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Gegen die Wand
"Dein Film ist Rock 'n' Roll."
(Frances McDormand zu Fatih Akin)
„Cahit ist ein vielleicht 40jähriger, abgefuckter
Typ mit graubraunen Haaren, unrasiert und in dunklen Klamotten. Er hat viele
Narben im Gesicht (und auch welche in der Seele) und traurige, kaputte Augen“.
So führt Fatih Akins Drehbuch den Protagonisten des Films ein. Es ist eine präzise
Beschreibung dieses Alkoholikers, eines desillusionierten Deutsch -Türken.
Eines Nachts wird er nach einem für ihn typischen Wutausbruch ausgerechnet aus
einer seiner Stammkneipen herausgeworfen. Im Vollrausch will er schließlich
seinem verkorksten Leben ein Ende setzen und fährt – buchstäblich – gegen die
Wand. Abblende. In der Psychatrie trifft er auf die Deutsch-Türkin Sibel, die
ebenfalls suizidgefährdet ist. Sie bittet ihn, eine Scheinehe einzugehen, um
ihrem strengen Elternhaus zu entkommen und frei leben zu können. Nach
anfänglichem Sträuben willigt Cahit schließlich ein. Jeder führt sein eigenes
Leben, besonders Sibel lebt ihre neu gewonnene Freiheit aus. Aus der
Zweckgemeinschaft entwickelt sich nach und nach Liebe, doch dann erschlägt der
eifersüchtige Cahit einen der zahlreichen Liebhaber Sibels...
„Gegen die Wand“ ist ein Film über die Liebe und
ihre (dunklen) Konsequenzen. Er handelt nicht von makellos aussehenden Menschen
in wunderschön ausgeleuchteten Appartements, man wird nicht eingelullt von
perfide ausgetüftelten Kranfahrten, nur weil sich jemand ein Bier holen will
und die Straße entlang geht. Es geht, soweit man das sagen kann, um echte
Menschen und reale Probleme, wenn auch wie üblich dramatisiert, ausschließlich
mit Handkamera gefilmt, meist bei natürlichem Licht, an authentischen
Drehorten. Dieser Film schert sich einen Dreck darum, ob er gefällt oder nicht.
Akin war nach der Fertigstellung pleite, weil er sich erstmals nicht um ein
Folgeprojekt bemüht hatte und sogar zufrieden gewesen wäre, wenn dies seine
letzte Arbeit gewesen sei. Martin Scorsese, der bei „Raging Bull“ (1980) eine vergleichbare, wenn
auch extremere Einstellung vertrat, bezeichnete diese Art des Filmemachens als
„Kamikaze-Filmmaking“,
man solle „alles geben, was man habe“, es könne ja die letzte Gelegenheit dazu
sein. Interessant ist diesem Zusammenhang die Darstellung der türkischen
Familie. In Akins Debütfilm „Kurz und
schmerzlos“ (1998) ist die Hauptperson Gabriel zwar weitgehend losgelöst von
seinem Elternhaus und seiner Religion, dennoch achtet er beide und besinnt sich
gen Ende, angesichts der Krise in seinem Leben, wieder auf sie. Man spürt
förmlich die Vorsicht des Regisseurs, nicht anzuecken. Dies ist sechs Jahre
später nicht mehr der Fall. Cahit verleugnet seine türkische Herkunft ganz, hat sie hinter sich
gelassen. Sibels (Film-)Familie ist hoffnunglos in ihren Traditionen gefangen
und das Verstoßen der eigenen Tochter fällt nach den skandalösen Schlagzeilen
durch Cahits Vergehen da nicht allzu schwer. Ähnliches passierte Sibel Kekilli,
die nach dem Bekanntwerden ihrer Porno-Vergangenheit und täglichen
BILD-Titelstories von ihrem Vater verstoßen wurde. Die Kunst imitiert das Leben...
oder war es umgekehrt?
Akin lässt den Zuschauer nach langer Zeit wieder an
den deutschen Film glauben. Zu sehr wurde das Image der hier produzierten Filme
durch billige „Der bewegte Mann“-Klone oder gescheiterten Versuchen, gängige
Hollywood-Klischees in einen Topf zu werfen („Tattoo“),
geschädigt. Um aufzuzählen, was ihnen fehlte, würde man vermutlich Tage
brauchen, aber wenn man versucht, es auf den Punkt zu bringen, müssten zwei
Worte fallen. Leidenschaft. Zurückhaltung. Worte, die an sich fast
widersprüchlich wirken, doch nicht in diesem Film. Man stelle sich nur vor, wie
beispielsweise ein schlechter Autor/ Regisseur, untalentierte Schauspieler
inszenierend, die Szene, in der Cahit Sibels Lover erschlägt, hätte vermurksen
können. Cahit hätte laut aufgeschrien, sich auf den Konkurrenten gestürzt,
Close-Ups en masse. Melodrama der schlimmsten Sorte. Doch nicht hier. Rainer
Klausmanns Kamera bleibt auf Distanz, alles geschieht irgendwie beiläufig. Eine
Flasche trifft einen Kopf. Ein Mann, der umfällt. So schnell kann ein Mord
passieren. Niemand schneidet Grimassen. Unterkühlt ist der Film hingegen jedoch
nicht. Durch den rauen visuellen Stil, die gekonnten Übergänge und die
kontrastreiche Musikuntermalung, zwischen traditioneller türkischer Musik und
Punkrock wechselnd, entsteht ein Sog, dem sich der Zuschauer schwer entziehen
kann. Man merkt, dass hier jemand mit dem ganzen Herzen bei der Sache war. Dem
stehen die Schauspieler in nichts nach. Sibel Kikelli ist eine echte Entdeckung,
das sich über ein Jahr hinziehende Casting hat sich gelohnt. Interessant ist
zudem, dass Akin seinem „verrückten Bruder“ Birol Ünel die Rolle des Cahit auf
den Leib schrieb. Ünel ist in etwa ein charmantes enfant terrible, jemand, der
zwar enorm talentiert ist, es sich aber auch selbst oft schwer macht. Ein
Schauspieler, der einmal, weil er provoziert wurde, auf der Bühne einen
Kollegen verprügelte, Verurteilung wegen Körperverletzung inklusive. Eine
Aktion, die man ihm aber andererseits so nicht zutrauen würde. Diese Ambivalenz
macht auch Cahit zu einer enorm interessanten Figur, ständig zwischen
Aggressivität und Sanftheit schwankend.
Dieser Text ist nur erschienen in der filmzentrale
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Deutschland
2004 – Regie und Buch: Fatih Akin – Darsteller: Birol Ünel, Sibel Kikelli, Catrin Striebeck,
Güven Kirac, Meltem Cumbul, Cem Akin – Kamera: Rainer Klausmann – Schnitt:
Andrew Bird - FSK:
ab 12 – Länge: 121 min. – Verleih: Timebandits Films – Kinostart: 11.03.2004
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