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Das
Gespenst der Freiheit
Luis
Buñuel reiht in seinem u.a. mit Michel Piccoli, Monica Vitti, Jean-Claude
Brialy und Julien Bertheau hochkarätig besetzten, Mitte der 70er Jahre
hoch provokanten Film „Das Gespenst der Freiheit“ in lockerer Weise Episoden
aneinander, die das scheinbar Normale ins Absurde verkehren und vom Zuschauer
wie ein Puzzle zusammengesetzt werden müssen.
Der
Kommissar eines Polizeireviers ruft einen Flic herein und bittet ihn, nach einem
Mädchen zu fahnden, das zusammen mit seinen Eltern neben ihm steht. Nachts
wird ein Auto durch einen Panzer gestoppt und die Soldaten fragen, ob die Fahrerin
zufällig Füchse gesehen hat, sie seien nämlich auf Fuchsjagd.
Ein Mann zeigt zwei kleinen Mädchen offenbar anrüchige Fotos, die
von ihren Eltern später geradezu schockiert zur Kenntnis genommen werden
– dabei handelt es sich um völlig harmlose Ansichtskarten der touristischen
Sehenswürdigkeiten von Paris. Mönche zelebrieren für den todkranken
Vater eines Gastes im Hotel eine Messe, um danach auf dem Zimmer der Trauernden
ein wildes Pokerspiel aufzuziehen. Ein junger, gut aussehender Mann versucht,
seine wesentlich ältere Tante zu verführen – vergeblich, weil diese
sich jungmädchenhaft ziert.
Der
absolute Höhepunkt des verrätselt-absurden Reigens: Gäste treffen
sich nach dem Besuch der Oper zum Diner, lassen diskret die Hosen ’runter und
sich an der völlig leeren Tafel auf Kloschüsseln nieder, um über
Umweltverschmutzung zu sprechen. Zum Essen verdrücken sie sich dagegen
in eine entlegene Speisekammer, nach der sie sich beim Hausmädchen nur
hinter vorgehaltener Hand erkundigen...
Buñuels
31. Film, dessen Titel „Das Gespenst der Freiheit“ einem Satz aus dem Kommunistischen
Manifest von Karl Marx nachempfunden ist, offenbart eine höchst eigenwillige
Vorstellung des damals bereits 74jährigen Regisseurs von einer überschäumenden,
komisch totalen Freiheit jenseits der (bürgerlichen) Realität, welche
er geradezu auf den Kopf stellt.
Gleich
zu Beginn relativiert Buñuel den Freiheitsbegriff mit dem Rückgriff
auf eine historische Begebenheit: Die Spanier haben sich 1814 mit dem Ruf „Vivan
las cadenas“ („Es leben die Ketten“) von der Freiheit, die ihnen die napoleonische
Herrschaft brachte, befreit, indem sie sich für das Joch unter König
Fernando VII. entschieden.
Buñuel
führt Zufälligkeiten, Formalismen und Rituale menschlicher Unzulänglichkeiten
vor, aber nicht seine Figuren. Das macht seine surrealistische (Welt-) Sicht
auch für ein heutiges Publikum so sehenswert: Der „französische Spanier“
ist kein moralinsauer Prediger, sondern jemand, dessen „Lehre“, einen solchen
Begriff würde er naturgemäß strikt von sich weisen, unter einem
Berg von Amüsement nur sehr unterschwellig sichtbar wird.
Pitt
Herrmann
Diese
Kritik ist zuerst erschienen im:
Das
Gespenst der Freiheit
LE
FANTOME DE LA LIBERTE
Frankreich
- 1974 - 103 min. – Scope - FSK:ab 16 – feiertagsfrei - Prädikat: besonders
wertvoll - Verleih: Fox-MGM - Erstaufführung: 14.2.1975 - Fd-Nummer: 19165
- Produktionsfirma: Greenwich
Produktion:
Serge Silberman
Regie:
Luis Buñuel
Buch:
Luis Buñuel, Jean-Claude Carrière
Kamera:
Edmond Richard
Schnitt:
Hélène Plemiannikov
Darsteller:
Adriana
Asti ("Dame in Schwarz")
Julien
Bertheau (1. Polizeipräfekt)
Jean-Claude
Brialy (M. Foucauld)
Michel
Piccoli (2. Polizeipräfekt)
Adolfo
Celi (Arzt von M. Legendre)
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