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Geister
Unterhält
Mann oder Frau sich über Aufenthalte in Krankenhäusern, so offenbart
sich meist sehr schnell, wer unschuldiges Opfer (Patient) oder schuldiger Täter
(Arzt, Schwester oder wenigstens Krankenkassenbeauftragter) ist. Dem Patienten
obliegt traditionell der naive Part. Meist ist er ahnungslos, allenfalls echauffiert
er sich über bekannt gewordene Kunstfehler. Der Krankenhausangestellte
(insbesondere der Arzt) ist der Gott in Weiß; er beruft sich bei aufgedeckten
Fehlern auf das Menschsein und die erbarmungslose Profitgier der Krankenhausbetreiber.
Der Konflikt bot reichlich Stoff für Film und Fernsehen, aber leider oft
genug mit mäßigem Erfolg.
Seit
1994 versucht sich nun eine dänische TV-Serie mit unkonventionellen Mitteln
an der Thematik. Lars von Trier, eher bekannt als Kunst- und Autorenfilmer,
startete nach Medea
(1988)
mit Geister
seinen
zweiten Versuch als TV-Regisseur. Von Trier kehrt an den gleichen Drehort zurück,
an dem er zehn Jahre zuvor The
Element of Crime
drehte. Das königliche Reichskrankenhaus ist die größte Klinik
Dänemarks (der Spitzname Riget
[Reich] war gleichzeitig dänischer Originaltitel der Serie). Jede der Folgen
wird mit dem immer gleichen Prolog begonnen: Eine tiefe pathetische Stimme erzählt,
auf welchen Fundamenten das Krankenhaus steht: ... es steht auf uraltem Sumpfland
... hier wässerten die Bleicher ihre riesigen Tücher ... die Bleicher
wichen den Ärzten ... Von nun an sollte gemessen und gezählt werden,
auf dass nie mehr Aberglaube und Unwissenheit die Bastion der Wissenschaft erschüttert.
Aber vielleicht waren sie zu anmaßend in ihrem hartnäckigen Leugnen
der spirituellen Welt, denn es ist, als wären Dampf und Kälte zurückgekehrt
... Begleitet wird die Stimme von hypnotischen Szenen, in denen Männer
und Frauen Tücher färben. Als Kontrast liegen diese "sauberen"
Bilder am Anfang, denn sonst steht die Kamera nie auf einem Stativ, sondern
bewegt sich immer auf der Schulter. Die Montage ist assoziativ, sprunghaft,
dadurch äußerst anstrengend. Das Filmmaterial ist meist sehr grobkörnig.
Es musste besonders lichtempfindlich sein, da kein künstliches Licht verwendet
wurde.
Geboten
wird alles zwischen Liebe und Hass, Intrige und menschlicher Zuneigung, Identifikation
und Polarisierung. Der bösartige schwedische Oberarzt Dr. Helmer (Ernst-Hugo
Järegard) ist beispielsweise eine Mischung aus J. R. Ewing und Ekel Alfred.
Seine stark überzeichneten Intrigen und sein groteskes Mobbing sorgen dafür,
dass er die unumstrittene Kultfigur der Serie wird. Die Absurditäten reichen
vom Lesen der Zukunft im eigenen Stuhlgang bis dahin, dass er den scheintoten
Dr. Krogshoj (Soren Pilmark) aus dem Krematoriumsofen ziehen will. Selbst seine
menschlichen Regungen, in der ausbeuterischen Liebe zur geduldigen Rigmor (Ghita
Norby), scheinen seinen Grundcharakter nur zu bestätigen.
Die
Simulantin und Geisterjägerin Frau Drusse (Kirsten Rolffes) erfährt
in ihrem mystischen Okkultismus eine deutliche Ambivalenz. Der geheimnisvollen
Vergangenheit auf der Spur, drangsaliert sie einerseits ihren Sohn, andererseits
erfährt sie, durch ihre spirituelle Offenheit, mehr als jede andere über
den Fluch des Ortes. Die Art, in der sie am Sterbebett ihrer Zimmergenossin
sitzt und tröstet, ist bemerkenswert und wahrhaftig. Die sonst eher poltrige
Frau schafft eine Situation von Glaubwürdigkeit und Nähe. “Und ich
komm bald nach, ich bin auch ‘ne alte Wachtel ... wahre Spiritisten sterben
freudig.”
