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Die
Geschichte vom weinenden Kamel
Nicht
nur für einen Abschlussfilm der Münchener HFF ist Die
Geschichte vom weinenden Kamel
ein außergewöhnlicher Film, aber wenn man die Begleitumstände
beachtet, wird der Film noch zu einem größeren Wunder.
Eine
Mongolin und ein Italiener brachen in die südliche Mongolei auf, beobachteten
die dort umherziehenden Nomaden (Der Heimvorteil der Co-Regisseurin kam hier
zu tragen) und hofften darauf, ein eigentümliches Ritual filmen zu können:
Manchmal verstößt aus schwer einsehbaren Gründen eine junge
Kamelmutter ihr Kleines, das dadurch dem Tode geweiht ist. Und die Nomaden bedienen
sich dann eines Musikers, der zusammen mit dem Gesang der Hirten das Herz der
Kamelmutter zu erweichen sucht, auf daß es das Kind wieder aufnimmt.
Diese
Geschichte allein ist schon spektakulär, für einen abendfüllenden
Film reicht sie jedoch nicht automatisch. Doch die Filmemacher lassen sich Zeit
mit ihrer Geschichte, schildern zunächst den Alltag der Nomaden, zeigen
Parallelen zwischen Kamelzucht und Kindeserziehung oder führen dem Betrachter
ähnlich wie in Nikita Mikhalkovs Urga vor
Augen, wie solche traditionsbewußten Menschen, die noch mit der Natur
im Einklang stehen, mit der Zivilisation (hier einem Fernsehgerät) konfrontiert
werden.
Als
zweites filmgeschichtliches Vorbild hielten sich die Regisseure an Robert Flahertys
Nanook
of the North,
was auf den ersten Blick vermessen scheint. Doch neben dem irgendwie weihnachtlich
anmutenden Wunder der Kamelliebe ist auch dieser Debütfilm ein kleines
Wunder, und die Vergleiche mit Flaherty und Mikhalkov hinken nicht so sehr,
wie man annehmen könnte. Zwar unterschätzen die Filmemacher die Fähigkeit
des Zuschauers, Kamele voneinander zu unterscheiden (da hatte Flaherty den Vorteil
des körnigen Schwarz-Weiß-Materials), doch insbesondere, wie die
familiäre Atmosphäre im Zelt eingefangen wird, ist meisterhaft und
weit entfernt von den üblichen Kinderkrankheiten von Studentenfilmen.
Die
Geschichte vom weinenden Kamel
lebt weniger von der Bearbeitung der Tränendrüse von Mensch und Tier,
sondern von den kleinen Momenten, von den Bildern (auf einen erklärenden
voice over-Kommentar wurde verzichtet, der Film erklärt sich selbst), von
der Welt, in die uns der Film entführt.
Wir
begleiten etwa den kleinen Ugna (der inoffizielle Hauptdarsteller neben den
zwei Kamelen Ingen Temee und Baby Botok) in die Stadt und sehen mit seinen Augen
das Wunder der Television - und sind später erstaunt über die Weisheit
seines Großvaters, der befürchtet, daß nach der Anschaffung
eines Fernsehers die Familie “die ganze Zeit nur noch die Glasbilder anschauen”
würde.
Und
auch, wenn wir ein glückliches Ende erwarten, bangen wir bis zum Schluß,
erleben immer wieder neue Annäherungsversuche des kleinen weißen
Kamels, teilweise unterstützt von den Hirten, teilweise ganz allein gegen
eine Welt, die es nicht verstehen kann.
Und
schließlich wird selbst die Zigarette, die sich der Musiker nach getaner
Arbeit gönnt, zu einem Ereignis (Die sich anbietende Möglichkeit zum
Product Placement wird ausgeschlagen, stattdessen sieht man an anderer Stelle
interessante mongolische Varianten bekannter Sportbekleidungsfirmen), genau
wie Die
Geschichte vom weinenden Kamel
ein kleines Kinoereignis ist.
An
der Münchener Filmhochschule ist es aber wahrscheinlich sogar ein großes
Ereignis.
Thomas
Vorwerk
Diese
Kritik ist zuerst erschienen bei:
Die
Geschichte vom weinenden Kamel
(D
2003) R: Byambasuren Davaa & Luigi Falorni
D:
Janchiv Ayurzana, Chimed Ohin, Amgaabazar Gonson, Zeveljamz Nyam, Ikhbayar Amgaabazar,
Odgerei Ayisch, Ingen Temee, Botok
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