zur startseite
zum archiv
Gehetzt (1938)
Fritz
Lang war ein Meister der Erzählökonomie. Herausragendes Beispiel:
Der Überfall auf einen Geldtransport in „You only live once“. Die Täter
werfen Tränengasbomben, Polizisten sterben im Feuergefecht, andere, unwichtige
Details des Raubes verschluckt der beißende Nebel. Durch das schmale Rückfenster
des Fluchtautos lugt ein Augenpaar. Vielleicht gehört es Henry Fonda, darin
lässt Lang sein Publikum eine Zeitlang absichtlich im Dunkeln. Aber Langs
Helden sind ohnehin keine Unschuldslämmer. Sie bleiben sympathisch, weil
der Mob in seiner Bosheit nicht zu übertreffen ist. So auch im Fall des
Ex-Sträflings, den Henry Fonda spielt. Nach unfairem Indizienprozess wegen
Raubmordes entlädt sich der Volkszorn an dem zum Tod Verurteilten, auch
dies eine typische Lang-Szene.
Schon
„M“ war ein Plädoyer gegen Lynchjustiz und Todesstrafe. Mit Langs Emigration nach Hollywood
folgte das Lynchdrama „Fury“ und dann „You only live once“, einer von Fritz
Langs folgenreichsten Filmen, Vorläufer einer ganzen Reihe von Antihelden-Balladen
bis hin zu „Bonnie
and Clyde“.
Ein Ex-Sträfling
will gemeinsam mit seiner gutbürgerlichen Ehefrau ein neues Leben anfangen.
Bigotte Mitmenschen und eine Kette perfider Zufälle – man fühlt sich
an Kleist-Tragödien erinnert – treiben das Paar in die Illegalität.
Am Schluss werden beide in einem Waldstück von Polizeikugeln durchsiebt.
Die Künstlichkeit der wenigen „Natur“-Kulissen kommt der klaustrophobischen
Atmosphäre dieses Studiofilms entgegen. Es kann kein Entrinnen geben. Das
Leben: Eine Todeszelle.
„Man
könnte auch mit Hilfe einer Kamera malen“, hatte Fritz Lang vor Beginn
seiner Regiekarriere gesagt. Ganz im Sinn dieser Maxime findet er hier zu einigen
seiner stärksten Bilder – ohne dass die visuellen Ideen sich in leerer
Ästhetik erschöpften. Die Protagonisten beobachten zwei Frösche,
die in einen Teich springen – schicksalsträchtig verschwindet das Liebespaar
auf der bewegten Wasseroberfläche. Der Held im Hinrichtungstrakt: im Gegenlicht
bilden die Gitterstäbe um den Delinquenten das Negativbild eines Strahlenkranzes.
Überhaupt gehört Fondas Flucht aus dem Gefängnis zu den Höhepunkten
des Film noir. Fritz Lang lädt die Sequenz, in deren Verlauf ein Priester
ums Leben kommt, mit religiöser Symbolik auf, die er zugleich mit bitterer
Ironie untergräbt. Wenn sich das Gefängnistor für den Flüchtenden
öffnet, wird das zum paradoxen Bild: Betritt der Held das Paradies oder
wird er aus ihm vertrieben?
Henry Fonda und Sylvia Sydney sind ein anrührendes tragisches Paar. Fondas engelsgleicher Blick kontrastiert mit seinem kriminellen Vorleben und wenigen Ausbrüchen verzweifelter Gewalt. Im Ganzen eher eine passive Figur, wie auch die stets zerbrechlich wirkende Sylvia Sidney eine Dulderin verkörpert. Glaubwürdigkeits-Manko: die Umstände ihrer Schwangerschaft und der Geburt eines Babys werden reichlich unrealistisch geschildert. Aus bildtechnischer Sicht sieht man dem Film sein Alter kaum an. Der Originalton dringt plastisch aus den Boxen, die deutsche Fernsehsynchronisation leidet, wie üblich, an mangelnder Atmosphäre, ist aber mit guten Sprechern besetzt. Trotz fehlender Extras ist „You only live once“ eine Scheibe, die man nicht nur einmal in den Player legt.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist
zuerst erschienen in: film-dienst
Gehetzt (1936)
YOU ONLY LIVE ONCE
Zorn
Du lebst nur einmal
USA - 1936 - 82 min. – schwarzweiß - Verleih: United Artists
- Erstaufführung: 10.4.1951/25.9.1974 WDR III / 4.12.1985 DFF 2 - Produktionsfirma:
United Artists - Produktion: Walter Wanger
Regie: Fritz Lang
Buch: Gene Towne, Graham Baker
Vorlage: nach einer Geschichte von Gene Towne
Kamera: Leon Shamroy
Musik: Alfred Newman
Schnitt: Daniel Mandell
Darsteller:
Henry Fonda (Eddie Taylor)
Sylvia Sidney (Joan Graham)
Barton MacLane (Stephen Whitney)
Jean Dixon (Bonnie Graham)
William Gargan (Vater Dolan)
Die DVD: „Man lebt
nur einmal“ – „Gehetzt“ von Fritz Lang, ist erschienen bei: Kinowelt - Arthaus
zur startseite
zum archiv