In
einer Mischung aus Rosemary’s
Baby
(1967) und Alien
(1978) gebiert Judith (Birgitte Raaberg) ein merkwürdiges Baby mit dem
Kopf eines Erwachsenen. Das furchterregende Wachstumstempo des Monsterbabys
löst zuerst Schrecken, in der übertriebenen Darstellung Komik und,
in seiner Tragik am Schluss, Mitleid aus.
Zwei
außerhalb der Handlung befindlichen Tellerwäscher und gleichzeitig
Seher, ein junger Mann (Morten Rotne Leffers) und eine junge Frau (Vita Jensen),
die offensichtlich beide am Down-Syndrom leiden, unterhalten sich in regelmäßigen
Abständen über die Geschehnisse im Krankenhaus. Sie punktieren die
bisherigen und bevorstehenden Ereignisse in weiser Voraussicht.
Mit
einer kräftigen Mischung aus skurrilem und schwarzem Humor, schaffen es
die Filmemacher Lars von Trier und Morten Arnfred in kurzer Zeit, die dramatische
Exposition zu ihrer Krankenhaus-Soap zu ziehen. Jede der einzelnen Figuren bekommt
eine spezifische Rolle zugewiesen. Sie verkörpern so ihr eigenes Genre
in parallelen und sich überschneidenden Ebenen.
Die
Kritiker interpretierten die Serie als Kritik an der modernen Medizin in ihrer
positivistischen Heilsgewissheit. Zentral ist dafür die Person des Chefarztes
Dr. Moesgaard (Holger Juul Hansen), der dem Krankenhaus zwar vorsteht, seine
Neurosen aber tunlichst pflegt. Je weiter die Serie fortschreitet, desto mehr
verliert er die Kontrolle über das Geschehen. Seine Flucht in eine suspekte
Selbsthilfegruppe ist symptomatisch. Der Kamerastil verstärkt diese Systemkritik.
Schnelle unsymmetrische Raum- und Zeitschnitte visualisieren die Ermüdungsrisse
im sozialen Gefüge. Die schnellen Emotionswechsel beseitigen jedoch jede
Form von Pathos. Die Szene vor einem abrupten Wechsel wird so zwangsläufig
in Frage gestellt bzw. negiert. Dem dient auch von Triers persönlicher
Auftritt am Schluss jeder Folge. Der plaudernde Moderator kommentiert das Geschehen
und bedankt sich für das Zuschauen. "Ich wünsche Ihnen einen
angenehmen Abend. Und wenn Sie auch das nächste Mal dabei sein wollen,
dann seien Sie bereit für das Gute und das Böse."
Geister
betritt Neuland, zumindest in der Form seines Stilcocktails. Freilich, die gemixten
Genreelemente wie Krankenhaus-Saga, Soap Opera, Slapstick, Horror- und Mystik-Serie
à la Twin
Peaks
sind nicht neu. Jedoch irritiert der visuelle Stil, Mitte der Neunziger Jahre,
erheblich. Geister
war die Testphase für Dogma 95. Dogma war im Grunde nur die konsequentere
Fortsetzung und Festsetzung des Stils in dem Geister
produziert wurde. Zunächst nur in Kunst- und Independent-Kreisen zu Hause,
feiert der neue Realismus Jahre danach Erfolge. Spätestens nach The
Blair Witch Project
(1999) ist er profitabel geworden. Dank Reality-TV (The
Blair Witch Projekt
gibt, wenn auch inszeniert, nichts anderes vor) verdrängt die Wichtigkeit
des Inhaltes die traditionell-ästhetische Form der fernsehtauglichen Präsentation.
Was vorher der Erkennungscode für eine amateurhafte Kameraführung
war, differenziert sich zu einer Form mit ganz spezifischen Inhalten. Die Authentizität
erfährt so eine eigene beschleunigte Ästhetik, die vorher nicht denkbar
war. Insofern erlaubt der Stil einerseits die expansiven Kosten der ganzen Filmmaschinerie
zu umgehen, um somit flexibel und spontan reagieren zu können (die Handkamera
hat hier ohne Frage symbolischen Charakter). Andererseits konnten die Filme
erst jetzt in der Form und mit dem Erfolg gelesen und verstanden werden, nachdem
sie sozial, sozusagen mit dem eigenen Homevideo, konstruiert werden konnten.
