein Kaffeehaus-Schmähsprech stößt sich an der österreichischen
Selbstgefälligkeit. Wie leicht es in solch einem gesellschaftlichen Klima
fällt, den Holocaust als historischen Fehltritt abzuwiegeln, zeigen Schindel
und Stepanik mit einem einzigen kurzen Satz. Er fällt zwischen Gebirtig
und einem Kindheitsfreund, dem Sohn des ehemaligen Nazi-Hausmeisters - die grandiose
Selbstlüge der Österreicher, ohne rhetorische Doppelbödigkeiten:
"Man wird klüger am Ende", sagt der Sohn zu Gebirtig, "also
nix für ungut." Nix für ungut. Drei harmlose Worte aneinander
gereiht, grausam in ihrer Konsequenz.
Andreas
Busche
Diese
Kritik ist zuerst erschienen in der: taz
Gebürtig
Österreich
/ Deutschland / Polen 2002 - Regie: Lukas Stepanik, Robert Schindel. Nach dem
Roman von Robert Schindel.- Darsteller: Peter Simonischek, Ruth Rieser, August
Zirner, Katja Weitzenböck, Daniel Olbrychski, Corinna Harfouch, Samuel
Finzi, Edd Stavjanik, Sylvia Haider - Länge: 110 min. - Start: 22.4.2004
zur
startseite
zum
archiv