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Das Geisterhaus
„They know the
words but not the music“
Dass eine filmische Adaption des Stoffes in Isabel Allendes Roman
„Das Geisterhaus“ (1982) eine nicht ganz einfache Angelegenheit sein würde,
dürfte auch dem dänischen Regisseur Bille August („Pelle der Eroberer“, 1987;
„Die besten Absichten“, 1992; „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“, 1997) bewusst
gewesen sein. In dem Roman erzählt die Nichte des 1973 durch einen Putsch der
chilenischen Militärs, unterstützt von CIA und Henry Kissinger, gestürzten und
ermordeten Präsidenten Salvador Allende, der durch demokratische Wahlen einige
Jahre zuvor die lange Herrschaft der konservativen Partei beendete, die
Geschichte zweier Familien, in deren Mittelpunkt die mit hellseherischen
Fähigkeiten ausgestattete Clara del Valle, später Trueba, steht. Der Roman
spielt zwischen den 20-er Jahren und der Zeit kurz nach dem Putsch 1973. Die
Spiritualität Claras steht für die Bedeutung des komplexen Zusammenhangs
zwischen dem Handeln und den Beziehungen der Mitglieder der beiden Familien del
Valle und Trueba.
Bille August engagierte eine ganze Reihe international bekannter
Schauspieler. Doch – ich will es vorwegnehmen – der Film handelt die Geschichte
ab, als wenn es darum gehen würde, möglichst viele Daten und Ereignisse auf
möglichst engem Raum und in möglichst kurzer Zeit abzuhaken. Dem Film fehlt die
Seele, die den Roman Isabel Allendes auszeichnet.
• I N H A L T •
Ein Gift-Attentat, das Severo del Valle (Armin Müller-Stahl) im
Jahr 1926 töten soll, trifft seine Tochter Rosa (Teri Polo). Ihr Verlobter, der
Grundbesitzer Esteban Trueba (Jeremy Irons), verlässt aus Verzweiflung über den
Tod Rosas seine Heimat und steht künftig einer der riesigen Plantagen vor, Tres
Marias. Trueba wird ein reicher Mann – durch die Arbeit der Bauern und
Landarbeiter in Tres Marias, über die er ein strenges Regiment führt und die er
vor allem nicht in Geld bezahlt. Nicht nur das: Er nimmt sich, was er will,
u.a. auch die Bäuerin Pancha (Sarita Choudhury), die er vergewaltigt. Pancha
wird schwanger, und viel später wird es ihr Sohn sein, den sie nach ihrem
unehelichen Vater Esteban (Vincent Gallo) nennt, der das Schicksal der Familie
Trueba entscheidend beeinflusst.
1944 kehrt Esteban Trueba in seine Heimat zurück. Clara (Meryl
Streep), die wesentlich jüngere Schwester Rosas, ist inzwischen eine junge
attraktive Frau, die Dinge voraussehen kann. Die beiden heiraten und ziehen
zusammen mit Estebans Schwester Férula (Glenn Close) nach Tres Marias. Clara
liebt ihren Mann, doch sie kann dessen Behandlung seiner Untergebenen nicht
akzeptieren. Als sich Jahre später beider Tochter Blanca (Winona Ryder) in den
aufsässigen Pedro Garcia (Antonio Banderas), den Sohn des Bauern Segundo
(Joaquín Martínez), verliebt, mit dem sie schon als Kind vertraut war, gerät
Esteban in Zorn und will den jungen Mann töten, zumal Pedro die Bauern und
Landarbeiter agitiert, ihre Rechte einzufordern und die Bezahlung ihrer Arbeit
zu verlangen, sich gegen die Großgrundbesitzer zu wehren.
Doch nicht nur dadurch fühlt Esteban Trueba sich in seiner
Machtposition gefährdet. Zwischen Clara und Estebans Schwester Férula
entwickelt sich eine enge und liebevolle Freundschaft. Férula bewundert Clara
und versucht, sie vor Gefahren, auch durch Esteban zu schützen. Als Esteban
Férula von Tres Marias vertreibt, stirbt sie kurz darauf. Pedro, der von einem
französischen Gast auf Tres Marias, de Satigny (Jan Niklas), beobachtet wird,
als er mit Blanca schläft, muss fliehen, als de Satigny dies Esteban erzählt.
Clara schließlich schwört, kein Wort mehr mit ihrem Mann zu reden, weil der sie
geschlagen hat. Clara hatte Blanca verteidigt: Sie habe mit einem Mann
geschlafen, den sie liebt, Esteban dagegen habe eine Frau gezwungen, mit ihm zu
schlafen. Clara verlässt mit Blanca Tres Marias. Esteban ist allein. Die Zeit
scheint reif für Veränderungen. Die Konservativen, die eine klare Wahlniederlage
erleiden, werden von der Volksfront abgelöst. Für die Truebas hat dies
verhängnisvolle Folgen ...