Ob es sich damit gleich um einen Paradigmawechsel handelt, ist zu bezweifeln.
Eher ist es zu denken als integrierendes, narratives Beschleunigungsmoment ohne
revolutionären Anspruch, was durch die allgemeine unpolitische Haltung
von Dogma 95 gestützt wird. Am Anfang dieses neuen Trendsettings steht
jedoch ohne Zweifel Geister.
Nachtrag:
Nach den ersten beiden Staffeln sollte der dritte und letzte Block eigentlich
schon fertig sein und Ende 2000 gesendet werden. Leider verstarb der Darsteller
des Dr. Helmer, Ernst-Hugo Järegard, im Spätsommer 1998, so dass die
Fertigstellung zumindest in Frage steht.
Thomas
Ritter
Dieser
Text ist zuerst erschienen im 'frame 25'-Archiv von:
F.LM
- Texte zum Film
Geister
The Kingdom - Hospital der Geister
KINGDOM
RIGET
Dänemark
/ Schweden / Deutschland - 1994 - 278 min.
Horrorfilm, Komödie
FSK:
ab 16; feiertagsfrei
Verleih:
Sputnik
Arthaus
(Video)
Erstaufführung:
11./18./25.3./1./8.4.1995 arte (5 Teile à 52 Min.)/15.6.1995 Kino/6./8.4.1996
West 3 (zwei Teile)/4.8.1997 Video
Fd-Nummer:31390
Produktionsfirma: Zentropa/Denmark Radio/Swedish Television/WDR/arte/The
CoProduction Office
Produktion:
Ole Reim
Regie:
Lars von Trier
Buch:
Lars von Trier, Niels Vorsel, Tomas Gislason
Kamera:
Eric Kress
Musik:
Joakim Holbek
Schnitt:
Jacob Thuesen, Molly Marlene Stensgaard
Darsteller:
Ernst-Hugo
Järegard (Stig Helmer)
Kirsten
Rolffes (Sigrid Drusse)
Ghita
Nörby (Rigmor)
Sören
Pilmark (Dr. Krogen)
Annevig
Schelde Ebbe (Mary)
Udo
Kier (Dr. Aage Krüger)
Otto
Brandenburg (Hansen)
Jens
Okking (Bulder)
Fernsehtitel:
"Geister"; Titel der fünf Fernsehteile: 1. "Die höllischen
Heerscharen",
2. "Dein Reich komme", 3. "Horcht und Ihr werdet hören",
4. "Ein
fremder
Leib", 5. "Der lebende Tote")
--------------------------------------------------------------------------------------------
Geister
II
The Kingdom - Hospital der Geister II
RIGET II
THE KINGDOM II
Hospital
der Geister - The Kingdom II
Dänemark
- 1997 - 286 min.
Horrorfilm, Komödie
FSK:
ab 16
Verleih:
Arthaus (Zwei Kassetten) (Video)
Erstaufführung:
23.5.1998 arte (1. von 6 Teilen)/30.6.1998 Video
Fd-Nummer:33464
Produktionsfirma:
Zentropa/Denmarksradio/Schwedisches Fernsehen/Arte
Produktion:
Vibeke Windelov, Svend Abrahamsen
Regie:
Lars von Trier, Morten Arnfred
Buch:
Lars von Trier, Niels Vorsel, Morten Arnfred
Kamera:
Eric Kress
Musik: Joachim Holbek
Schnitt:
Molly Marlene Stensgaard, Pernille Christensen
Darsteller:
Ernst-Hugo
Järegard (Prof. Helmer)
Kirsten
Rolffes (Frau Drusse)
Ghita Norby (Dr. Rigmor)
Sören
Pilmark (Dr. Krogshoy)
Holger
Juul Hansen (Dr. Moesgaard)
Brigitte
Raaberg (Judith)
Baard Owe (Prof. Bondo)
(Videotitel:
"Hospital der Geister - The Kingdom II")
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