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Gegenschuss
–
Aufbruch der Filmemacher
Liegt es am runden „1968er“-Jubiläum? Oder warum
setzt plötzlich ein filmhistorisches Erinnern an jene heroische Aufbruchsphase
des Neuen deutschen Films ein, als sich ein höchst heterogener Haufen von
ciné-fils aufmachte, international zum Aushängeschild eines moralisch-politisch
geläuterten (West-) Deutschland zu werden? Gerade erst hat uns Marcel Wehn
in „Vom
einem der auszog – Wim Wenders’ frühe Jahre“
(fd 38 547) zu dessen existenzialistischen Anfängen und auch zu jenen Filmen
geführt, die Wenders’ selbst bei seinen ambitionierten DVD-Editionen unter
den Tisch fallen ließ. Vielleicht, weil sich nur noch ausgesprochene Spezialisten
für jene Filme von Wenders, Weiss oder Theuring interessieren, die einst
die Rede von den Münchener Sensibilisten prägten. Direkt daran anknüpfend
– Wenders und sein früher, wunderschöner Film „3 amerikanische LP’s“
stehen fast am Anfang des Erinnerungskabinetts von „Gegenschuss“ – geht es hier
nun um die Geschichte des im April 1971 gegründeten „Filmverlag der Autoren“,
mit dessen Logo sich in den 1970er-Jahren eine vorzügliche Filmsozialisation
verbindet.
Der Film von Dominik Wessely und seinem Co-Regisseur,
dem 2007 verstorbenen Laurens Straub, versammelt historisches Material, Filmausschnitte
und retrospektive Interviews, die deutlich vor Augen führen, welch utopisches
Flair die Hausse des Neuen deutschen Films der frühen und mittleren Jahre
umwehte. Zügig rammt der Film die filmhistorisch-narrativen Pflöcke
jener Zeit ein, denn die Produktions- und Vertriebsgemeinschaft unter dem Label
„Filmverlag der Autoren“ war eine kollektive Reaktion der jungen Filmemacher
gegenüber der lähmenden Machthabe der Altbranche. So ist denn hier
auch schnell von Hitler, dem filmhistorischen Bruch zwischen 1933 und 1945 und
der Tatsache, dass Mitte der 1960er-Jahre außer Bernhard Wicki kein Regisseur
tätig gewesen sei, der nicht schon unter dem NS-Regime Filme gemacht habe,
die Rede – alles Dinge, die heutzutage kaum noch derart zugespitzt und polarisierend
formuliert werden könnten. Eine „Stunde Null“ hat es auch in der deutschen
Filmgeschichte weder 1933 noch 1945 gegeben; die Vorstellung klarer Zäsuren
ist längst obsolet. Der Gründung des „Filmverlag der Autoren“ lag
die (durchaus sozialistisch unterfütterte) Idee des Autorenkinos, des selbstbestimmten
Arbeitens und der kollektiven Beschaffung von Produktionsmitteln zugrunde, wohl
ging es auch um die Verteilung ökonomischer Verantwortlichkeit auf möglichst
viele Schultern.
Diejenigen der 13 beteiligten Filmemacher, die für
„Gegenschuss“ noch befragt werden konnten, staunen vor der Kamera nicht schlecht
angesichts ihres einstigen Idealismus. Oder sollte man Blauäugigkeit dazu
sagen? Geträumt wurde der Traum vom großen Kino für die Leinwand;
kommerzielle Überlegungen spielten eine entschieden untergeordnete Rolle.
Zu den 13 Filmemachern, die den Filmverlag mit je 20.000 DM Eigenkapital ins
Leben riefen, zählten: Hark Bohm, Michael Fengler, Peter Lilienthal, Hans
Noever, Pete Ariel, Uwe Brandner, Veith von Fürstenberg, Florian Furtwängler,
Thomas Schamoni, Laurens Straub, Wim Wenders, Hans W. Geissendörfer und
Volker Vogeler. Nicht direkt involviert, aber im Umfeld angesiedelt bzw. später
eingewechselt: Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und Alexander Kluge.