• I N S Z E N I E R U N G •
Diese Inhaltsangabe ist nur ein wirklich kleiner Ausschnitt aus
einem Film, der vollgepackt wurde mit Figuren, Geschehnissen, Schicksalen und
deren Verknüpfungen – and so on. Der Haken dabei ist nur: Bille August und sein
Drehbuch halten sich nicht an die Devise: Weniger ist manchmal mehr. So werden
die meisten Ereignisse regelrecht abgespult, und man merkt dem Drehbuch an,
dass es auf Vollständigkeit aus ist, statt ausgewählten Ereignissen und
Personen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Banderas z.B. spielt den aufsässigen
Sohn eines Bauern, Vincent Gallo den illegitimen Sohn Estebans (mit gleichen
Namen). Der eine wird Teil des Aufbruchs gegen die von Grundbesitzern
bestimmten Strukturen, der andere schlägt sich auf die Seite der Putschisten.
Nur, im Film bleiben beide Personen Statisten, sozusagen reine Katalysatoren,
um Ereignisse auszulösen. Darüber hinaus werden Andeutungen gemacht, die aber
hohl und nichtssagend bleiben, etwa dass Esteban Garcia sich rächen wolle, weil
er nie Teilhabe am Reichtum seines Vaters haben würde.
Doch auch die Hauptfiguren des Films spielen ihre Rollen eher als
vom Drehbuch getriebene Läufer durch fast fünfzig Jahre Geschichte, denn als
Charaktere mit Tiefgang. Kein Zweifel: Jeremy Irons, Glenn Close und vor allem
Meryl Streep holen aus ihren Rollen heraus, was geht, nur, die Rollen gehen
unter angesichts des voll gestopften Drehbuchs. Hinzu kommt, dass die
englischen respektive amerikanischen Hauptdarsteller und auch Armin
Müller-Stahl nicht gerade das südamerikanische Ambiente verkörpern (können),
das für diesen ausschließlich in dieser Region spielenden Film vonnöten wäre.
In den letzten 30 bis 40 Minuten schließlich setzt Bille August zum Endspurt
an: vorrevolutionäre Phase, Wahlsieg der Unidad Popular und Putsch werden in
aller Eile – verknüpft mit der Festnahme und Folter Blancas und ihrer
Freilassung sowie der Läuterung Estebans – abgedreht. Der Film degradiert
endgültig zu einer visuellen, schauspielerischen und auch historischen
Katastrophe.
Die übersinnlichen Fähigkeiten Claras sind in Bille Augusts
Inszenierung nur Beiwerk, während sie im Roman als wichtiges Moment in die
Erzählung einbezogen sind, als Mahnung und Zeichen der Zeit sowie der Wende in
den menschlichen und sozialen Beziehungen. Der Satz Claras im Film, alles hänge
mit allem zusammen, verkommt zu einer hohlen Phrase, die für den
Gesamtzusammenhang des Films unwesentlich ist.
Es gibt leider nur einige wenige wirklich bewegende Szenen, etwa
wenn sich Esteban bei Clara für alles entschuldigt, was er ihr und seiner
Familie angetan hat, oder wenn er merkt, dass er am Schluss seines Lebens eine
falsche, fatale Entscheidung getroffen hat. In diesen Szenen erhielten die
Schauspieler Raum und Zeit, ihre Rollen zu entwickeln, leider zu wenig für
einen Film, der immerhin 140 Minuten dauert.
• F A Z I T •
Insgesamt ist „Das Geisterhaus“ der misslungene Versuch, einer
Epoche, einem Land, einer Frau, die die Geschichte ihrer Heimat aufgeschrieben
hat, und den Familien eine Art visuelles Denkmal zu setzen. Oder, wie Roger
Ebert, Mark Twain zitierend, schrieb: „They know the words, but not the music.“
Wertung: 4 von 10 Punkten.
Ulrich Behrens, 18.06.2003
Dieser Text ist zuerst erschienen unter dem Namen POSDOLE bei: ciao.de
Das Geisterhaus
(The House of the
Spirits)
USA, Deutschland, Dänemark, Portugal 1993, 140 Minuten
Regie: Bille August
Drehbuch: Bille August, nach dem Roman von Isabel Allende
Musik: Hans Zimmer, Sebastián Yradier („La Paloma“)
Director of Photography: Jörgen Persson
Schnitt: Janus Billeskov Kansen
Produktionsdesign: Anna Asp, Søren Gam
Hauptdarsteller: Meryl Streep (Clara), Glenn Close (Férula
Trueba), Jeremy Irons (Esteban Trueba), Winona Ryder (Blanca), Antonio Banderas
(Pedro Tercero Garcia), Vannesa Redgrave (Nivea del Valle), Armin Müller-Stahl
(Severo del Valle), Maria Conchita Alonso (Tránsito Soto), Jan Niklas (Jean de
Satigny), Sarita Choudhury (Pancha Garcia), Vincent Gallo (Esteban Garcia),
Joaquín Martínez (Pedro Segundo Garcia), Jane Gray (Clara als Kind), Teri Polo
(Rosa del Valle)
Offizielle Homepage: –
Internet Movie Database: http://german.imdb.com/Title?0107151
Weitere Filmkritik(en):
„Chicago
Sun-Times“ (Roger Ebert) (2 von 4 Punkten):
http://www.suntimes.com/ebert/ebert_reviews/1994/04/912847.html
„Movie Reviews“ (James Berardinelli) (3 von 4 Punkten):
http://movie-reviews.colossus.net/movies/h/house_spirits.html
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