Zu den mitteilungsbedürftigen „Oberhausenern“ gingen die Münchener
auf Distanz; an die persönliche Bekanntschaft mit der ersten RAF-Generation
erinnert man sich mit einer Mischung aus Stolz und Gruseln. Auch scheint den
Beteiligten zumindest rückblickend nicht ganz klar gewesen zu sein, welche
Implikationen eine solche Organisationsform hat: Zweckverband auf Zeit, Entree-Billett
zum internationalen Parkett oder funktionierendes Kollektiv. Werner Herzog erinnert
sich, dass er sich instinktiv gegen eine engere Zusammenarbeit mit Fassbinder
gewehrt hatte, weil dies nur zu Ärger geführt hätte. Andere waren
nicht ganz so schlau – und so kann sich der Zuschauer einen Spaß daraus
machen, die offenkundig ziemlich zerstrittenen Fraktionen der einstigen Verleger
bei ihren Abrechnungen und Gemeinheiten zu beobachten.
Es sind schon sehr unterschiedliche Temperamente,
der Schwabinger Anarchist Hans Noever, der niederländische Provo Laurens
Straub, der Internatszögling Veith von Fürstenberg oder der Rechtsreferendar
Hark Bohm, der hier einmal boshaft als „Bruder des bekannten Schauspielers“
tituliert wird – und in der Tat nicht sonderlich sympathisch und recht humorlos
erscheint. Sehr unterschiedlich sind die Karrieren verlaufen: Wenders ist lässiger
Kosmopolit, Geissendörfer hadert mit seinen Kino-Misserfolgen und produziert
weiterhin die „Lindenstraße“, Namen wie Ariel oder Brandner dürften
heute nur noch Insidern bekannt sein, Straub, Furtwängler und Vogeler sind
bereits tot. Wer noch reden kann, ergreift die Gelegenheit dazu gern beim Schopf
– hier sind wir wieder beim „1968er“-Jubiläum gelandet – und so erzählen
hier lauter mehr oder weniger entspannte ältere Herrschaften, wie sie einmal
auf die Idee kamen, selbst Filmindustrie zu spielen. Und zwar mit kindlichem
Charme – Fassbinders diverse Auftritte im Fernsehen und auf Pressekonferenzen
sind immer auch mitreißende Eulenspiegeleien – und einem gehörigen
Schuss Chuzpe. Über die finanziellen Transaktionen, die im „Filmverlag
der Autoren“ getätigt wurden, möchte man lieber nichts erfahren. Einmal
wird erzählt, dass Hark Bohm enteignet wurde, um mit den Erträgen
von „Tschetan – Der Indianerjunge“ ein finanzielles Loch zu stopfen. Andererseits
berichtet Bohm stolz in die Kamera, dass er mit seinen Filmen immerhin Geld
gemacht habe – im Gegensatz zu einigen anderen Dilettanten. Dafür muss
Bohm, der auch maßgeblich an der feindlichen Übernahme durch Rudolf
Augstein beteiligt war, es hinnehmen, als „sozialdemokratistischer Schwarzwaldkliniker“
und Kleinbürger charakterisiert zu werden.
Es geht also um das produktive Chaos, das diese vitalen
Träumer auf die Beine gestellt haben. Hans Noever spricht einmal lächelnd
von „Sinnlosigkeit und einem mit Unsinnigkeiten besetzten Unternehmen“, aber
die Parade der flankierend eingespielten Filmausschnitte von „Ein großer
graublauer Vogel“ (fd 17 361) über „J. Paul Getty in Sutton Place“ bis
„Ich liebe dich – ich töte dich“ (fd 17 670) machen neugierig auf mehr.
Gern würde man mal wieder die weniger bekannten Filmen aus dem „Filmverlag
der Autoren“ wie „halbe-halbe“ (fd 20 774) oder „Output“ (fd 19 211) sehen.
Auf DVD oder besser noch: im Kino.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Gegenschuss
- Aufbruch der Filmemacher
Deutschland
2007 - Originaltitel: Rebellion of the Filmmakers - Regie: Laurens Straub, Dominik
Wessely - Mitwirkende: Werner Herzog, Hans W. Geissendörfer, Rainer Werner
Fassbinder, Alexander Kluge - FSK: ab 12 - Länge: 120 min. - Start: 14.2.2008
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